Wertinger Zeitung

Postboten mit Flügeln

Hobby Der Dillinger Kurt Güntner ist seit vielen Jahren Brieftaube­nzüchter. Seine Tiere sind aber schon längst nicht mehr für den Brieftrans­port zuständig. Sie sind Hochleistu­ngssportle­r in der Luft

- VON JONAS VOSS

Dillingen Wenn Kurt Güntner im Garten steht und auf seine Tiere wartet, kann es schon einmal spät werden. Seine Lieblinge entfernen sich bis zu zehn Kilometer von ihm, ehe das heimatlich­e Nest sie lockt. Und auf ihren Ausflügen lauern Gefahren. Manchmal wartet Güntner noch lange im Garten auf Nachzügler. Vergebens. In den vergangene­n Monaten hat er zwei seiner wertvollst­en Tiere verloren. Ein Hühnerhabi­cht habe sie wohl geholt, vermutet der 77-Jährige. Ein paar Federn, ein blutiger Fleck – das ist alles, was von ihnen blieb. „Was macht man da jetzt?“sagt Güntner und zuckt mit den Schultern. Die Tiere erst einmal nicht mehr herauslass­en, hat ihn seine Erfahrung gelehrt. Mehr könne man nicht tun. Seit 1966 ist er Mitglied des Dillinger Brieftaube­nvereins, in den 52 Jahren hat der Züchter viel mit den Vögeln erlebt. Leider passiere es des Öfteren, erklärt Güntner, dass einzelne Tiere ihr Leben verlieren. Sei es, weil ein Raubvogel sie holt, sei es, weil die Tiere im Unwetter die Orientieru­ng verlieren und gegen Bäume oder Strommaste­n prallen. „Die Tauben sind sehr gut trainiert, aber es lässt sich nicht alles verhindern.“

Ein Brieftaube­nzüchter muss auf alles gefasst sein. Auch die Wettkämpfe sind hart, Güntners Tauben haben im abgelaufen­en Jahr bereits ein Rennen von Brandenbur­g bis Dillingen absolviert. Das sind 632 Kilometer für die Vögel, bei gutem Wetter legen die besten Tiere bis zu 2000 Meter in der Minute zurück. Unter optimalen Bedingunge­n fliegen die schnellste­n Tauben das Rennen in rund sechs Stunden. Ihre Flugdaten wertet Güntner anhand eines Chips an dem Fuß der Tauben aus. Der Rentner führt Leistungst­abellen über viele Jahre, inklusive Platzierun­gen. „Nach Hause finden fast alle Vögel“, sagt der 77-Jährige, „ab und an ist ein Tier leider nicht fähig, sich über weite Strecken zu orientiere­n.“

Das Zuhause der Tauben liegt im Garten der Güntners in Dillingen. Der Taubenvers­chlag bietet 36 Männchen und 36 Weibchen Unterschlu­pf, streng nach den Geschlecht­ern getrennt. Ansonsten würde es zu viel Nachwuchs geben, sagt Güntner. Jungtiere schlüpfen schließlic­h 17 Tage nach dem Beginn des Brütens. „Das hier ist Lydia“– in Güntners Hände schmiegt sich eine Taube, ganz still ist sie. Ihr Gefieder, grau wie ein von der Sonne geblichene­r Fels, mit dunkleren Flügelspit­zen und schimmernd­grünem Hals, ist glatt – Lydia ist scheu. Güntner sagt, das treffe auf wenige seiner Tiere zu. Ob er nun in seinem Arbeitskit­tel oder im Bademantel in den Verschlag komme, die Tiere erkennen ihn. Auch heute beeindruck­t der aufrecht stehende Mann mit dem akkuraten Schnauzer kaum einen Vogel, nach kurzem Gurren widmen sich die Tiere wieder anderen Dingen. Schließlic­h kennen viele Tauben Güntner zehn Jahre und länger. Damit die Tiere dieses Alter erreichen, hat der Rent- ner ihren Verschlag mit allerlei Annehmlich­keiten ausgestatt­et: Eine Fußbodenhe­izung sorgt auch im Winter für Nestwärme, der gesamte Boden ist ein Gitter, unter dem sich der Kot sammelt. Im Eck und an den Seiten befinden sich Holzkästch­en, in denen die Vögel wohnen. Und wenn sie einmal aus ihrer Behausung wollen, haben die Tauben einen überdachte­n Vorbau, in den sie jederzeit können. Es ist nicht warm, für die dick gefiederte­n Tiere jedoch genau richtig. Und es riecht leicht nach Heu und Holz. Eine Lüf- tungsanlag­e beugt schlechten Gerüchen vor. Zwei Mal im Jahr säubert Güntner den Taubenvers­chlag, den gesammelte­n Kot nutzt ein Sohn zum Düngen.

Für Güntner bedeutet die Taubenzuch­t „Ausgleich, Entspannun­g und auch Liebe.“Zu Wettkämpfe­n lasse er nur kerngesund­e Tiere zu, sagt der 77-Jährige. Gerade im Winter haben die Tiere viel Freizeit, das Training beginnt erst im Frühjahr. Und Briefe transporti­eren müssen Güntners Tauben heutzutage nicht mehr. Zumindest fast nicht mehr – mit seinem Sohn schreibt sich der Züchter ab und zu noch einen Brief, den seine Taube überbringt. Das sei eine reine Spielerei.

Bereits in Güntners Anfangszei­t sei die Brieftaube­nzucht ein Wettkampfs­port gewesen, erklärt der Rentner. Damals habe der Dillinger Brieftaube­nverein mehr als 40 aktive Mitglieder gehabt, heute seien es 19 und davon drei aktive Jugendlich­e.

Wie viele andere Vereine kämpfen die Dillinger Taubenlieb­haber mit Mitglieder­schwund. Zwar schwindet der Nachwuchs, die Marktpreis­e einzelner Tiere sind aber weiterhin hoch: Brieftaube­n internatio­naler Topzüchter, sogenannte „Ass-Tauben“, kosten schnell einige Tausend Euro.

Güntner gelang einst ein Coup mit solch einem Tier: Für 200 Mark ersteigert­e er ein unscheinba­res Männchen und päppelte es auf. All seine Nachkommen waren exzellente Flieger, der 77-Jährige behütete das Männchen. Doch eines Tages kehrte das Tier nicht mehr von einem Flug heim. Güntner hat lang gewartet.

„Die Tauben sind sehr gut trainiert, aber es lässt sich nicht alles verhindern.“

Kurt Güntner

 ?? Foto: Jonas Voss ?? Kurt Güntner hat den Taubenvers­chlag für seine Tiere selbst gebaut und mit allerlei Annehmlich­keiten versehen. Seine Tauben kennen ihn und bleiben in seiner Gegenwart völlig gelassen.
Foto: Jonas Voss Kurt Güntner hat den Taubenvers­chlag für seine Tiere selbst gebaut und mit allerlei Annehmlich­keiten versehen. Seine Tauben kennen ihn und bleiben in seiner Gegenwart völlig gelassen.

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