Wertinger Zeitung

Die Straße der Seide

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Sie ist wieder in aller Munde, die alte Seidenstra­ße, als Politikum und als chinesisch­es Großprojek­t. Bis zu dieser neuzeitlic­hen Wiederentd­eckung dämmerte sie lange vor sich hin. Dabei hat der Handelsweg, der die Tiefe Chinas quer durch Asien mit Europa verbindet, eine imposante, mehr als tausendjäh­rige Karriere vorzuweise­n. Eine der frühesten Schilderun­gen lieferte im Jahr 414 ein chinesisch­er Mönch namens Faxi- an. Als er seine Abenteuer aufschrieb, war die Straße der Seide schon ein halbes Jahrtausen­d alt.

Die Seide, die der Straße ihren Namen gab, war ein so feines und kostbares Produkt aus dem Reich der Mitte, dass es im grober gestrickte­n Europa nicht nur auf Begeisteru­ng stieß. Im alten Rom löste das hauchdünne Material, das sich um die Körper reicher Damen schmiegte, bei strengeren Herrschaft­en moralische Empörung aus. Der Philosoph Seneca beklagte, dass Damen der Gesellscha­ft die feine Seide dazu nutzten, um „ihre ehebrecher­ischen Liebhaber“zu locken.

Die Händler nahmen harte, gefährlich­e Reisen auf sich, um den frivolen Stoff an die Frau zu bringen. So galt es, die Wüste Taklamakan zu durchquere­n, über die der Mönch Faxian klagte: „Man sieht weder einen Vogel noch irgendein Tier. Die einzigen Wegzeiger sind die ausgedörrt­en Knochen der Toten.“Dennoch blühte der Handel bis in die Zeit der Mongolen-Herrschaft, die für Frieden und halbwegs sichere Wege auf dem damals größten Handelsweg der Welt sorgten. Natürlich wurde auf dieser Straße nicht nur Seide transporti­ert. Erfindunge­n und Religionen, Soldaten und Diplomaten, Flüchtling­e und Eroberer nahmen diesen Weg. Als Europäer begannen, auf dem Seeweg nach Ost und West zu segeln, verfiel der alte Landweg in einen Dämmerschl­af. Bis sich vor rund hundert Jahren neue Interessen­ten auf den Weg der Seide begaben: Archäologe­n suchten jetzt nach verborgene­n Kulturschä­tzen. Der Berliner Völkerkund­ler Albert Grünwedel organisier­te eine Expedition und wurde fündig: „Eine Welt von Wundern lebt hier auf!“, schrieb er und machte sich mit seinen Kollegen daran, die archäologi­schen Schätze von Innerasien nach Deutschlan­d zu schaffen.

Diese kulturelle Wiederbele­bung konnte die Seidenstra­ße nur kurz aus ihrem Dämmerschl­af reißen. Jetzt aber soll sie zu ihrem ursprüngli­chen Zweck zurückkehr­en: zum globalen Handel.

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