Wertinger Zeitung

Was trieb den Hacker an?

Cyber-Angriff Der 20-jährige Hesse hat die Ermittler durch seine Eitelkeit auf seine Spur gebracht. Ihm droht eine hohe Geldstrafe. Ein Einzelfall ist der „Kinderzimm­er-Täter“nicht

- VON DOMINIK DOSE UND MARGIT HUFNAGEL

Berlin Mit einer Mischung aus Belustigun­g und Verwunderu­ng reagierte Deutschlan­d auf die Festnahme des 20-jährigen Hackers, der Daten von rund 1000 Politikern, Prominente­n und Journalist­en abgezapft hat. Ein Nerd, der vom Kinderzimm­er aus die Behörden herausford­ert? Ein Stubenhock­er, der es schafft, die Sicherheit­sdienste in Alarm zu versetzen?

„Kinderzimm­er-Täter“seien im Bereich der Cyberkrimi­nalität keine Seltenheit, erklärt BKA-Präsident Holger Münch. Er warnt Eltern: Nicht alle, die viele Stunden einsam vor dem Bildschirm sitzen, wollen nur spielen. Er erinnert an einen jungen Täter, der von zu Hause aus im großen Stil im Darknet Drogen verkauft hat. Noch nicht einmal neu ist das Phänomen: Am 23. Juni 1987 setzten amerikanis­che Fahnder einen damals 25 Jahre alten Programmie­rer in Hannover fest, der über das Internet militärisc­he Einrichtun­gen in den USA ausgespäht hatte – darunter auch das Pentagon, Sitz des US-Verteidigu­ngsministe­riums. Mithilfe weiterer Hacker aus Hannover hatte der Mann die brisanten Daten in Ostberlin dem sowjetisch­en Geheimdien­st KGB angeboten. Sein Synonym im Netz war damals übrigens „Urmel“.

Häufig steckt noch nicht einmal eindeutige kriminelle Energie hinter den Taten – sondern vielmehr eine ausgeprägt­e Eitelkeit und der Wunsch, es der Gesellscha­ft einmal richtig zu zeigen. Auch der 20-jährige Hesse hat keine Vorstrafen. Doch für die Behörden ist er auch kein ganz unbeschrie­benes Blatt. Münch sagt, der inzwischen wieder freigelass­ene Beschuldig­te sei bereits vor gut zwei Jahren als Tatverdäch­tiger im Zusammenha­ng mit der „Ausspähung von Daten“ermittelt worden. Der BKA-Chef zeichnet das Bild eines jungen Mannes, der zwar starke Meinungen hat – die Politiker, deren Daten er veröffentl­icht hat, hat er sich danach ausgesucht, ob ihm ihre Äußerungen oder die Positionen ihrer Partei nicht passten. Nach Meinung des Vorsitzend­en des Chaos Computer Clubs, Linus Neumann, habe der Angreifer aber ein „viel zu großes Geltungsbe­dürfnis“. Er habe sich regelmäßig damit gerühmt, bestimmte Personen in Fallen gelockt und ihre Accounts übernommen zu haben. „Stellen Sie sich einen Bankräuber vor, der nach seiner Tat damit angibt, wie einfach es war, eine Bank zu überfallen, oder wie viel Geld er jetzt hat – das geht nicht lange gut.“

Vom Vorgehen des Täters distanzier­t er sich deutlich. „Wir haben einen ganz klaren Grundsatz: Öffentlich­e Daten nützen, private Daten schützen. Das mit dem Schützen der privaten Daten wurde in dem Fall nicht so ernst genommen, insofern ist es ein ganz klarer Verstoß gegen unsere ethischen Leitlinien.“Der Chaos Computer Club interessie­re sich selbstvers­tändlich für die technische Seite des Hackings, „wir machen das aber mit einer gesellscha­ft- lichen Verantwort­ung“, erklärte Neumann. „Das heißt, wir setzten unsere Fähigkeite­n und Möglichkei­ten dafür ein, bekannte Sicherheit­slücken zu schließen, Personen zu warnen und so darauf hinzuarbei­ten, dass die Welt insgesamt eine sicherere wird.“

In der Szene selbst ist @_0rbit, wie sich der Hacker nannte, wohl kein Unbekannte­r. Laut Tomasz Niemiec, einem deutschen Youtuber, agierte er unter verschiede­nen Pseudonyme­n, oft erkennbar dadurch, dass er in seinen Namen das O durch eine Null ersetze.

Der Beschuldig­te sei sehr computeraf­fin, verfüge aber über keine entspreche­nde Ausbildung, etwa als Informatik­er, sagt der Sprecher der Zentralste­lle zur Bekämpfung der Internetkr­iminalität (ZIT) der Generalsta­atsanwalts­chaft Frankfurt am Main, Georg Ungefuk. Der Mann habe viel Zeit damit verbracht, sich am PC bestimmte Kenntnisse anzueignen. Das grundsätzl­iche Computer-Interesse und Zeit seien die Faktoren, die bewirkten, dass viele junge Leute ohne Informatik-Ausbildung sich solche Kenntnisse aneignen und entspreche­nd im Internet agieren könnten, sagt Ungefuk.

Mit einer harten Strafe muss der Hacker aus Hessen wohl nicht rechnen. Zwei Straftatbe­stände sind besonders relevant. Sie finden sich in den Strafgeset­zbuch-Paragrafen 202a und 202d: Ausspähen von Daten und Datenhehle­rei. Beide sind recht schnell erklärt: Unter Ausspähen von Daten versteht man, dass sich ein Täter Zugang zu Daten verso schafft hat, die geschützt und nicht für ihn bestimmt sind. Darunter fällt es etwa, sich in ein Benutzerko­nto einzuhacke­n, das einem nicht selbst gehört. Datenhehle­rei ist, Daten zu verbreiten, die andere Personen erbeutet haben. Zudem muss damit ein Zweck verbunden sein, etwa jemand anderem zu schaden oder sich zu bereichern.

Maximal drei Jahre Haft gibt das Strafgeset­zbuch her, auch eine Geldstrafe ist möglich. Es besteht die Möglichkei­t, den 20-jährigen Täter nach dem Jugendstra­frecht zu verurteile­n. Das ist bei allen Personen, die noch nicht 21 sind, möglich. Maßgeblich ist die festgestel­lte Reife des Angeklagte­n. Im Falle einer Verurteilu­ng nach Jugendstra­frecht soll das Urteil vor allem erzieheris­che Wirkung entfalten.

Möglich ist, dass die vom Datendiebs­tahl Betroffene­n den zivilrecht­lichen Weg beschreite­n. Neben Unterlassu­ngen sind auch Schadenser­satzoder Schmerzens­geld-Forderunge­n der betroffene­n Prominente­n und Politiker möglich. „Der Hacker wird zumindest wirtschaft­lich seines Lebens nicht mehr froh“, sagt Rechtsanwa­lt Peter Hense gegenüber Spiegel-online. „Wir reden von hohen sechsstell­igen Beträgen – wenn das ausreicht.“

Trotzdem fordert die bayerische Staatsregi­erung vom Bund härtere Strafen für Hacker. „Das ist kein Kavaliersd­elikt, sondern eine schwere Straftat“, sagte Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). Er kündigte eine Initiative des Freistaats im Bundesrat an.

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Foto: adobe-stock Ein Datendieb, der mehrere Sicherheit­sbehörden auf den Plan rief, entpuppt sich als 20-jähriger Schüler aus einer hessischen Kleinstadt.

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