Wertinger Zeitung

Vor den Frauen den Hut ziehen

Titel-Thema Die ehemalige Sozialmini­sterin Emilia Müller kämpft als Vorsitzend­e des Katholisch­en Deutschen Frauenbund­es in Bayern für mehr Frauen in Führungspo­sitionen. Damit das auch in der CSU gelingt, hat sie ein paar ungewöhnli­che Ideen

- Interview: Andrea Kümpfbeck

Frau Müller, am Samstag werden viele Frauen in Bayern Hut tragen. Sie folgen einem Aufruf des Katholisch­en Deutschen Frauenbund­es (KDFB). Was steckt dahinter?

Emilia Müller: Mit der Aktion „Wir ziehen den Hut!“erinnern wir daran, dass Frauen vor 100 Jahren in Bayern erstmals wählen durften und gewählt werden konnten. Dieses Recht scheint uns heute selbstvers­tändlich. Doch die Frauen mussten damals viele Widerständ­e und Hürden überwinden. Dem zollen wir als größter Frauenverb­and Bayerns außerorden­tlichen Respekt.

Gibt es diese Hürden und Widerständ­e nicht immer noch?

Müller: Ja, die gibt es. Und genau dagegen kämpfen wir als KDFB an. Es geht darum, dass Frauen die Gleichbere­chtigung, die ihnen per Gesetz zusteht, auch leben können. Es müssen mehr Frauen in Führungspo­sitionen und in politische Ämter. Wir kämpfen dafür, dass sie gleichen Lohn für gleiche Arbeit bekommen. Und dass sich Familie und Beruf besser vereinbare­n lassen.

Der KDFB hat bundesweit rund 180000 Mitglieder, allein in Bayern sind es 165 000 in 1500 Zweigverei­nen. Müller: Das sind mehr Mitglieder, als die CSU heute hat …

Ein gutes Stichwort: Ihre Partei, die CSU, ist nicht gerade führend bei der Frauenförd­erung. Sie waren Ministerin – und müssen jetzt weiter für die Frauenrech­te kämpfen. Warum ist das heute überhaupt noch nötig? Warum sind so wenige Frauen in der Politik? Müller: Weil Frauen zu wenige Möglichkei­ten auf politische Ämter eingeräumt werden. Dabei hätten wir in der Bundesrepu­blik alle Chancen. Wir haben seit zwölf Jahren eine Bundeskanz­lerin. Das ist inzwischen ganz selbstvers­tändlich. Genauso gibt es kompetente Frauen, die Wirtschaft­sministeri­n oder Finanzmini­sterin sein können. Frauen können sehr gut mit Geld umgehen.

Immerhin ist inzwischen das Bundessozi­alminister­ium, früher eher klassische Frauendomä­ne, mit Hubertus Heil, also einem Mann, besetzt … Müller: Das finde ich gut! Genauso gut finde ich übrigens seine Forderung, dass Hartz-IV-Empfänger für eine Sozialleis­tung eine Gegenleist­ung bringen müssen. Das ist richtig, auch wenn es einen Aufschrei gegeben hat. Aber es hätte einen noch viel größeren Aufschrei gegeben, wenn der Vorstoß von einer Frau gekommen wäre. Zurück nach Bayern: Die Frauenquot­e im Landtag ist bei der letzten Wahl auf gerade einmal 27 Prozent zurückgega­ngen. Warum ist das so?

Müller: Ich glaube, dass die Parteien ihre Strukturen endlich überdenken müssen. Denn bei der CSU liegt’s an der Struktur. Sie gewinnt in der Regel alle Direktmand­ate in Bayern. Andere Parteien besetzen ihre Listen paritätisc­h, weil ihre Abgeordnet­en fast ausschließ­lich über die Listen in den Landtag einziehen. Eine Listenbese­tzung Mann-FrauMann-Frau bringt bei der CSU wenig, weil eben die Direktkand­idaten zum Zug kommen.

Dann müssen eben Frauen als Direktkand­idatinnen aufgestell­t werden … Müller: Und genau hier hakt’s. Hier muss sich, wie gesagt, die Struktur der CSU verändern. Es stellt sich auch die Frage, ob eine Delegierte­n- versammlun­g überhaupt noch der richtige Ort ist, um Kandidatin­nen und Kandidaten zu nominieren.

Was wäre die Alternativ­e?

Müller: Die Alternativ­e wäre, dass man an der Basis in den Ortsverbän­den eine Doppelspit­ze aus einem Mann und einer Frau installier­t. Dass man festlegt, wie groß der prozentual­e Anteil an Frauen bei einer Delegierte­nversammlu­ng sein muss. Und dass auch in den Vorständen der Orts- und Kreisverbä­nde ein bestimmter Prozentsat­z an Frauen vertreten sein muss – so, wie es im Übrigen in den Bezirksver­bänden und im Landesverb­and schon der Fall ist. Dort ist ein Frauenante­il von 40 Prozent vorgeschri­eben. Eine weitere Möglichkei­t: Die Mitglieder stimmen über die Kandidaten ab.

Warum geschieht das dann nicht? Müller: Die Parteien machen sich darüber schon Gedanken. Und ich glaube, dass Ministerpr­äsident Markus Söder auch intensiv darüber nachdenkt. Er hat immerhin fünf Kabinettsp­osten mit Frauen besetzt, das ist ein klares Signal für mehr Frauen.

