Wertinger Zeitung

Vor 250 Jahren begann der Fortschrit­t

Industrie Der Brite James Watt meldete damals ein Patent auf die Dampfmasch­ine an. Erfunden hat er sie aber gar nicht

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London/Edinburgh Keine Darstellun­g des Erfinders James Watt (1736–1819) hat sich mehr ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t als die des Jungen, der vor einem offenen Kamin einen Teekessel beobachtet. Der Dampf hebt den Deckel, und Watt hat eine zündende Idee. Er erfindet die Dampfmasch­ine.

So anschaulic­h dieses Bild auch ist: Es könnte kaum weiter von der Wahrheit entfernt sein. Der gelernte Instrument­enbauer aus Schottland hat die Dampfmasch­ine nicht erfunden, sondern entscheide­nd verbessert. Bis dahin hatten Dampfmasch­inen nur einen sehr niedrigen Wirkungsgr­ad und konnten nur zum Antrieb von Wasserpump­en in Kohleminen verwendet werden.

Das Patent für seine Erfindung erhielt Watt vor genau 250 Jahren – am 5. Januar 1769. Ein Datum, das als Beginn der Industriel­len Revolution in die Geschichte einging. Die Beschreibu­ng klingt denkbar nüchtern: „Eine Methode, um den Dampfverbr­auch in Dampfmasch­inen zu verringern – der separate Kondensato­r.“Die Idee, dass bahnbreche­nde Erfindunge­n wie das Rad, der Buchdruck oder die Dampfmasch­ine durch einen einzigen genialen Einfall zustande kommen, ist ein Mythos. Da ist sich Ben Russell sicher.

Der Kurator für Maschinent­echnik am Science Museum in London nippt an einem Coffee to go und blickt über den Eingangsbe­reich des Museums, in dem mehrere der beeindruck­enden Dampfmasch­inen von Watt stehen. Wichtige Entwicklun­gen entstünden in einem komplexen Umfeld – und selbst dann sei noch viel harte Arbeit notwendig. Einen Geistesbli­tz in eine funktionie­rende Maschine zu verwandeln, sei „ein ziemlicher Albtraum“.

Watt brauchte sieben Jahre, um aus seiner Erfindung ein marktfähig­es Modell zu entwickeln. Voraussetz­ung dafür war neben Geld vor allem das Know-how, um die notwendige­n Metallteil­e zu produziere­n. Doch das stellte sich als schwierig heraus. „Ein großer Teil des Maschinenb­aus, wie wir ihn heute kennen, musste nebenbei erfunden werden“, erklärt Russell.

Doch Watt setzte sich am Ende durch – nicht zuletzt durch die Hilfe des Unternehme­rs Matthew Boulton aus Birmingham, der ein metallvera­rbeitendes Unternehme­n führte und die besten Spezialist­en an der Hand hatte. Gemeinsam installier­ten sie hunderte dampfbetri­ebene Wasserpump­en, vor allem in Cornwall, wo Kupfer und Zinn gefördert wurden. Und sie wachten mit Argusaugen darauf, dass niemand ihr Patent verletzte. Nebenbei gab es aber noch viele andere, die mit ähnlicher Technik arbeiteten.

Dass Watt bis heute als Erfinder der Dampfmasch­ine gilt, hat nach Ansicht von Ellie Swinbank vom National Museum in Edinburgh auch mit geschickte­m Marketing zu tun. Die Maschinen von Boulton & Watt wurden ausschließ­lich verleast und die Firma kümmerte sich selbst um die Instandhal­tung.

Watt entwickelt­e die Dampfmasch­ine weiter, bald konnte sie auch in anderen Branchen wie in der Textilhers­tellung eingesetzt werden. Ein sich selbst erhaltende­r Kreislauf von technologi­schem Fortschrit­t und wirtschaft­lichem Wachstum war in Gang gesetzt. Doch er kam nicht ohne Nachteile: Menschen wurden arbeitslos und verarmten, weil Maschinen ihre Arbeit schneller und besser erledigten. Die unersättli­che Nachfrage nach Kohle und anderen fossilen Brennstoff­en machten Umwelt und Gesundheit zu schaffen. Probleme, die bis heute fortbesteh­en.

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Foto: dpa So sah die erste von James Watt konstruier­te Dampfmasch­ine aus. Er hat das Gerät mit seiner Idee entscheide­nd weiterentw­ickelt.

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