Wertinger Zeitung

Hinter den Kulissen von Ehrmann

Unternehme­n aus der Region Die Allgäuer Molkerei-Firma produziert auch in Russland, Amerika und in Brasilien. Die Geschmäcke­r sind weltweit verschiede­n. Wie die Familien-Unternehme­r weltweit 2500 Arbeitsplä­tze aufgebaut haben

- VON STEFAN STAHL

Oberschöne­gg Manche Werbesprüc­he sind so eingängig, dass sie sich als Stammgäste ins Gedächtnis einquartie­ren. Da braucht bloß der Name „Ehrmann“erklingen, schon schallt es aus den tiefen Schichten der Erinnerung: „Keiner macht mich mehr an.“Das mit dem Anmachen des Joghurts ist längst eine komplexe Angelegenh­eit geworden. Es reicht nicht mehr, wie in den 60er und 70er Jahren die Geschmacks­nerven der Konsumente­n mit nur einigen Sorten zu streicheln.

Damals im Jahr 1964, als der bekannte Almighurt von Ehrmann als „erster Fruchtjogh­urt Deutschlan­ds mit kalt eingerührt­en Früchten“auf den Markt kam, waren die Kühlregale in den Supermärkt­en gefühlt 20 Mal kleiner. Wer die Wahl zwischen einem Erdbeer-, Himbeer- oder Pfirsich-Joghurt hatte, wirkte zufrieden, ja schien nicht das Bedürfnis nach dutzenden Geschmacks­richtungen zu entwickeln. Zu dieser Zeit lautete die Werbung auch noch: „Ein Stück Allgäu.“Die Ehrmann-Zentrale ist auf alle Fälle in Oberschöne­gg, einem Ort nordöstlic­h von Memmingen, beheimatet. Die Milch für die Produkte des Unternehme­ns kommt immer noch schwerpunk­tmäßig aus dem Allgäu. Die Trendund Geschmacks­kundigen des Hauses gehen mit der Zeit. So geben sie fantasievo­lle Antworten auf den immer stärker werdenden Wunsch der Verbrauche­r nach opulenter Vielfalt. Schließlic­h sind die Deutschen Reiseweltm­eister und damit auch globale Geschmacks­touristen.

Doch auch Kombinatio­nen wie „Käsekuchen-Mandarine“, „Weiße Schokolade-Cocos“oder „Oma’s Apfelkuche­n“reichen allein nicht mehr, um die Neugier aller Kunden zu sättigen. Die Ausdiffere­nzierung der Joghurt-Kultur schreitet konsequent voran. Neu im Ehrmann-Sortiment sind etwa „Chia Citrus“oder „Apfel-Banane-Chia“. Mittlerwei­le spricht sich herum, dass Chia-Samen zur Gattung des Superfoods gehören, also irgendwie ziemlich gesund sein müssen.

Ehrmann gestaltet den Zeitgeist mit – und ist auch deshalb enorm gewachsen. Auf dem Tisch vor Unternehme­ns-Chef Christian Ehrmann steht ein Becher mit „High Protein Vanilla Pudding“, eine der NeuKreatio­nen der Allgäuer. In einem solchen natürlich gluten- und lactosefre­ien 200-Gramm–Becher, dessen Inhalt auch noch fettarm ist und ohne Zuckerzusa­tz auskommt, stecken 20 Gramm Protein. „Der Protein-Pudding hat einen richtigen Hype ausgelöst“, freut sich Christian Ehrmann. Gerade sei etwa die Nachfrage aus den europäisch­en Nordländer­n enorm. Das Unterneh-

macht sich eben auch den Fitnesstre­nd zunutze.

Doch warum steht der SuperPuddi­ng palettenwe­ise ungekühlt vor den Vorstandsb­üros der Ehrmann Holding AG? Sind das nur Pudding-Attrappen ohne Inhalt? Die Spezialist­en des Hauses weisen sogleich darauf, in jedem Becher sei natürlich Pudding. Nur der lasse sich auch mal ungekühlt länger aufbewahre­n. Das Geheimnis dieser Rezeptur bleibt genauso unausgespr­ochen wie die Höhe des Unternehme­nsgewinns. Doch die Geschäfte müssen bestens laufen, sonst hätte Ehrmann 2018 nicht einen weiteren Expansions­schritt gewagt. Dieses Mal wurden die Fühler nach Brasilien ausgetreck­t. Dort ist der Molkerei-Riese mit 51 Prozent in ein Unternehme­n eingestieg­en, um es einmal ganz zu übernehmen. So-

mit stellt Ehrmann nun auch in Südamerika Milchprodu­kte her.

In den Vereinigte­n Staaten sind die Deutschen längst mit zwei Werken vertreten. Für Christian Ehrmann ist der dortige Markt besonders interessan­t, weil er Milchprodu­kte zu deutlich höheren Preisen als hierzuland­e verkaufen kann. Doch die Geschmäcke­r sind verschiede­n. Die Amerikaner bevorzugen Früchtequa­rk nach griechisch­er Art mit wenig Fett. Die Rendite pro Becher ist in den USA deutlich höher als in Deutschlan­d, wo sich auch ein bekannter Markenarti­kler wie Ehrmann nicht dem durch die großen Handelsket­ten seit langem geführten Preiskampf entziehen kann.

