Der Krieg in der Ukraine, die Gier der Banker und missbrauchtes Vertrauen – alles Themen für die Messe
Da kann ich nur sagen: Jede Gesellschaft sucht sich offenbar die Vorbilder und die Maßstäbe, die sie verdient hat! Und wenn dann immer wieder die Leute zu mir sagen: Herr Pfarrer, die Kirche müsste mehr mit der Zeit gehen, dann denke ich mir: Mit dieser Zeit, nein, wirklich nicht! Die Kirche muss mit Jesus gehen und nicht mit der Zeit. Und Jesus ist da einen ganz anderen Weg gegangen…
Im Jahr 2018 ist es so: Man sehnt sich fast ein bisschen nach der Zeit, als man sich über Castingshows aufregen konnte. Als Castingshows überhaupt noch jemanden aufregten. Der Mensch gewöhnt sich an die krudesten Sachen. Und vergisst auch wieder. Wenn man die Weihnachtspredigten von Pfarrer Weidner durchblättert, hat man manchmal einen Aha-Effekt. Stimmt, so war das ja damals, die berühmte German Angst zum Beispiel. 2008 ein Thema. Da hat er einen Zeitungsartikel gleich zu Beginn zitiert. Er liest gerne Zeitung, er findet dort Anregungen. Ideen. Ein Gefühl dafür, was die Menschen gerade umtreibt. „Die Welt verändert sich ständig, der Kontext ist immer ein anderer“, sagt Weidner und seine Aufgabe sei es, das Evangelium so zu übersetzen, dass es Relevanz hat. Manche Sätze könnten daher auch in einem Leitartikel stehen. Aber da fehlt meist die Frohe Botschaft!
Manche seiner Weihnachtspredigten klingen aber doch so, als könnte er sie so Wort für Wort wieder halten – weil sie von der ersten bis zur letzten Zeile von nichts anderem handeln als vom Menschsein. Von Angst, Ungewissheit, Not. Von der Sehnsucht nach Erlösung. Heute würde er vermutlich dennoch andere Worte wählen. Weil sich nicht nur die Welt verändert. Auch der Pfarrer selbst ist Jahr für Jahr ein anderer. Nur die Botschaft nicht:
Alle, die heute auf Neuigkeiten hoffen, muss ich leider enttäuschen. Es gibt hier nichts Neues zu berichten. Die Botschaft, die ich Ihnen heute verkünden darf, ist die gleiche wie letztes Jahr. Sie ist 2000 Jahre alt. Und sie hat sich im Wesentlichen, also in ihrem Kern, nicht verändert. Alle Jahre wieder erzähle ich Ihnen die Botschaft von der Menschwerdung Gottes mit unterschiedlichen Worten. Was sich allerdings deutlich verändert hat, das sind Sie!
Das war 2011. Weidner damals gestandene Anfang vierzig. Als junger Pfarrer, direkt nach dem Studium, habe er sich so voll mit neuem Wissen gefühlt. „Das willst du den Menschen mitteilen.“Und dann kommt der Alltag und die Menschen, mit Sorgen und Nöten. Und dann vielleicht auch erst das Verständnis, wie schwer und komplex das Leben ist. Dann klappt der moralische Zeigefinger ein. Weidner sagt: „Ich bin barmherziger geworden.“Das verlangt aber ebenfalls manchmal klare Kante. Vor zwei Jahren verkündete er an Weihnachten:
Wir brauchen keine Religionen, bei denen es nur um den Selbsterhalt von Institutionen geht. Wir brauchen keine Religionen, die andere herabsetzen, erniedrigen oder diskriminieren: sei es aufgrund ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechtes oder ihrer sexuellen Neigungen. Das sage ich ganz ausdrücklich. Was wir brauchen, ist Religion als Hilfe, um Menschen in Beziehung zu Gott zu bringen.
So kann man, wenn man die Predigten von Bernd Weidner liest, Weihnachten für Weihnachten Revue passieren lässt, auch etwas über ihn erkennen. Den Prediger. Was ihn umtreibt. Seine Sorgen. Einmal sagte er, das war 2010, und in seiner damaligen Pfarrei grummelte es gewaltig wegen des geplanten Abrisses eines Pfarrhauses:
Mir geht es in diesen Tagen nicht sonderlich gut.
Manchmal erkennt man auch, dass er gerne noch mehr gesagt hätte. Dass acht Minuten ziemlich kurz sein können, weil man da neben der Frohen Botschaft doch ziemlich wenig reinpacken kann. Zum Beispiel, wenn so ein großes Thema vor einem steht. 800 Wörter über die Flüchtlingskrise …
Man könnte versucht sein, zu glauben, viele Deutsche haben in den letzten Monaten ihre Liebe zu den Armen neu entdeckt. Denn immer wieder habe ich Sätze gehört wie: „Wir haben genug Arme bei uns. Wir müssen uns erst einmal um unsere eigenen Armen kümmern!“Nun. Gesagt wurde das natürlich im Blick auf die vielen Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen sind. Und ich frage dann im persönlichen Gespräch immer gleich nach: Wie haben Sie sich denn bisher für diese Armen eingesetzt? Oder was werden Sie denn jetzt und in Zukunft für diese Armen tun, wenn sie Ihnen so am Herzen liegen? Und die Antwort darauf war bisher immer nur Schweigen.
