Wertinger Zeitung

Willkommen im Söderland

Titel-Thema Er galt mal als Rabauke und Stänkerer. Jetzt, als Ministerpr­äsident und künftiger CSU-Chef, gibt sich Markus Söder besonnen, ausgleiche­nd und staatsmänn­isch. Bei den Parteifreu­nden kommt die Wandlung gut an. Aber wird sie auch der Wähler honor

- VON ULI BACHMEIER

München Landtags-Vizepräsid­ent Karl Freller, den sie in der CSU liebevoll „Charly“nennen, ist in der Politik ein alter Hase. Der 62-Jährige aus Schwabach in Mittelfran­ken war schon Abgeordnet­er, als der Ministerpr­äsident in Bayern noch Franz Josef Strauß hieß. Und er war schon knapp zehn Jahre an vorderster Front dabei, als 1991 ein damals halbstarke­r Nachwuchsp­olitiker namens Markus Söder bei ihm als Mitarbeite­r im Abgeordnet­enbüro anheuerte. Heute ist Söder die Nummer eins und der große Hoffnungst­räger der CSU. Ein bisserl etwas aber hat der „Charly“seinem einstigen Lehrbub immer noch zu sagen – zum Beispiel, wenn es um die richtige Wahrnehmun­g der eigenen Stärke in der Politik geht.

Frellers Parabel beschreibt sehr präzise eines der Probleme der CSU in den vergangene­n Jahren: Stell dir vor, du gehst jahraus, jahrein durch dieselbe Stadt und wirst jeden Tag regelmäßig von durchschni­ttlich zehn Leuten freundlich gegrüßt. Wenn das dann irgendwann einmal nur neun oder gar nur noch acht sind, dann wird dir das nicht so schnell auffallen. Genau auf diese Weise seien der CSU im politische­n Alltag die Wähler abhandenge­kommen – schleichen­d, fast unmerklich und zunächst auch unerklärli­ch.

Wie tief die CSU in der Wählerguns­t gestürzt ist, zeigt ein kurzer Rückblick. Edmund Stoiber hat bei der Landtagswa­hl 2003 noch 60,7 Prozent geholt und musste 2007 gehen, weil er in Umfragen unter 50 Prozent gefallen war. Günther Beckstein und Erwin Huber mussten ihre Ämter als Ministerpr­äsident und Parteichef abgeben, weil sie bei der Landtagswa­hl 2008 nur noch 43,5 Prozent der Wähler hatten überzeugen können. Horst Seehofer verschafft­e der Partei im Jahr 2013 zwar ein kurzes Zwischenho­ch (47,7 Prozent) und eine absolute Mehrheit im Landtag, konnte sich aber nach einem schlechten Ergebnis bei der Bundestags­wahl 2017 trotzdem nicht halten – weder als Ministerpr­äsident, noch als Parteichef. Und mit Söder als Spitzenkan­didat in Bayern kam die CSU im Herbst 2018 gerade noch auf 37,2 Prozent. Dass er Ministerpr­äsident bleiben durfte und heute in München sogar zum Parteichef gewählt wird, ist eine durchaus kuriose Pointe in dieser Entwicklun­g. Der Grund ist bekannt: Die CSU gibt Seehofer und nicht seinem ewigen Rivalen Söder die Schuld am Niedergang.

Auch aktuell weiß die CSU nicht so genau, wie hoch oder tief sie bei den Wählern im Kurs steht. Die Umfragen sind drei Monate nach der Landtagswa­hl alles andere als eindeutig. Mal geht’s leicht rauf, mal leicht runter. Als besonders zuverlässi­g gelten Umfragen in der Partei ohnehin nicht. Doch auch die persönlich­e Wahrnehmun­g – siehe Frellers Parabel – kann täuschen. Kurz gesagt: Keiner weiß es so genau. Diese Ungewisshe­it und die Sorge, dass es vielleicht nie mehr wieder über 40 Prozent werden, nagen am Selbstbewu­sstsein der einstigen Überfliege­r-Partei.

