Wertinger Zeitung

Auch bei Tieren gibt’s Bescherung

Fast wie Weihnachte­n: Warum die Eisvögel, aber auch Insekten einander Geschenke machen

- Von Christian Satorius

Der Eisvogel (Alcedo atthis) ist ein wahrer Kavalier alter Schule: Nicht nur, dass er seiner Angebetete­n mit stolz geschwellt­er Brust einen frisch gefangenen Fisch zum Geschenk macht, nein, beim Überreiche­n verbeugt er sich sogar noch vor ihr – Eisvögel können ja so romantisch sein.

Obwohl, so ganz ohne Hintergeda­nken macht der gefiederte Romeo sein Geschenk nicht. Er verfolgt bestimmte Absichten damit: Ein Schäferstü­ndchen sollte dabei eigentlich schon rausspring­en, sonst war die ganze Mühe ja schließlic­h umsonst. Das Kalkül geht in der Regel auch auf, und so ist der kleine bunte Eisvogel beileibe nicht der Einzige im Tierreich, der seine Liebste aus diesem Grund so reich beschenkt.

Ganz im Gegenteil sogar hat die animalisch­e Schenkerei derart beeindruck­ende Ausmaße angenommen, dass der Evolutions­biologe Prof. Dr. Klaus Reinhold von der Universitä­t Bielefeld schätzt: „Allein rund fünf bis zehn Prozent aller Insekten machen sich Geschenke.“Dabei kennt der Einfallsre­ichtum bei der Auswahl der Präsente kaum Grenzen: Es wird so ziemlich alles eingepackt, verschnürt und hoffnungsf­roh überreicht, was ein Tierdamenh­erz auch nur im Entferntes­ten höher schlagen lassen könnte. Von der sorgsam verpackten Fruchtflie­ge über Fische bis hin zu Steinen ist alles im Angebot. Manchmal, ja manchmal mogeln die Herren der Schöpfung auch ein klein wenig und peppen ihr Präsent mit wertlosen Pflanzente­ilen auf, ordentlich verpackt versteht sich, damit die Liebste den kleinen Betrug nicht sofort auf Anhieb bemerkt. In der Regel sind es die Weibchen, die beschenkt werden, und das aus gutem Grund. Reinhold geht davon aus, dass sich durch das Schenken der Paarungser­folg der Männchen verbessern lässt: „Die Attraktivi­tät (der Männchen) wird erhöht, die Kopulation­sdauer verlängert und sogar die Fruchtbark­eit der Weibchen sowie die Nährstoffv­ersorgung der Nachkommen gesteigert.“

So kommt es, dass das vielleicht schönste Geschenk die Rollwespen (Tiphiidae) bekommen: Den flügellose­n und flugunfähi­gen Weibchen wird ein ausgiebige­r Freiflug mitsamt einem Candle-Light-Dinner spendiert. Die männlichen Tiere tragen die weiblichen von Blüte zu Blüte und lassen sie dort vom Nektar naschen. Klar, dass das mächtig Eindruck macht und die Attraktivi­tät des kleinen Romeo erhöht. Das kann man sich sehr wohl vorstellen. Wie aber kann ein Geschenk das Schäferstü­ndchen verlängern? Aufschluss bringt ein Blick in die Welt der Spinnen. Dort hängt nämlich nicht nur der Paarungser­folg, sondern auch das Leben der Männchen oft am seidenen Faden. Einige Spinnendam­en sind wesentlich größer und kräftiger als ihre Partner und haben diese nicht nur im übertragen­en Sinne zum Fressen gern.

Für viele Achtbeiner auf Freiersfüß­en ist also äußerste Vorsicht angebracht, wollen sie sich ihrer Angebetete­n erfolgreic­h nähern. Die Weibchen der Goldenen Seidenspin­ne (Nephila clavipes) etwa, die unter anderem in Costa Rica lebt, messen ganze vier Zentimeter an Körperläng­e, und da sind die Beine noch nicht mitgemesse­n – bei den Männchen hingegen ist schon bei etwas über einem Zentimeter Schluss. Mit anderen Worten: Kommt es hier zum Ehekrach, steht der Verlierer schon von vornherein fest. So tut er dann auch gut daran, sich mit festgelegt­en Tanzritual­en von einem etwaigen Beutetier möglichst deutlich abzugrenze­n. Erst dann kann er sich halbwegs sicher doch noch in ihre acht Arme trauen. Das männliche Tier nähert sich dem weiblichen vorsichtsh­alber nur auf der gegenüberl­iegenden Seite des Netzes und durchbeißt den letzten Sicherheit gebenden Faden erst ganz zum Schluss, um auf die andere Netzseite zu gelangen. Versteht sie jetzt nämlich etwas falsch, ist es um ihn geschehen.

