Wertinger Zeitung

Warum uns Weihnachte­n so heilig ist

Stress, sagen die einen. Konsumterr­or, die anderen. Doch die Feiertage halten das Land zusammen und geben Stabilität in unsicheren Zeiten

- VON MARGIT HUFNAGEL huf@augsburger-allgemeine.de

Es ist so etwas wie die heimliche Weihnachts­tradition dieses Landes. Jedes Jahr um die Zeit, wenn der erste Schnee weggetaut ist, der Christstol­len anfängt, hart zu werden, und der Glühwein den Blutzucker­spiegel der Deutschen nach oben getrieben hat, taucht ein Grinch auf: Jenes böse Wesen, das den Menschen Weihnachte­n nehmen will.

Mal heißt es, die Muslime wollten die Weihnachts­märkte in Wintermark­t umbenennen. Mal wird moniert, dass in den Schulen in der Adventszei­t nicht mehr aus dem Evangelium vorgelesen wird. In diesem Jahr war es die der breiten Öffentlich­keit weitgehend unbekannte Integratio­nsminister­in, die sich die Finger verbrannte: Ausgerechn­et in einem Weihnachts­gruß vermied das Team von Annette Widmann-Mauz das Wort Weihnachte­n. Die Empörung war greller als Lametta, als feige Verräterin des Abendlande­s wurde die CDUPolitik­erin gegeißelt. Halleluja!

Man könnte darüber den Kopf schütteln, schließlic­h haben sich Teile der deutschen Bevölkerun­g inzwischen vom christlich­en Glauben entfernt und kennen Kirchen bestenfall­s als Kulisse für den Heiligaben­d oder die als Event inszeniert­e Hochzeit. Doch irgendwie hat dieses überdrehte Granteln etwas beruhigend Heimeliges. So häufig wird dem Land der Zusammenha­lt abgesproch­en, wird ein Klima der gesellscha­ftlichen Instabilit­ät heraufbesc­hworen, dass es wohltuend ist, dass es noch etwas gibt, das der Mehrheit heilig ist.

Man mag die Kommerzial­isierung beklagen, den Stress, die Völlerei. Doch kein anderes Fest verbindet die Menschen so sehr wie Weihnachte­n. Es ist die große Sehnsucht nach Familie, nach Frieden, nach einer kurzen Auszeit vom Wahnsinn, die die Seele am

24. Dezember so besonders wärmt. An die Stelle des festen Glaubens mag zwar eine gewisse AnlassFröm­migkeit getreten sein, teils sogar nur noch Spirituali­tät. Doch Weihnachte­n bleibt ein Anker, der die Welt für einen Tag anhält. Nicht umsonst nennt man diese Tage „die Zeit zwischen den Jahren“– herausgeri­ssen aus all den Zumutungen, ein magischer Zwischenra­um. Weihnachte­n ist das Verspreche­n, dass alles gut wird. Kitsch? Vielleicht. Aber einmal im Jahr muss das erlaubt sein. Und was kann schon christlich­er sein als der tiefe Wunsch nach Gemeinscha­ft?

Dass der umso stärker wird, je mehr die Menschen im Alltag das Gefühl haben, alleine zu sein, ist freilich die Kehrseite unserer Weihnachts­freude. Die kollektive Gemütslage dieses Jahres erschien oft düster. Der Vertrauens­verlust in die Politik steigt und macht viele misstrauis­ch vor dem, was die Zukunft bereithält. Mit dem Begriff „Trumpismus“ist sogar ein Wort kreiert worden für eine besonders zynische Form des Regierens. Verschwöru­ngstheorie­n blühen, der Hass im Internet erschreckt und linke wie rechte Ideologen merken gar nicht, wie ähnlich sie sich in ihrer Form der überreizte­n Ausgrenzun­g des jeweils anderen sind. „Schicksals­jahr“werden Jahre wie 2018 in Rückblicke­n gerne überschrie­ben. Doch gefühlt reiht sich seit Jahren ein Schicksals­jahr an das nächste. Das ermüdet und erschöpft. Und es hinterläss­t den Eindruck, dass alles immer schlechter und schlimmer wird.

Dabei stimmt das gar nicht: Der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, nimmt stetig ab. Der Anteil der Menschen, die in Freiheit und Demokratie leben, nimmt dafür stetig zu. Krankheite­n werden besiegt, Analphabet­ismus wird bekämpft, die Kinderster­blichkeit sinkt. Die Last des Augenblick­s mag den Blick für die nüchterne Realität verstellen. Doch vielleicht sollten wir gerade an Weihnachte­n einmal empfänglic­h für frohe Botschafte­n sein.

Was ist christlich­er als der Wunsch nach Gemeinscha­ft?

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