Einige Zuversicht getankt haben die Abgeordnet­en bei den Neujahrsem­pfängen daheim in den Stimmkreis­en. In Schwaben zum Beispiel sind sie guter Dinge. Angelika Schorer (Ostallgäu), Eric Beißwenger (Oberallgäu), Johannes Hintersber­ger (Augsburg), Klaus Holetschek (Memmingen) und Hans Reichhart (Landkreis Günzburg) berichten übereinsti­mmend von erstaunlic­h gut besuchten Veranstalt­ungen mit interessie­rten Gästen. Das Ende des Machtkampf­s an der Spitze der Partei, die geräuschlo­se Regierungs­bildung in Bayern, der wieder eindeutige Kurs in der Europapoli­tik, der neue, kooperativ­ere Stil Söders – all das würde an der Basis begrüßt. Nun müsse man wieder an die Arbeit gehen – „mit demütigem Selbstbewu­sstsein“und „auf Augenhöhe mit den Leut“, wie Hintersber­ger es formuliert.

Söder, 52, reicht eine Rückbesinn­ung auf alte Tugenden allerdings nicht aus. Der Nürnberger will mehr. Alt, kalt und finster, so heißt es bei seinen Parteistra­tegen, sei die CSU in den vergangene­n Jahren dahergekom­men. Das müsse sich ändern. Jünger, weiblicher, moderner und offener soll sie werden, ein bisschen mehr „Bewegung“sein wie Emmanuel Macrons „La République en Marche!“in Frankreich oder die „Liste Sebastian Kurz – Die neue Volksparte­i“in Österreich. Gleichzeit­ig soll sie wieder werden, was sie einmal war: Eine Partei, die allen sozialen und kulturelle­n Milieus ein Angebot macht und versucht, die Bevölkerun­g als Ganzes zu repräsenti­eren.

Söder versucht vorzuleben, dass sich etwas ändern muss. Den ungestümen Haudrauf und giftigen Stänkerer, der er einmal war, hat er sich abtrainier­t. Er gibt sich besonnen, ausgleiche­nd, ernsthaft und staatsmänn­isch. In der Partei rechnen sie ihm das ebenso hoch an wie seine Standhafti­gkeit während des Wahlkampfs im vergangene­n Sommer.

Schwächlic­here Gemüter wären wahrschein­lich verzweifel­t, als die Umfragewer­te der CSU in Richtung 30 Prozent abstürzten. Söder ließ sich nicht von seinem Kurs abbringen, kämpfte bis zur letzten Minute und bewies in der Endphase des Wahlkampfs auch noch politische­s Gespür. Seine Strategie, mit „Stabilität“zu werben und sich klarer als vorher von der AfD abzugrenze­n, bewahrte die CSU vor dem ganz tiefen Sturz.

Das Machtgefüg­e in der Partei hat sich danach Schritt für Schritt verschoben. Der Ministerpr­äsident konnte sich – mit freundlich­er Unterstütz­ung der Freien Wähler – in München ein Kabinett nach seinem Willen formen. Gleichzeit­ig wurde mit Seehofers Rückzug das Amt des Parteivors­itzenden für ihn frei. Sein einzig aussichtsr­eicher potenziell­er Gegenkandi­dat, der Europapoli­tiker Manfred Weber, verzichtet­e, um sich voll auf die Europawahl und seine Bewerbung um das Amt des EU-Kommission­spräsident­en zu konzentrie­ren.

Damit ergab sich parteiinte­rn eine ganz neue Konstellat­ion: Söder und Weber, die in der Vergangenw­ie heit wenig bis gar nichts gemeinsam hatten, konnten sich zusammentu­n. Die Gegner von einst haben sich zu einer Zweckgemei­nschaft verbündet. Sie geben in der CSU jetzt den Ton an. Ein anderes Machtzentr­um gibt es nicht. Der ambitionie­rte Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt, so heißt es aus allen Ecken der Partei, sei keine Option mehr. Der scharfe Rechtskurs, den er der CSU insbesonde­re in der Migrations­politik verordnen wollte, habe sich als Irrweg erwiesen.

Für das Dilemma, in dem die CSU in der Flüchtling­skrise steckte, hat wiederum Karl Freller ein illustres Beispiel. Innerhalb von 24 Stunden, sagt er, hätten ihm während des Wahlkampfs zwei Stammwähle­r erklärt, warum sie der Partei ihre Stimme nicht mehr geben. Ein älterer Herr habe ihm angekündig­t, dieses Mal AfD zu wählen, „weil ihr das Asylthema nicht in den Griff bekommt“. Eine junge Frau habe ihm gesagt, sie wähle diesmal die Grünen, „weil ihr die Menschen im Mittelmeer ertrinken lasst“.

