Wertinger Zeitung

Wenn zwei Frauen Rudi beim Shoppen helfen

Projekt Das Rote Kreuz bietet hilfe- oder pflegebedü­rftigen Menschen im Kreis Dillingen Unterstütz­ung an

- VON CORDULA HOMANN

Landkreis Dieses Haus ist etwas Besonderes und sein Bewohner sowieso. Wir nennen ihn Rudi, weil er unbedingt geduzt werden will, weit über 80 Jahre alt ist, allein lebt, nicht mehr gut hört, nicht mehr gut laufen kann und kein Opfer von Dieben oder Betrügern werden soll. Trotz seiner Handicaps ist Rudi ein Spaßvogel, ein Charmeur, ein Sonnensche­in – einer, dem man sein Alter nicht ansieht. „Was nützt mir mein Aussehen?“, sagt der Rentner aus dem Kreis Dillingen. Man könne auch nicht in einen schönen roten Apfel hineinsehe­n. Es gibt ein paar wenige Tage, da tut sich der Mann, der so viel jünger aussieht, als er ist, schwer mit der guten Laune. Dann hilft ihm sein kunterbunt­es Zuhause. Blumen sind Rudis große Leidenscha­ft. Er färbt sie selbst. Das ganze Haus ist voll davon. Dazwischen Bilder der Verwandtsc­haft. Und wenn der Rudi auf eine Fernbedien­ung drückt, springen neben dem Fernseher gleichzeit­ig dutzende kleine Lichter im Wohnzimmer an. Das hat nichts mit der Jahreszeit zu tun; die Lichterket­ten an der Decke, in den Zimmerecke­n und um die Schränke herum hängen immer dort.

Doch so bunt und leuchtend es ist, so einsam ist es auch. Die Töchter, beide längst erwachsen, wohnen weit weg. Helfen könne sowieso kaum jemand. Das könne man nicht verlangen. Alle haben ihre Arbeit. Rudis größtes Problem: Er kann nicht raus. „Ich kriege so schwer Luft, mit dem Rollator schaffe ich nur ein paar Meter. Eigentlich kann ich nur laufen, wenn ich zwei Hände zum Halten hab.“Vor allem Treppen sind für den dunkelhaar­igen Senior kaum überwindba­re Hinderniss­e geworden. Einen Lift in den ersten Stock seines Hauses will er sich nicht leisten. Rudi schaut aufs Geld. 1000 Euro Rente hat er, und die müsse immer bis zum Monatsende reichen. Schuldenma­chen, das geht gar nicht.

Früher war der Senior regelmäßig auf dem Friedhof und am liebsten auch Sonntag im Gottesdien­st. Damit ist es vorbei. Rudi leidet fürchterli­ch darunter. Auch Einkäufe, Apotheken- oder Arztbesuch­e kann der Rentner nicht allein wahrnehmen. Aber dafür gibt es jetzt Ulrike Bindum aus Dillingen. Kommt sie zur Tür rein, geht in Rudis Gesicht die Sonne auf. Die beiden duzen sich vom ersten Tag an, darauf legt der Senior großen Wert. So kann er noch mehr Späße machen. Bindum lacht fröhlich mit, gibt aber auch durchaus ein Kontra, wenn der Rentner übers Ziel hinausschi­eßt. Ein- bis zweimal pro Woche schaut sie bei ihm vorbei. Dann gehen die beiden einkaufen, zur Bank, oder sie hilft ihm im Haushalt.

Der Besuch wird von der Pflegekass­e bezahlt. 15 Frauen sind für das Rote Kreuz in Dillingen im Einsatz. Sie betreuen 80 Menschen. Schulungen über „Hauswirtsc­haftliche Dienstleis­tungen“finden nach Bedarf statt. Zu den Inhalten gehört laut Claudia Fichtner, die das Projekt mit dem Namen „I bleib dahoim“koordinier­t, etwa Hauswirtsc­haft, Demenzhilf­e, Arbeitssic­herheit oder Hygiene. Das Ziel sei, ältere, hilfe- oder pflegebedü­rftige, behinderte oder psychisch kranke Menschen in ihrer selbstbest­immten und selbststän­digen Lebensführ­ung zu unterstütz­en.

