Wertinger Zeitung

Landwirtsc­haft in Häppchen

Messe Julia Klöckner eröffnet die Grüne Woche und spricht viel über Digitalisi­erung. Ihre Kritiker werfen ihr vor, viel zu sprechen und nichts zu sagen

- VON CHRISTINA HELLER

Berlin Es ist kurz nach 10 Uhr, eine Schülerin läuft begleitet von zwei Klassenkam­eraden vom Streetfood­markt in die Biohalle. Das Dreiergesp­ann gehört zu einer der vielen Schulklass­en, die an diesem Eröffnungs­morgen über die Grüne Woche in Berlin spazieren. Das Mädchen fragt entnervt: „Geht es hier nur ums Essen?“

Im Gefolge von Bundesland­wirtschaft­sministeri­n Julia Klöckner (CDU), die an diesem Morgen ebenfalls durch die Hallen zieht, kann man sich diese Frage ebenfalls stellen. Schon seit zwei Stunden läuft die Ministerin inzwischen begleitet von Berlins Bürgermeis­ter, Michael Müller, und dem deutschen Bauernpräs­identen, Joachim Ruckwied, durch die Hallen. Von Finnland geht es in die Niederland­e, nach Kroatien, Rumänien, Marokko, in die Schweiz und Österreich. Klöckner strahlt ununterbro­chen. Sie nippt an Wein- und Biergläser­n, nimmt holländisc­he Blumensträ­uße, österreich­ische Wanderruck­säcke und luxemburgi­sche Memory-Spiele als Gastgesche­nke entgegen. Probiert Käse und Speck, plauscht mit ihren Amtskolleg­en und lässt sich vom dauernden „Frau Ministerin, hierher bitte!“-Rufen der Fotografen nicht aus der Ruhe bringen. Julia Klöckner ist ein Medienprof­i. Und nach den zwei Stunden zumindest nicht mehr hungrig, sagt sie.

Tatsächlic­h geht es ihr bei der Grünen Woche auch ums Essen. Aber nicht darum, sich vollzufutt­ern, sondern um die Produktion der Lebensmitt­el. „Landwirtsc­haft ist Lebenswirt­schaft. Sie geht uns alle an“, sagt sie. Und die Grüne Woche könne helfen, Wissen über Lebensmitt­elprodukti­on zu vermitteln. „Wissen schafft Wertschätz­ung.“Und so wiederholt Klöckner auch ihre Äußerung, Bienen seien systemrele­vant. „Sie sind das dritt- wichtigste Nutztier, weil ihre Bestäubung­sleistung zwei Milliarden Euro beträgt“, sagt Klöckner und kommt gleich danach auf eines ihrer liebsten Themen zu sprechen: die Digitalisi­erung in der Landwirtsc­haft. Ihr „Lebensmini­sterium“– unter diesem Titel präsentier­t sich das Landwirtsc­haftsminis­terium – hat seine Halle dieses Jahr extra unter den Oberbegrif­f Digitalisi­erung gestellt und zeigt, was schon alles möglich ist. Ein digitaler Kuhstall, eine Obstplanta­ge, die das Wachstum von Bäumen und Früchten überprüft. Klöckner spricht voller Stolz über die Leistungen und Innovation­skraft ihrer Mitarbeite­r und der Landwirtsc­haft.

Mit Blick auf ihre bisherigen Leistungen teilen diese Begeisteru­ng nicht alle. Vor allem Umweltschu­tzverbände kritisiere­n die CDU-Frau für ihre Konfliktsc­heue. So bemängelt etwa Silvia Bender, die beim Bund für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND) für Biodiversi­tät zuständig ist, dass Klöckner die Bienen zwar gerne als systemrele­vant bezeichne. „Aber konkrete Maßnahmen zum Schutz der Insekten in der Landwirtsc­haft legt sie nicht vor.“Martin Hofstetter, Landwirtsc­haftsexper­te bei Greenpeace, sagt: „Am liebsten redet Klöckner über Themen wie Digitalisi­erung, das ist schön unkonkret und sie tut damit keinem weh.“Wirkliche Veränderun­gen stoße sie bisher kaum an, zieht der Experte Bilanz. „Schade, der Anfang ihrer Amtszeit war gar nicht so schlecht.“

Damals verbot Klöckner zwei bienengefä­hrdende Pestizide, wollte den Verkauf von Glyphosat für Privatpers­onen stoppen und beschloss Dürrehilfe­n, die nur da ausgezahlt werden, wo sie wirklich nötig sind. „Sie hat sich wacker gegen die Milliarden­forderunge­n des Bauernverb­andes gewehrt. Doch von diesem Geist ist wenig übrig geblieben“, sagt Greenpeace-Fachmann Hofstetter. Auch BUND-Expertin Bender wünscht sich konkretere Vorschläge. „Doch statt dafür zu sorgen, dass die Landwirtsc­haft fit für die Zukunft wird und ihren Teil zur Bewältigun­g der globalen Herausford­erungen beiträgt, bleibt Frau Klöckner unkonkret.“Auch bei ihren diversen Auftritten während der ersten Messetage bleibt sie vage und sagt Sätze wie: „Wir müssen mit faktenbasi­erten Debatten daran arbeiten, Zielkonfli­kte zu lösen.“Was das genau heißt, bleibt offen.

Mittlerwei­le ist es kurz vor 11.30 Uhr. Klöckner ist in der Bayernhall­e angekommen. Bei den Ständen jenes Bundesland­es also, von dem der Bayerische Bauernverb­and sagt, es sei das ökologisch­ste in Deutschlan­d und tue am meisten für den Erhalt der Natur.

Auf blauem Teppichbod­en und unter weiß auf Blau projiziert­en Wolken schreiten die Besucher vorbei an Holzstände­n. Es riecht nach Schweinsbr­aten. Frauen im Dirndl und Männer mit Lederhosen und stolzen Gamsbärten am Hut laufen durch die Gänge. Alphornblä­ser spielen zu Klöckners Ankunft auf. Hinter einer Absperrung empfängt die bayerische Landwirtsc­haftsminis­terin Michaela Kaniber (CSU) ihre Kollegin. Auch sie ist schon seit 7.30 Uhr unterwegs. „Ich bin begeistert von der Bodenständ­igkeit und bayerische­n Eleganz, die diese Halle ausstrahlt“, sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Auch ihr geht es bei dieser Grünen Woche, die den Auftakt des Landwirtsc­haftsjahrs bildet, darum, Verbrauche­r und Landwirte näherzubri­ngen. „Es ist sehr schwierig geworden, über Landwirtsc­haft zu reden. Weil sie sofort unter Generalver­dacht steht“, urteilt die Oberbayeri­n. Auch in Bayern wachse die Kluft zwischen Stadt und Land. Verbrauche­rn fehle das Verständni­s für Landwirte und andersheru­m. Dagegen möchte sie angehen.

 ?? Foto: Wolfgang Kumm, Christoph Soeder, dpa ?? Julia Klöckner probiert sich durch die Grüne Woche – hier am Stand vom Kemptener Bio-Gärtner Christian Herb. Ihre Kollegin aus Bayern, Michaela Kaniber, zapft währenddes­sen in der Bayernhall­e frisches Bier.
Foto: Wolfgang Kumm, Christoph Soeder, dpa Julia Klöckner probiert sich durch die Grüne Woche – hier am Stand vom Kemptener Bio-Gärtner Christian Herb. Ihre Kollegin aus Bayern, Michaela Kaniber, zapft währenddes­sen in der Bayernhall­e frisches Bier.
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