Die Erfolge von gestern reichen nicht als Konzept für morgen
Die CSU versucht bei ihrem Parteitag, endlich wieder zu Frieden und Geschlossenheit zurückzukehren. Dabei müsste es jetzt ums Grundsätzliche gehen
Man kann sich, wenn man einen gewissen Sinn für Ironie hat, den CSUParteitag als Stammesversammlung der letzten Mohikaner vorstellen. Nirgendwo in Europa gibt es noch eine Volkspartei, die es verdient, Volkspartei genannt zu werden. Die CSU ist in dieser Hinsicht einzigartig. Und die Eine-MillionDollar-Frage lautet: Kann sie es schaffen, das zu bleiben, was sie nach dem Zweiten Weltkrieg geworden und seither ein Menschenleben lang geblieben ist? Kann sie sich vom europaweiten Trend des Niedergangs der Volksparteien entkoppeln und ihre herausragende Stellung als die führende politische Kraft in Bayern erhalten?
Wenn sich die Parteitagsdelegierten heute in München treffen, um Markus Söder zu ihrem neuen Vorsitzenden zu wählen, werden diese Fragen sehr wahrscheinlich nicht im Vordergrund stehen. Zu groß ist immer noch die Erleichterung darüber, dass der Machtkampf an der Spitze endlich entschieden und die CSU bei der Landtagswahl im Oktober noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen ist. Außerdem fehlt – wieder einmal – die Zeit für die längst überfällige Grundsatzdebatte. So kurz vor der Europawahl, bei der die CSU mit Manfred Weber den Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen für das Amt des Kommissionspräsidenten stellt, dürfen keine Gegensätze sichtbar und schon gar keine Konflikte über den künftigen Kurs ausgetragen werden. Die CSU wird Geschlossenheit demonstrieren, so wie ihr das meistens gelang, wenn es darauf ankam.
Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie im Kern verunsichert ist. Die vertrauten Mechanismen greifen nicht mehr. Es reicht nicht mehr aus, die Erfolge in der Vergangenheit herauszustellen: den Wohlstand in Bayern, die niedrige Arbeitslosigkeit, die innere Sicherheit, die hohe Lebensqualität. Die Hoffnung der CSU, dass es mit dem Wechsel von Seehofer zu Söder und mit der Bildung einer Koalitionsregierung mit den Freien Wählern gleich wieder bergauf geht, hat sich bisher nicht erfüllt. Im Gegenteil. Die Umfragen verändern sich kaum. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Die letzten Mohikaner spüren, dass die Welt sich ändert und ihre gute alte Zeit mit Mehrheiten jenseits der 40 oder gar 50 Prozent zu Ende geht. Können sie sich noch einmal neu erfinden?
Ansätze dafür gibt es. Söder und Weber versuchen es mit konkreten Projekten. Söder hat den Umweltschutz wieder entdeckt und propagiert einen Neustart in der Wirtschaftsund Steuerpolitik. Weber will der EU neue, konsensfähige Inhalte geben: Krebsforschung, Cybersicherheit, gemeinsame Eingreiftruppe. Und beide zusammen bemühen sich – in offenkundigem Gegensatz zu Landesgruppenchef Alexander Dobrindt –, die CSU wieder breiter aufzustellen und einen kooperativeren Führungsstil zu etablieren.
Die CSU will Volkspartei sein, also sich ums Allgemeinwohl kümmern, widerstreitende Interessen zusammenführen und allen sozialen Schichten Angebote machen. Die Selbstzerfleischung der Unionsparteien soll ein Ende haben. 2019 soll, wie Söder sagt, das „Jahr der Entscheidungen“sein.
Von der Qualität dieser Entscheidungen und ihrer Überzeugungskraft sowie von der Selbstdisziplin der maßgeblichen Akteure in CSU (und CDU!) wird es abhängen, ob der Abwärtstrend gestoppt werden kann. Dass er sogar umgekehrt werden könnte, daran ist im Moment angesichts der Zersplitterung des Mitte-Rechts-Lagers nicht zu denken. Aktuell haben die letzten Mohikaner nur einen vagen Plan und einen neuen Häuptling, der guten Willens ist. Ihre Aussichten, nicht die Letzten ihrer Art zu sein, sind dennoch so schlecht nicht.
Die Umfragen verheißen im Moment keine Besserung