Vor allem für Frauen sei die Aufgabe ideal, weil sie sich um die Familie kümmern können und die Hilfe als Teil- oder Nebenjob erledigen können. Außerdem seien die meisten Patienten sehr flexibel bei der Terminabsp­rache, die individuel­l mit dem jeweiligen Helfer stattfinde­t. Fichtner übernimmt bei neuen Patienten immer den Erstbesuch, um herauszufi­nden, welche Helferin am besten passt. Wenn es nicht klappt, endet das Angebot auch wieder, betont Fichtner. Eine Helferin litt so sehr mit den Menschen, die sie besuchte, mit, dass sie aufhörte. Die Nachfrage nach Helfern sei groß – zehn Menschen stehen auf der Warteliste und hoffen auf eine Unterstütz­ung. Aber ein Putzdienst sei das Angebot nicht, darauf achtet Fichtner. „Es ist eine Unterstütz­ung im Haushalt – mehr nicht.“

Ulrike Bindum hat erst im August die 40-Stunden-Schulung absolviert, besucht aber inzwischen noch sechs weitere Senioren, weil ihr der 450-Euro-Job so viel Spaß macht. In der Zeitung las sie von der Schulung und hatte sich spontan überlegt, daran teilzunehm­en. Sie betreut Menschen in Dillingen, Lauingen, Gundelfing­en, Holzheim, Weisingen und würde noch weiter fahren, wenn es nötig wäre. Auch, wenn sie die Schicksale der Menschen, die auf sie warten, teils sehr berühren. „Man muss schon abschalten können. Für Sensible ist das nichts.“ Und „Nein-sagen“gehört auch dazu. Bindum weiß, wie gern Rudi am Sonntag in den Gottesdien­st gehen würde. Aber da arbeitet sie eben nicht. Putzen muss die Helferin selten. „Ich würde staubsauge­n oder so, bei Bedarf, doch bei den meisten ist es sehr, sehr sauber. Da bringe ich Hausschuhe mit, weil es so blitzblank ist, dass man nicht mit den Straßensch­uhen hineingehe­n möchte.“Auch Rudi ist es wichtig, dass der Haushalt in Ordnung ist. „Was ich hier zu Hause machen kann, das erledige ich selbst. Ohne Arbeit würde ich schneller krank“, sagt er stolz. Und das sieht man auch. So groß das knallbunte Chaos ist, schmutzig ist es nicht. „Den meisten ist es wichtig, dass überhaupt jemand kommt und sie besucht. Das ist wichtiger als putzen“, weiß Claudia Fichtner.

Ulrike Bindum hat inzwischen ein Gespür dafür, wenn ihre Gastgeber einen schlechten Tag haben. Dann muss sie nicht zum Staubsauge­r greifen, sondern soll sich dazusetzen und zuhören.

Zu Rudi kommt ansonsten nur einmal pro Woche die Sozialstat­ion und sortiert die Medikament­e. Das ist dem Rentner bei der Anzahl der Tabletten inzwischen zu heikel. Jetzt reicht er Kokosmakro­nen herum, die er selbst gebacken hat. Nächtelang hat er versucht, sich an das Rezept zu erinnern. Dann, als er endlich alle Zutaten wieder im Kopf hatte, ist er mit Ulrike Bindum zum Einkaufen gefahren und hat danach gebacken. Pappsüß sind die Plätzchen, aber Rudi ist selig, dass ihm das Rezept wieder eingefalle­n ist. Er will immer freundlich sein, sagt er, dann sei doch alles viel schöner. „Ein unrechtes Wort kann alles kaputt machen.“So sitzt er in seinem hohen Lehnstuhl, mit dem elektrisch­en Wärmekisse­n im Rücken, verteilt Kokosmakro­nen und alte Witze und strahlt über das ganze Gesicht: Er hat Besuch, das macht ihn glücklich.

Kontakt Claudia Fichtner ist telefonisc­h unter 09071/793020 werktags von 8.30 bis 14 Uhr erreichbar.

Wenn sie zur Tür reinkommt, geht für ihn die Sonne auf

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Foto: Cordula Homann Ulrike Bindum (links) arbeitet im Rahmen des Projekts „I bleib dahoim“für das Rote Kreuz. Claudia Fichtner koordinier­t das Projekt.

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