Es gehört zu den Kuriosität­en der Entwicklun­gen in der Migrations­politik der CSU, dass die Partei jetzt wieder genau der Linie folgt, die vor langer Zeit Seehofer schon einmal als Dreiklang von „Ordnung, Humanität und Integratio­n“beschriebe­n hat. Weber kann sehr konkret erklären, was das auf europäisch­er Ebene bedeuten soll: Eine sichere europäisch­e Außengrenz­e, notfalls auch mit einem harten Grenzzaun zwischen Bulgarien und der Türkei. Geordnete und zügige Asylverfah­ren sowie gerechte Verteilung der Flüchtling­e in Europa. Gleichzeit­ig Schutz für Schutzbedü­rftige und konsequent­e Integratio­n derer, die das Recht haben, hierzublei­ben.

Dass die CSU mal das eine, mal das andere betont, für politische­n Aufruhr gesorgt und sich zudem sinnlose Scharmütze­l mit der CDU und Bundeskanz­lerin Angela Merkel geliefert hat, wird von den Parteistra­tegen mittlerwei­le als eine der Hauptursac­hen des Absturzes gesehen. Nun wollen Söder und Weber mit einer realistisc­hen, unaufgereg­ten „Politik aus einem Guss“abtrünnige Stammwähle­r zurückgewi­nnen – den älteren Herrn genauso wie die junge Frau.

Zugleich will Söder die CSU inhaltlich und personell wieder „breiter aufstellen“. Die Fixierung auf das Flüchtling­sthema, so eine oft gehörte Meinung in der Partei, sei ein Fehler gewesen. Jetzt will die CSU auch in der Umwelt-, Wirtschaft­sund Steuerpoli­tik wieder von sich reden machen. Und mit seiner Forderung nach einer Reform des Föderalism­us hat Söder auch gleich noch deutlich gemacht, dass er in der Bundespoli­tik als Anwalt der Länder vorne mitspielen will. Keiner soll mehr sagen, das politische Parkett in Berlin sei ihm zu glatt.

Die größten Hoffnungen allerdings weckt der neue Parteichef mit seiner Ankündigun­g, den Führungsst­il zu ändern und künftig das Gemeinsame zu betonen. In den letzten Jahren unter Stoiber und dann vollends unter Seehofer sei die Politik der CSU zu einer „OneMan-Show“

Die Unsicherhe­it in der Partei ist geblieben

Die „One-Man-Show“soll Vergangenh­eit sein

geworden. Dass die Partei an ihren Rändern so stark verloren habe, liege auch daran, dass sie wichtige Politikfel­der nicht mehr mit starken Persönlich­keiten besetzt habe und dass insbesonde­re Seehofer viel zu oft und viel zu schnell vorgepresc­ht sei, ohne vorher eine Debatte in der Partei zuzulassen. Was Stoiber in der Bildungspo­litik mit dem achtjährig­en Gymnasium oder Seehofer bei Umweltschü­tzern mit seinem Vorstoß zum Riedberger Horn angerichte­t habe, hätte hinterher nur mühsam korrigiert werden können.

So etwas soll unter Söder nicht mehr passieren. Er ließ die Landtagsab­geordneten bei deren Winterklau­sur in Kloster Banz wissen, was ihm das Wichtigste ist: „Dass wir uns gegenseiti­g unterstütz­en, uns unterhaken und an einem Strang ziehen – das ist unsere neue Stärke.“Vertrauen lasse sich nur langsam und nur durch Taten zurückgewi­nnen. Was die Wähler davon halten, wird sich zeigen – bei der Europawahl im Mai und bei den höchst spannenden Kommunalwa­hlen in Bayern im kommenden Jahr.

Analyse Macht Söder jetzt alles besser als Seehofer? Hören Sie dazu die neue Folge unseres Podcasts „Bayern-Versteher“unter augsburger-allgemeine.de/ podcasts/bayernvers­teher

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Foto: Matthias Balk, dpa Er versucht vorzuleben, dass sich etwas ändern muss: Markus Söder, hier mit Ehefrau Karin beim Neujahrsem­pfang der Staatsregi­erung in München.

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