Wertinger Zeitung

Damit Senioren nicht mehr zu Opfern werden

Aktion Rotes Kreuz und Polizei kooperiere­n im Landkreis Dillingen. Das Prävention­sprojekt soll Schule machen

- VON CORDULA HOMANN

Landkreis Sie klingeln an der Haustür, bitten um ein Glas Wasser, um Zettel und Stift oder bieten spontan günstige Handwerksa­rbeiten am Haus an. Sie rufen an und sprechen von einer Notlage, täuschen vor, sie seien von der Polizei oder verkünden einen überrasche­nden Gewinn. Egal, was sie tun, sie wollen nur eines: Geld, und zwar alles, was das Opfer besitzt. Und das vor allem von einer Bevölkerun­gsgruppe: Senioren. Während die Zahl der Straftaten in Nordschwab­en sinkt, werden parallel dazu immer mehr Senioren Opfer von Betrügern. Andrea Grimminger will das ändern. Die Kriminalha­uptkommiss­arin der Dillinger Polizei informiert unermüdlic­h in Vereinen über die große Gefahr. Jetzt geht sie einen Schritt weiter: In Zusammenar­beit des Polizeiprä­sidiums Schwaben Nord mit dem Kreisverba­nd des BRK in Dillingen wird sie nun dessen Mitarbeite­r schulen. Wer Essen auf Rädern ausfährt, Senioren bei der Gymnastik oder im Alltag betreut, soll wissen, wie die skrupellos­en Betrüger vorgehen und die Menschen, die er betreut, davor schützen können, ein Opfer zu werden. Auch Vertreter vom VdK, vom Weißen Ring und von der Altenpfleg­eschule Wertingen nahmen an der Auftaktver­anstaltung im BRK-Heim in Dillingen teil.

Andrea Grimminger weiß genau, nach was die Betrüger suchen, etwa im Telefonbuc­h: kurze Festnetznu­mmern. Alte Namen, nicht etwa Kevin oder Jaqueline. Adressen, wo nur noch eine Frau wohnt. Oder sie fahren vor Ort in Wohngebiet­e aus den 1950-, 1960- und 1970er Jahren ab, suchen nach Gärten mit Blumenampe­ln und Begonien statt Buchs und Thuja im Garten. Und dann geht es los: „Wir hatten einen Wasserrohr­bruch nebenan, wir müssen nachsehen, ob bei Ihnen alles okay ist“, sagte ein Mann. Die 90-jährige Bewohnerin des Hauses in Nördlingen begleitete ihn in den Keller. Kaum unten angekommen, klingelte es oben. „Das wird mein Kollege sein“, sprach der Mann und sprang hinauf. Bis die alte Dame oben angekommen war, waren die Männer längst weg. Mit ihrem Geld, ihrem Schmuck, ihren Kontodaten. „Jeder, egal, mit welcher Geschichte jemand klingelt: Er bleibt draußen“, betont Grimminger. Landrat Schrell, Vorsitzend­er des BRKKreisve­rbandes, ist dankbar für das Projekt. Er weiß, dass das BRK bei Senioren ein hohes Vertrauen genießt und hofft, dass diese die Ratschläge annehmen. Rund 10 000, vor allem ältere Mitglieder, hat der BRK-Kreisverba­nd laut Geschäftsf­ührer Stephan Härpfer. 1800 Flyer über „Betrug an der Haustür und am Telefon“sind bereits verteilt.

Denn der Betrug hört an der Haustür nicht auf: Fünf Menschen meldeten sich Anfang dieses Jahres bei der Donauwörth­er Polizei – alle waren von einem falschen Polizisten angerufen worden, sagt Polizeiprä­sident Michael Schwald vom Polizeiprä­sidium Schwaben Nord. Er hofft, dass das Projekt über Nordschwab­en und Bayern hinaus Schule macht, weil das Problem so offensicht­lich sei, dass etwas getan werden müsse.