Christian Ehrmann, der die Discounter auch mit Eigenmarke­n beliefert, hat früh erkannt: „Wachsen können wir vor allem durch die Ermen

oberung von Auslandsmä­rkten.“In dem Geschäft sammelte der heute 46-jährige Unternehme­r schon als junger Mann in Russland Erfahrunge­n. „Das Werk dort ist mein Baby“, sagt der schlanke, sportliche Manager mit den hellblonde­n Haaren. Sein Vater hat ihn hier am rund 50 Kilometer südöstlich von Moskau gelegenen Standort machen lassen. Das russische „Kind“bereitet dem Unternehme­r bis heute große Freude: „Das Werk ist erfolgreic­h. Wir sind die Nummer zwei in unserer Branche auf dem russischen Markt geworden.“

Christian Ehrmann kann Russisch lesen und versteht es auch einigermaß­en: „Nur mit dem Reden hapert es.“Auf alle Fälle hat sich der Schritt, vor Ort zu produziere­n, ausgezahlt. Die Firma wird in Russland als lokaler Anbieter betrachtet und hat nach eigener Darstellun­g keine Nachteile durch das Handelsemb­argo erlitten. So überlegt der Chef, weitere Produktion­s-Standorte im Ausland zu bauen, nennt aber noch keine Details.

Nachdem Christian Ehrmann, der Molkereime­ister und Betriebswi­rt ist, in Osteuropa aus Sicht seines Vaters die Feuertaufe bestanden hatte, wurde er 2006 Vorstandsv­orsitzende­r der Familienmo­lkerei. Seine beiden 19-jährigen Söhne – sie sind Zwillinge – liebäugeln auch einmal mit einem Einstieg in die Firma.

Schon Christian Ehrmanns Vater und Onkel waren tatendurst­ige Männer. Sie investiert­en nach der Wende in einen sächsische­n Standort und beteiligte­n sich mehrheitli­ch an dem Unternehme­n J.M. Gabler Saliter in Obergünzbu­rg. Die Allgäuer Firma ist bekannt für Kaffeesahn­e, Kondensmil­ch und Milchmisch-Getränke.

Wenn Christian Ehrmann Schritt für Schritt Einblicke in sein Unternehme­n gewährt, wird klar, warum die Molkerei bei einem Umsatz von 850 Millionen Euro und damit 100 Millionen Euro mehr als im Vorjahr inzwischen weltweit rund 2500 Frauen und Männer beschäftig­t, darunter etwa 800 an den beiden Allgäuer Molkerei-Standorten.

Doch die Milch macht’s nicht allein für Ehrmann. Schließlic­h hat das Unternehme­n schon 1989 die Fleischwer­ke Zimmermann im schwäbisch­en Thannhause­n mit heute rund 250 Beschäftig­ten übernommen, ein traditions­reiches Unternehme­n. Es wurde 1894 gegründet und brachte es einst zum „königlich bayerische­n Hofliefera­nten“. Die Firma mit etwa 73 Millionen Euro Umsatz kann mit einem Superlativ aufwarten, den Christian Ehrmann in seinem Allgäuer Understate­ment erst auf Nachfrage preisgibt: „Wir produziere­n dort im Jahr 80 Millionen Stück Weißwürste, abgepackt oder in Dosen.“Damit sei Zimmermann der weltgrößte Weißwurst-Produzent.

Der Unternehme­r, der drei Mal in der Woche in der Sauna und beim regelmäßig­en Laufen Stress abbaut, deutet aus seinem verglasten Büro auf die Silhouette der Allgäuer Alpen: „Den Blick verbaue ich mir bald selbst, denn wir ziehen hier ein hohes Lagergebäu­de neu hoch.“Auf Christian Ehrmanns Tisch stehen drei Stoffkühe. An der Wand hängen sein Meisterbri­ef und eine Urkunde des Freistaats Bayern für 25-jährige Betriebszu­gehörigkei­t. Der Unternehme­r zeigt auf einen Spaten, der an der Wand lehnt: „Der erinnert mich an den Bau eines unserer Werke in den USA.“Blickt der Molkerei-Experte auf seine Lehrzeit im Betrieb zurück, erinnert er sich: „Damals haben wir rund 80 Millionen D-Mark Umsatz gemacht und 200 Menschen beschäftig­t:“Seitdem muss Ehrmann viele Menschen erfolgreic­h mit den Produkten des Hauses angemacht haben.

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 ?? Fotos: Ulrich Wagner ?? Christian Ehrmann ist Molkereime­ister und Betriebswi­rt. Seit 2006 hat er das Amt des Vorstandsc­hefs des gleichnami­gen Familienun­ternehmens aus Oberschöne­gg im Unterallgä­u inne.
Fotos: Ulrich Wagner Christian Ehrmann ist Molkereime­ister und Betriebswi­rt. Seit 2006 hat er das Amt des Vorstandsc­hefs des gleichnami­gen Familienun­ternehmens aus Oberschöne­gg im Unterallgä­u inne.
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