2015. Das Jahr, in dem die Pastorentochter Angela Merkel predigte: „Wir schaffen das.“Und: „Ich muss jetzt ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“Worte, die der Kanzlerin seitdem immer wieder um die Ohren gehauen werden. Wie christlich kann Politik sein? Und wie politisch die Kirche? Als im vergangenen Jahr der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, zu Weihnachten die Amerika-first-Politik von Donald Trump geißelte, der die Welt „nur noch als Kampfplatz von Interessen“sehe, meldete sich da- raufhin die CDU-Politikerin Julia Klöckner zu Wort. In der Bild-Zeitung beklagte sie, dass sich Kirchen mancherorts zu sehr über Windenergie und zu wenig über die Glaubensbotschaft verbreiteten. Und Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt twitterte noch an Heiligabend: „Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er habe einen Abend bei den #Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht.“
Frage also an Bernd Weidner: Wie politisch darf Kirche sein? Gerade auch an Weihnachten? Wenn viele der Schäfchen, die kommen, sich doch eher ausgemerkelt fühlen. Und im Grunde nur ein bisschen singen, ein bisschen Rührung fühlen, ein bisschen Christentum genießen wollen. Das feierliche Topping nach Weihnachtsgans und Geschenken. Prompte Antwort: „Das Evangelium ist nicht parteipolitisch, aber zutiefst politisch.“Es erhebe den Anspruch, dass die Menschen in der Welt das Reich Gottes bauen sollen. Was bedeutet: „Wir dürfen uns doch nicht raushalten aus der Gesellschaft.“Er wäre froh, wenn die Menschen die Christmette verlassen und sagen: „Die Kirche ist nicht komplett verrückt.“
Vor zwei Jahren hat Weidner an Weihnachten über den Krieg in Syrien und den in der Ukraine, über die Deutsche Bank als Symbol für zügellose Gier und den Volkswagenkonzern als Symbol für zerstörtes Vertrauen gesprochen. Alles in einer Predigt und Trump kam auch noch vor. Und dann hat er gefragt:
Sind Sie schon deprimiert genug, oder soll ich noch weitermachen?
Er hat dann natürlich nicht so weitergemacht. Sondern in den übrigen Minuten über Unbestechlichkeit und Solidarität mit den Opfern dieser Gesellschaft gesprochen. Und darüber, dass die Welt so, wie sie jetzt ist, nicht bleiben kann. Und dass eine Revolution wichtig wäre, eine Revolution der Liebe. Für seine Predigten gilt, was er über das Evangelium sagt: „Es reibt und kratzt.“
„Verwaschene Kernbotschaften“, das ist übrigens eine der zehn Problemzonen, vor denen im Ratgeber „Vom Text zur Predigt“gewarnt wird. Ebenso wie vor „Sterile Schreibe“oder „Sprache Kanaans“. Aber, das kann man sicher sagen, verwaschen ist bei Weidner nichts. 2015, noch ein Auszug daher:
Von einem Christentum, das sich zu Weihnachtsfeiern bei Punsch und Plätzchen versammelt und rührselige Geschichten vorliest, haben sich die meisten Menschen doch eh schon verabschiedet. Aber ein Christentum, das „das radikale Ja Gottes zu allen Menschen“in diese Welt hinein trägt, ein Christentum, das nicht mitmacht bei Hass und Ausbeutung, das nicht schweigt, sondern aufschreit, wenn Menschen Unrecht geschieht, ein solidarisches Christentum, das wird immer attraktiv sein.
Worüber also wird er in diesem Jahr predigen? Es treibt ihn gerade das Thema Hoffnung um. „In dieser Welt, die unbeherrschbarer wird, wer gibt mir da Hoffnung…“Zwei Tage sind noch bis Weihnachten. Drei Gottesdienste wird er halten, einen frühen am Nachmittag, dann die Kindermesse – „Die muss toll sein, mit Krippenspiel“–, und abends dann die Christmette. Er wird auch diesmal in seiner Predigt wohl nicht dahin kommen, wohin er gerne kommen würde. „Zum tiefsten Punkt vorzudringen.“Alle Jahre wieder, ein Versuch. Alle Jahre wieder, die mächtigste Geschichte der Welt! Christ der Retter ist da. Es gibt da noch immer eine Sehnsucht. Frohe Weihnachten!