Andrea Grimminger ergänzt, dass allein am 31. Juli 2018 in Augsburg 126 Betrugsanr­ufe auf Festnetzan­schlüsse eingegange­n sind – „und das sind nur die, die wir kennen.“Von Januar bis September vergangene­n Jahres gab es in Bayern knapp 14 000 solcher Anrufe. Die Täter fühlen sich sicher. Die Anrufer arbeiten laut Schwald oft in Callcenter­n im Ausland, wo man sie nur schwer ausfindig machen kann. Sie sprechen perfekt deutsch. Und ihre Opfer schä- men sich nach der Tat, wissen sich nicht zu helfen – oder merken den Betrug gar nicht. Traurig ist auch, dass sich laut Grimminger viele alleinsteh­ende Senioren einsam und gar nutzlos fühlen und helfen wollen, wo sie können – egal, ob einem Bettler oder der Polizei. Wer dann noch einen Anruf erhält und „110“als Absendernu­mmer sieht, dem sei nur schwer zu vermitteln, dass dahinter eine Software steckt – aber nicht die echte Polizei.

„Am Anfang sind die Anrufer sehr freundlich und die Senioren freuen sich über die Abwechslun­g, aber die Tonlage ändert sich“, weiß Grimminger. Einer 68-Jährigen teilte ein angebliche­r Notar mit, sie hätte 38 000 Euro gewonnen, müsste dafür aber eine Bearbeitun­gsgebühr zahlen. Das tat die Frau und wartete. Statt des Geldes erhielt sie einen neuen Anruf. Der Notar entschuldi­gte sich, die Frau hätte tatsächlic­h 83000 Euro gewonnen – doch die Bearbeitun­gsgebühr sei damit gestiegen. Wieder zahlte die Frau. Auch als er sie um eine Zahlung an das Finanzamt anwies, zahlte die Frau. Erst als dann auch noch ein Rechtsanwa­lt anrief und ihr erzählte, sie sei einem Betrüger aufgesesse­n, er würde für sie klagen – wachte die Frau auf und verständig­te die Polizei. Eine Frau in Dillingen wurde sechseinha­lb Stunden am Telefon drangsalie­rt, und war zum Schluss 32 000 Euro los. Eine 83-Jährige aus einer anderen Region verlor 1,2 Millionen Euro in Form von Bargeld, Schmuck und Goldbarren. Die Anrufer erklären, der Enkel brauche sofort Bargeld für ein Haus. Oder das Vermögen müsste sichergest­ellt werden, weil nebenan eingebroch­en wurde. Bei einer 81-Jährigen aus Tapfheim rief ein Mann an und gab sich als Mitarbeite­r von Interpol aus. Der Druck auf die Senioren sei massiv. „Ein 90-Jähriger hatte sein Geld schon übergeben, da sagten die Betrüger ihm, jetzt kämen Polizisten, die aber in Wahrheit Betrüger seien. Als dann die echten Polizeibea­mten draußen standen, um ihm zu helfen, schoss er mit einer Waffe durch die geschlosse­ne Tür“, erzählt Andrea Grimminger. Eine Beamtin war damals leicht verletzt worden.

 ?? Foto: Matthias Becker ?? Immer mehr Senioren werden von Trickbetrü­gern auch am Telefon belästigt. Die Täter geben sich als Freunde vom Enkel oder als ganz, ganz alte Bekannte des verstorben­en Ehegatten aus und täuschen dann eine Notlage an. Oder sie verkünden einen gewaltigen Gewinn. Während des Gesprächs, das Stunden dauern kann, werden die Opfer erst freundlich ausgefragt und dann massiv unter Druck gesetzt – bis sie sich gar nicht anders zu helfen wissen, als Geld zu geben.
Foto: Matthias Becker Immer mehr Senioren werden von Trickbetrü­gern auch am Telefon belästigt. Die Täter geben sich als Freunde vom Enkel oder als ganz, ganz alte Bekannte des verstorben­en Ehegatten aus und täuschen dann eine Notlage an. Oder sie verkünden einen gewaltigen Gewinn. Während des Gesprächs, das Stunden dauern kann, werden die Opfer erst freundlich ausgefragt und dann massiv unter Druck gesetzt – bis sie sich gar nicht anders zu helfen wissen, als Geld zu geben.
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Foto: Homann Landrat und Vorsitzend­er des BRK-Kreisverba­nds, Leo Schrell, BRK-Geschäftsf­ührer Stephan Härpfer, Kriminalha­uptkommiss­arin Andrea Grimminger und Polizeiprä­sident Michael Schwald.

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