Wenn die Moneten wichtiger sind als die Moral
Die Bundesregierung kritisiert offiziell die verheerende Menschenrechtslage in der Türkei. Berlin kann und will vom Erdogan-Staat aber auch nicht lassen
Die Lage ist erschreckend. Laut Auswärtigem Amt sitzen 49 deutsche Staatsangehörige in türkischen Gefängnissen. Nicht alle dieser Menschen haben gestohlen oder betrogen. Nach dem Putschversuch Mitte 2016 gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan wurden 35 Deutsche wegen politischer Strafvorwürfe inhaftiert. Davon befinden sich immer noch fünf in türkischer Haft.
Über das Schicksal der Inhaftierten ist auch deshalb wenig bekannt, weil eine freie Berichterstattung in der Türkei schwierig ist. „Dies liegt vor allem an den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Rahmenbedingungen der Pressefreiheit in der Türkei, der teilweise mangelnden Unabhängigkeit der Medien und schließlich an den für die Pressefreiheit besonders abträglichen Repressionen gegenüber Journalisten in der Türkei“, konstatiert die Bundeszentrale für politische Bildung.
Die mangelnde Pressefreiheit ist ein Grund, warum die Türkei noch nicht EU-Mitglied ist, obwohl sie schon so lange daran arbeitet. Seit deutlich mehr als 30 Jahren bemüht sich das eurasische Land um einen Beitritt. Erst rund die Hälfte der sogenannten Beitrittskapitel ist eröffnet und problematische Bereiche wie Grundrechte sowie Justiz, Freiheit und Sicherheit wurden noch nicht einmal angefasst.
Die Bundesregierung mahnt Grundrechtsverstöße zwar an, sie lässt den Worten aber keine Taten folgen. Sie lässt sich sogar einiges gefallen, wie das Beispiel des Moscheeverbandes Ditib zeigt. Der Erdogan nahestehende Verband zieht seit Jahren schon das Missfallen deutscher Politiker und Behörden auf sich. Aber zu Maßnahmen, etwa einer Überwachung durch den Verfassungsschutz, kann sich Berlin nicht durchringen.
Mit Diplomatie hat der Kuschelkurs der deutschen Regierung nichts mehr zu tun. Es geht um ganz andere Dinge, vor allem um Flüchtlinge und ums Geld. So hält die Türkei immer noch Millionen syrischer Flüchtlinge davon ab, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen. Kanzlerin Angela Merkel ist darauf angewiesen, denn sie steht mit ihrem Versprechen im Wort, dass sich ein Flüchtlingszuzug wie 2015 nicht wiederholen wird. Sollte dies doch geschehen, könnte das die CDU-Politikerin den Job kosten.
Darüber hinaus soll die Türkei als Wirtschaftspartner gehalten werden. Das Land ist ein Türöffner für viele asiatische Märkte, ein wichtiger Fürsprecher für deutsche Investitionen. Nicht umsonst gründeten beide Seiten im Oktober eine gemeinsame Wirtschafts- und Handelskommission. Sie soll trotz der anhaltenden Grundrechtsverletzungen in der Türkei nichts weniger tun, als die Beziehungen in der Handels- und Wirtschaftspolitik auf eine neue Grundlage zu stellen.
Deutschland und die Türkei sind, was wenig bekannt ist, auch Partner in der Asiatischen Infrastrukturinvestmentbank. Berlin redet nicht gerne über die AIIB, an der sie mit rund 100 Milliarden US-Dollar beteiligt ist.
Unterm Strich sind in den deutsch-türkischen Beziehungen Moneten wichtiger als Moral. Das ist peinlich für Deutschland, das sich in diesem Jahr bei vielen runden Gedenktagen etwa zur Gründung der Bundesrepublik die Zeiten von Unterdrückung und Unfreiheit besonders vor Augen führt.
Möglicherweise wird 2019 aber ja doch noch das Jahr, in dem die Türkei einen wirklich spürbaren politischen Hieb bekommt. EVPSpitzenkandidat Manfred Weber jedenfalls will die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei beenden, falls er Kommissionspräsident werden sollte. Es wäre auf Sicht die einzige Maßnahme, die Erdogan und die Türkei zum Einlenken bewegen könnte.
Ein klares Nein zum EU-Beitritt wäre ein Signal