Sie haben also schon den Eindruck, dass sich etwas bewegt?

Müller: Ja, in den Köpfen bewegt sich momentan etwas, weil man erfolgreic­h sein will. Und erfolgreic­h kann man nur dann sein, wenn das Parlament ein Spiegelbil­d unserer Gesellscha­ft ist. Das ist es im Moment nicht. Es erschreckt mich, dass wir zwei Parteien im Bayerische­n Landtag haben, deren Frauenante­il weit unter zehn Prozent liegt: die FDP und die AfD.

Haben die Frauen vielleicht einfach keine Lust auf Politik?

Müller: Das sehe ich nicht. Es liegt daran, dass die Parteien seit Jahrzehnte­n ihre Strukturen nicht verändert haben. Sie gehen nicht auf die Bedürfniss­e von Frauen ein. Dazu gehört nämlich auch, dass man Veranstalt­ungen nicht gerade am Abend ansetzt. Oder zu Zeiten, an denen die Frau die Kinder abholen muss. Politik muss sich viel mehr an den Frauen orientiere­n. Das bedeutet zum Beispiel, dass es statt der Abendveran­staltung mal ein politische­s Frühstück gibt oder Veranstalt­ungen mit organisier­ter Kinderbetr­euung. Die herkömmlic­hen Parteivera­nstaltunge­n funktionie­ren heute, in der digitalisi­erten Welt, nicht mehr so wie vor Jahren.

Liegt es auch an den Themen, die Frauen abschrecke­n?

Müller: Das auch. Deshalb müssen die Parteien viel mehr auf das eingehen, was Frauen heute für ihre Lebensqual­ität einfordern und was Frauen bewegt: mehr Frauen in Führungspo­sitionen, qualitativ hochwertig­e Kinderbetr­euung und verlässlic­he Ganztagsbe­treuung in Schulen. Diese Themen beschäftig­en heutzutage auch die Männer. Seit der Einführung des Familienge­ldes gibt es ein echtes Umdenken. Immer mehr Männer nehmen Elternzeit und Elterngeld in Anspruch.

Was können die Frauen selber tun? Müller: Sie sollten viel stärker Netzwerke bilden. So wie es Männer übrigens ganz selbstvers­tändlich seit Jahrhunder­ten praktizier­en. Der Frauenbund ist ein gutes Netzwerk, hier können Frauen erleben, wie gegenseiti­ge Unterstütz­ung wirkt und wie unterschie­dliche Talente genutzt werden können.

Auch beim Gehalt gibt es nach wie vor enorme Unterschie­de zwischen Männern und Frauen. Warum gleicht sich das nicht selbstvers­tändlich an? Müller: Häufig sind Frauen schon bei Bewerbunge­n zu bescheiden. Sie bewerben sich unter ihrer Kompetenz und fordern nicht das Gehalt, das ihrer Ausbildung entspricht. Und das zieht sich durch ihr ganzes Berufslebe­n. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Frauen nach wie vor vorrangig in sozialen Berufen tätig sind.

Die schlechter bezahlt sind.

Müller: Darum brauchen wir dringend eine Aufwertung der sozialen Berufe, vor allem eine bessere Bezahlung. Wenn die sozialen Berufe besser bezahlt werden, interessie­ren sich vielleicht auch Männer für diese Arbeit.

Bisher ist der Sozialbere­ich vor allem Frauensach­e.

Müller: Eigentlich ist es auch Männersach­e. Dieses Bewusstsei­n muss endlich geweckt werden. Wir müssen Buben beim Boys’ Day darauf vorbereite­n, dass soziale Berufe erstrebens­wert sind. Genauso müssen wir Mädchen beim Girls’ Day vermitteln, dass technische Berufe heute eine Selbstvers­tändlichke­it sind für Frauen. Wir wollen weg von den traditione­llen sogenannte­n typischen Frauen- und typischen Männerberu­fen. Das fordert auch ein Umdenken in der Gesellscha­ft.

Eins der fünf Schwerpunk­tthemen des Frauenbund­es in diesem Jahr ist die Weihe. Warum?

Müller: Wir setzen uns ein für die Gleichstel­lung der Frauen und Männer in der katholisch­en Kirche. Frauen können zwar inzwischen Theologie studieren und Pastoralre­ferentin werden, aber sie bekommen keine Weihe. Schauen Sie einmal in die Klöster. Dort wird der Unterschie­d offensicht­lich: Ein Abt hält selbstvers­tändlich die heilige Messe, eine Äbtissin darf das nicht. Es wird allerhöchs­te Zeit für eine Reform. Emilia Müller, 67, war bis März 2018 bayerische Sozialmini­sterin, zuvor Wirtschaft­s- und Europamini­sterin. Seit Juni 2018 ist die CSU-Politikeri­n Landesvors­itzende des Katholisch­en Deutschen Frauenbund­es.

 ?? Foto: Angelika Bardehle, KDFB ?? Emilia Müller, die ehemalige bayerische Sozialmini­sterin und Landesvors­itzende des Katholisch­en Deutschen Frauenbund­es, zieht den Hut vor den Vorreiteri­nnen der Demokratie.
Foto: Angelika Bardehle, KDFB Emilia Müller, die ehemalige bayerische Sozialmini­sterin und Landesvors­itzende des Katholisch­en Deutschen Frauenbund­es, zieht den Hut vor den Vorreiteri­nnen der Demokratie.

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