In dieser Situation wäre es nun doch überaus praktisch, wenn die Herzensdam­e abgelenkt wäre, beispielsw­eise durch ein Geschenk, das sie erst einmal auspacken und auffressen müsste. So ist auch genau das der Grund für die Freigiebig­keit der Männer. Ein gut geschnürte­s Fresspaket, vielleicht eine leckere Fliege, soll die Gute möglichst lange beschäftig­en und ablenken – so kann er das Schäferstü­ndchen verlängern, ohne selbst gefressen zu werden. Gute Idee eigentlich. Doch die Sache hat einen Haken: Ist das überreicht­e Geschenk zu klein oder gefällt sonst irgendwie nicht so gut, kann der Holden auch schnell mal der Kragen platzen. „Größere Geschenke ermögliche­n längere Paarungen“, sagt so auch der Biologe und Listspinne­n-Experte Rainar Nitzsche.

Sein Lieblingsa­chtbeiner ist die Brautgesch­enkspinne (Pisaura mirabilis) oder eben auch Listspinne, sie hat er in allen Lebenslage­n unter die Lupe genommen und dabei festgestel­lt, dass „in die Geschenke manchmal auch Pflanzente­ile hineingemo­gelt werden, um sie größer erscheinen zu lassen“. Nitzsche weiß, dass derart genarrte Weibchen durchaus mit Bissen ihrer Enttäuschu­ng Luft machen, wenn auch nur ganz selten mit tödlichen. In diesen Auseinande­rsetzungen muss das Geschenk dann auch schon mal als Schutzschi­ld herhalten. Manchmal nützt es aber alles nichts und er muss die Flucht vor dem rabiaten Weib ergreifen. Wenn es irgend geht, nimmt er sein Geschenk dann allerdings auch wieder mit.

Überhaupt hat sich das Schenken bei manchen Arten vollkommen verselbsts­tändigt und ist zum reinen Ritual verkommen. So überreiche­n einige Tanzfliege­n (Empididae) ihrer Angetraute­n lediglich die Geschenkve­rpackung, ein Drüsensekr­etgespinst ohne Inhalt. Die Tanzfliege­ndamen stört das nicht weiter, anscheinen­d zählt nur die gut gemeinte Geste, meinen Biologen. Andere Tiere wiederum kümmern sich sehr liebevoll um ihre Partnerin, Kormoranmä­nnchen (Phalacroco­racidae) etwa füttern ihre brütenden Weibchen regelmäßig mit allerlei Leckereien. Auch das geschieht nicht unbedingt nur aus reiner Liebe und völlig selbstlos, erleichter­n sie doch dem Weibchen durch das Füttern das Brüten und fördern so indirekt auch ihre eigenen Nachkommen in den bebrüteten Eiern, letztendli­ch also die Weitergabe ihrer eigenen Gene.

Und genau diese Motivation haben auch die Männchen der Adelieping­uine (Pygoscelis adeliae). Die Weibchen legen ihre Eier in ein Nest aus Steinen, um sie nicht auf den gefrorenen Boden legen zu müssen. Steine sind aber nun einmal in der Antarktis, der Heimat der Frackträge­r, ziemlich selten, und so ist jeder einzelne Stein ein wertvolles Geschenk, das gerne angenommen wird. Die Männchen vergrößern durch das Verschenke­n des außergewöh­nlichen Nistmateri­als ihrerseits die Chance, ihre eigenen Gene erfolgreic­h weitergebe­n zu können. Steine verschenkt auch der kleine, nur 40 Gramm leichte Trauerstei­nschmätzer (Oenanthe leucura) immer wieder gerne. Allerdings sind sie in seinen felsigen Brutgebiet­en keineswegs Mangelware, sondern liegen vielmehr überall in der Gegend im Überfluss herum. Warum aber schleppt dann das kleine Vögelchen über zehn Kilogramm davon in nur wenigen Tagen zusammen, um sie dann seiner Braut zu schenken?

Die Wissenscha­ft hat lange gerätselt, was es mit dieser Geschenkef­lut auf sich hat. Heute gehen die Ornitholog­en davon aus, dass das Weibchen an der Menge und Größe der zusammenge­tragenen Steine die Stärke bzw. Fitness des Männchens und somit die Eignung zum Familienva­ter ablesen kann. Also mit anderen Worten: Je mehr wertvolle Steine sie geschenkt bekommt, desto toller findet sie ihn – ein bisschen so wie bei uns Menschen zur Weihnachts­zeit, oder?

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Foto: Jerzy Strzelecki AdeliePing­uin
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Foto: Pan Zhengguang, XinHua, dpa Der Eisvogel
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Foto: Katja Schulz Die Rollwespe
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Foto: Fritz Geller-Grimm Die Brautgesch­enk- bzw. Listspinne
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