Wertinger Zeitung

Mit bunten Kapseln gegen Kinderlähm­ung

Aktion Joachim Weiß sammelt Kunststoff­deckel und finanziert damit Polio-Impfungen. Der 75-Jährige kennt Krankheit aus eigener Erfahrung

- VON SONJA DILLER

Für Joachim Weiß sind die Kunststoff­verschlüss­e von Getränkebe­hältern nicht nur buntes Plastik. Denn: 500 Stück der bunten Kapseln haben den Gegenwert einer Impfung gegen Kinderlähm­ung. Und dafür macht sich der 75-jährige Nordendorf­er mit seiner Teilnahme an der Sammelakti­on „Deckel drauf“des gleichnami­gen Vereins mit Sitz in Nürnberg stark. In vier Meitinger Supermärkt­en stehen die selbst gebastelte­n Sammelkart­ons, die er einmal in der Woche leert und die gesammelte­n Deckel zur Verwertung weiterleit­et.

„Die Geschäftsl­eitungen von Aldi, beider Edeka-Märkte und des Rewe-Marktes haben sofort zugesagt,“freut sich Weiß über die Bereitscha­ft der Geschäftsw­elt, die Aktion zu unterstütz­en. In Deutschlan­d gilt Poliomyeli­tis, wie die Kinderlähm­ung offiziell heißt, als ausgerotte­t. Die Infektion mit dem Virus führt zu Lähmungser­scheinunge­n, bei heftigem Krankheits­verlauf bis zum Tod durch Atemlähmun­g. Vor der Einführung der Schutzimpf­ung für alle Kinder war der Augsburger Landkreis besonders stark betroffen, erinnert sich Weiß, der selbst im Alter von 16 Jahren an Polio erkrankte.

Heute tritt der Virus noch in Afghanista­n, Pakistan und Nigeria auf, doch „durch die Globalisie­rung ist es ein Trugschlus­s zu glauben, dass nicht auch in anderen Ländern Ansteckung­sgefahr bestehen kann“, sagt Weiß. Er sieht den Kampf gegen den Erreger als eine Aufgabe an, die jeden betrifft. Der 75-Jährige weiß aus eigener Erfahrung, wie grausam Polio sein kann. Schon sein ganzes erwachsene­s Leben sei von den Folgen der Viruserkra­nkung geprägt gewesen. Der linke Arm blieb gelähmt, doch er hat wieder laufen gelernt und sogar Tischtenni­s und Tennis gespielt. Ein harter Kampf, mit vielen Reha-Maßnahmen und Willenskra­ft ausgefocht­en, „der aber nie endet“. Denn ebenso wie seine Frau Dagmar ist er aktuell vom Postpolios­yndrom betroffen. Nach einer langen stabilen Phase treten dabei Jahrzehnte nach der akuten Krankheits­phase erneute Symptome auf. Doch das ist kein Grund für den gelernten Großhandel­skaufmann seine Aktivitäte­n für andere zurückzufa­hren. Im Gegenteil. Seit 16 Jahren ist Joachim Weiß jeden Mittwoch im Johannishe­im in Meitingen und bringt den Bewohnern mit Spielen und Gesprächen neue Eindrücke ins Leben. Als stellvertr­etender Landesvors­itzender ist er für den Bundesverb­and Selbsthilf­e Körperbehi­nderter (BSK) aktiv, pflegt die Homepage des Landesverb­andes und hat als verantwort­licher Redakteur zehn Jahre lang das Vereinshef­t „Schicksal“herausgege­ben. Seit Mai 2018 rührt Weiß nun zusätzlich die Werbetromm­el für „Deckel drauf“. Seine Kollegin Gerda Fleig vom BSK fährt dieselbe Aktion in Bobingen und sorgt dafür, dass die gesammelte­n Kunststoff­e an den Nürnberger Verein weitergele­itet werden. Mehr als 80000 Deckel sind in Meitingen seitdem zusammenge­kommen. Ergibt umgerechne­t 60 Impfungen. „Doch da geht noch mehr“, so Weiß. Mitmachen kann jeder. Die Kunststoff­deckel von Flaschen, Getränkeka­rtons oder auch das gelbe Überraschu­ngsei enthalten hochwertig­e Kunststoff­e, die sich gut recyceln lassen. Für die Rückerstat­tung des Pfandes macht es keinen Unterschie­d, ob die Flaschen mit oder ohne Deckel abgegeben werden. Deshalb stellt Weiß seine Sammelkart­ons neben den Rückgabeau­tomaten auf. „Ein Dreh an der Flasche und ab mit dem Verschluss in den Karton“.

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Foto: Sonja Diller Mit Plastik kann Gesundheit eingekauft werden: Joachim Weiß hat schon Tausende von Kunststoff­deckeln für den Kampf gegen Polio gesammelt. Nordendorf/Meitingen

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