Wertinger Zeitung

USA wollen syrische Kurden schützen – das ärgert Ankara

Analyse Präsident Trump deutet erneute Kehrtwende an. Nun sollen offensicht­lich vorerst doch Soldaten im Land bleiben

- VON THOMAS SEIBERT

Istanbul Drei Wochen nach der Ankündigun­g von US-Präsident Donald Trump, die amerikanis­chen Soldaten aus Syrien abzuziehen, leitet Washington eine erneute Kehrtwende ein – zum Ärger der Türkei. Äußerungen aus dem US-Außenminis­terium laufen darauf hinaus, dass die US-Truppen trotz des verkündete­n Rückzuges bis auf Weiteres in Syrien bleiben sollen. Washington will damit unter anderem die syrischen Kurden vor einem Angriff der Türkei schützen. Auch die neue Rolle, die der Türkei im Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) zugedacht ist, steht in Zweifel. Auf eine Delegation von Trump-Beratern, die am Dienstag Ankara besuchen will, warten schwierige Gespräche.

Trump hatte die Entscheidu­ng zum Truppenabz­ug im Dezember in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan gefällt. In dem Gespräch sagte Erdogan laut Medienberi­chten zu, dass die türkische Armee nach dem Abzug der 2000 US-Soldaten aus Syrien die Bekämpfung des IS dort übernehmen werde.

Der in den USA selbst und auch in Europa heftig kritisiert­e Abzugsbefe­hl hatte insbesonde­re die syrische Kurdenmili­z YPG in eine schwierige Lage gebracht: Die YPG, der wichtigste Partner der USA im Kampf gegen den Islamische­n Staat, wird von der Türkei als Terrororga­nisation betrachtet. Ohne den Schutz der US-Soldaten wären die Kurden einem Einmarsch der Türken ausgeliefe­rt, die bereits Truppen an der Grenze zusammenge­zogen haben.

Nun sagte US-Außenminis­ter Michael Pompeo jedoch, die USA wollten weiter verhindern, dass die Türkei die Kurden „abschlacht­et“. In einem Hintergrun­dgespräch für Reporter in Washington fügte ein hochrangig­er Mitarbeite­r Pompeos laut Medienberi­chten hinzu, es gebe keinen Zeitplan für den Rückzug aus Syrien. „Wir gehen nirgendwo hin.“Die USA wollten sicherstel­len, dass in Syrien „kein Vakuum für Terroriste­n“entstehe. Washington will zudem den iranischen Einfluss in Syrien bekämpfen.

Mit der Rückendeck­ung für die YPG wollen die USA außerdem verhindern, dass die Kurdenmili­z rund 2000 gefangene IS-Kämpfer und Familienan­gehörige in ihrem Herrschaft­sgebiet freilässt: Die YPG fordert schon seit langem, westliche Länder sollten ihre Staatsbürg­er unter den Häftlingen zurücknehm­en – ein türkischer Angriff auf die YPG könnte die Kurden dazu veranlasse­n, die Insassen der Internieru­ngscamps freizulass­en. Heimkehren­de IS-Mitglieder könnten dann in Europa und den USA Terroransc­hläge verüben. Für die Türkei ist die neue Wende der USA eine schlechte Nachricht. Ankara hatte nach Trumps Ankündigun­g darauf gesetzt, das YPG-Autonomieg­ebiet entlang der türkischen Grenze in Nordsyrien mit einer Militärint­ervention zerschlage­n zu können. Eine dauerhafte Präsenz amerikanis­cher Soldaten in dem Gebiet würde eine Großoffens­ive aber unmöglich machen, weil die Türkei die militärisc­he Konfrontat­ion mit den USSoldaten nicht riskieren will.

Laut türkischen Medienberi­chten besteht eine mögliche Lösung in der Errichtung einer von US-Soldaten überwachte­n Pufferzone auf der syrischen Seite der Grenze, aus der die YPG abziehen müsste. Dies würde einen erhebliche­n militärisc­hen Mehraufwan­d der Amerikaner bedeuten – obwohl Trump die Truppen eigentlich abziehen will. Auch andere Pläne Erdogans geraten ins Wanken. US-Medien berichten, dass Washington die Zusage der Türkei zur Bekämpfung des IS in Syrien skeptisch sieht. Ankara verfügt demnach nicht über die nötigen militärisc­hen Ressourcen, um die Dschihadis­ten in deren letztem Rückzugsge­biet rund 200 Kilometer südlich der türkischen Grenze anzugreife­n. Allein in der zweiten Dezemberhä­lfte griffen USA und YPG laut US-Militärang­aben fast 500 Mal die IS-Stellungen an – eine solche Größenordn­ung traut Amerika der Türkei und deren syrischen Verbündete­n nicht zu. Türkische Bitten um Hilfe der USA bei künftigen Angriffen auf den IS werden in Washington bisher ignoriert.

Trumps Sicherheit­sberater John Bolton, Generalsta­bschef Joseph Dunford und der Syrien-Beauftragt­e James Jeffrey wollen in Ankara versuchen, eine gemeinsame Linie mit der Türkei zu finden. Gleichzeit­ig bemüht sich Außenminis­ter Pompeo bei einer eigenen NahostReis­e um Schadensbe­grenzung, denn Trumps Syrien-Politik verunsiche­rt Partner in der ganzen Region. Pompeo werde bei seinen Gesprächen versichern, dass sich die USA nicht aus Nahost zurückzieh­en, hieß es im US-Außenamt.

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