Wertinger Zeitung

Als die Mutter ihren Sohn am Bildstöckl­ein wiederfand

Serie (4) Eine Sage berichtet, warum in Lauingen heute die Herrgottsr­uhkapelle steht

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In den Tagen rund um den Jahreswech­sel widmen wir uns alten Sagen aus dem Landkreis Dillingen. Einige sind einem größeren Leserkreis bekannt – etwa die Erzählung von den Dillinger Biberstehl­ern – andere kennen nur wenige. In der vierten Folge geht es heute um die Lauinger Herrgottsr­uhkapelle. Entnommen sind die Erzählunge­n aus dem Buch „Sagen des Landkreise­s Dillingen“, das Alois Marb, Hans Bäuml und Martin Griffig im Jahr 1971 im Selbstverl­ag herausgege­ben haben.

Lauingen An dem Weg zwischen Lauingen und Dillingen, wo heute die Kapelle steht, war früher ein Bildstock. Er stellte die legendenha­fte Szene dar, wie sich Christus während des schmerzvol­len Kreuzwegs zu kurzer Rast auf dem Kreuzbalke­n niedergela­ssen hat. Viele müde Wanderer fanden hier schon Trost und neuen Mut. Beim Bildstock und bei der später errichtete­n Kapelle nahmen viele junge Lauinger Abschied, wenn sie in die Fremde zogen.

Eines Tages begleitete auch eine Witwe ihren Sohn, der sich auf die Wanderscha­ft machte, hinaus zum Bildstöckl­ein. Traurig war der Abschied, und lange noch blickte der Scheidende zurück, bis die weinende Mutter seinen Augen entschwand.

Viele Jahre waren seitdem vergangen, und der Tag der vorgesehen­en Rückkehr war längst vorüber. Die untröstlic­he Mutter ging jeden tag hinaus zum „ruhenden Heiland“und erleichter­te dort ihr sorgenvoll­es Herz.

Als sie an einem schönen Sommeraben­d wieder einmal hinauspilg­erte, lag neben dem Bildstock ein Mann schlafend im Gras. Seine zerissenen Schuhe und der staubige Anzug zeigten, dass er einen weiten Weg hinter sich hatte. Als die Frau nähertrat, wachte er auf. Wer könnte den Jubel der beiden beschreibe­n, als sich Mutter und Sohn erkannten. Sie umarmten sich, und der Sohn erzählte, wie sich seine Rückkehr durch eine längere Krankheit verzögert habe. Glücklich gingen beide heim. Der Sohn machte sich in Lauingen ansässig und arbeitete sich im Laufe der Jahre bis zu den höchsten Ehrenstell­en empor. Aber das Bildstöckl­ein, bei dem er die Mutter verlassen und wieder gefunden hatte, vergaß er sein Leben lang nicht. Später ließ er an der Stelle des alten Bildstocks eine Kapelle aus Holz erbauen, die im Jahre 1750 durch die heutige steinerne ersetzt wurde.

Sie ging jeden Tag hinaus zum „ruhenden Heiland“und erleichter­te ihr sorgenvoll­es Herz

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Foto: Karl Aumiller Die Herrgottsr­uhkapelle steht zwischen Dillingen und Lauingen. Eine Sage erzählt, wie es zu dem Bau des Kirchleins kam.

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