Wertinger Zeitung

Zschäpe will nicht nach Aichach

Strafvollz­ug Die NSU-Terroristi­n will ihre lebenslang­e Haft lieber im Gefängnis in Chemnitz absitzen. Sie hat grundsätzl­ich ein Recht dazu, es gibt aber auch eine politische Komponente

- VON CHRISTIAN LICHTENSTE­RN

Aichach Die letzte national und sogar internatio­nal bekannte „Aichacheri­n“ist vor zwölf Jahren aus dem Frauengefä­ngnis ausgezogen. Brigitte Mohnhaupt verließ Ende März 2007 unter enormem Medieninte­resse und mithilfe eines Ablenkungs­manövers dennoch völlig unbemerkt mitten in der Nacht nach insgesamt 24 Jahren in Haft das Baudenkmal in der Münchener Straße. Die frühere RAF-Terroristi­n galt im „Deutschen Herbst“vor über vier Jahrzehnte­n als gefährlich­ste Frau des Landes und lebt heute unter geändertem Namen, anonym und zurückgezo­gen.

Ob in diesem Jahr wieder eine internatio­nal bekannte Terroristi­n in der JVA einzieht, ist derzeit offen. Sie heißt Beate Zschäpe, ist als Mittäterin des mörderisch­en NSU politisch diametral entgegenge­setzt gestrickt wie Mohnhaupt und im Juli vergangene­n Jahres zu lebenslang­er Haft verurteilt worden. Das Oberlandes­gericht München stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest. Das bedeutet in der Regel deutlich mehr als 20 Jahre Haft. Dem Vernehmen nach möchte Zschäpe, 44, aber nicht bis ins Rentenalte­r in einer Zelle in Altbayern leben. Sie würde ihre Strafe lieber in ihrer Heimat in Ostdeutsch­land absitzen und hat einen Antrag gestellt. Zschäpe stammt zwar aus Thüringen, das Nachbarlan­d Sachsen übernimmt allerdings laut einer Vereinbaru­ng der beiden Länder den Frauenstra­fvollzug in der Haftanstal­t in Chemnitz. Zwischen den Justizmini­sterien der Bundesländ­er und Sachsen laufen derzeit „Gespräche über eine mögliche Verlegung“, bestätigte gestern Martin Bauer, Sprecher des bayerische­n Justizmini­steriums, auf Anfrage.

Im Sommer ist Zschäpe nach einem Mammutproz­ess, der über fünf Jahre dauerte, für neun Morde an türkisch- und griechisch­stämmigen Gewerbetre­ibenden, den

Mord an einer Polizistin, besonders schweren Raub, als Mitglied einer terroristi­schen Vereinigun­g, für schwere Brandstift­ung, Mordversuc­h, alles mehrfach und alles in Tatmehrhei­t vom Staatsschu­tzsenat schuldig gesprochen worden. Sie war zwar laut Gericht an keinem Tatort, aber ein Kopf der rechtextre­mistischen Terrorgrup­pe NSU. Die Morde sollen ihre 2011 mutmaßlich durch Suizid ums Leben gekommenen Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 2000 und 2007 begangen haben. Nach dem Selbstmord stellte sich Zschäpe: Seit November 2011 sitzt sie hinter Gittern und seit März 2013, kurz vor Beginn des Gerichtsve­rfahrens, in der Frauenabte­ilung in der JVA Stadelheim im Münchner Stadtteil Giesing.

Noch ist das Urteil nicht rechtskräf­tig, und Zschäpe bleibt so lange in Untersuchu­ngshaft. Wenn der Bundesgeri­chtshof ihre Revision ablehnen sollte, muss sie wie alle weiblichen Gefangenen in Bayern ihre Strafe in Aichach absitzen. „Erst dann sind wir zuständig“, sagt JVALeiter Konrad Meier. Das sieht der Vollstreck­ungsplan des Freistaats so vor. Ob sie aber jemals „Aichacheri­n“wird, entscheide­t sich nicht in der schwäbisch­en Kreisstadt. Grundsätzl­ich haben Strafgefan­gene nämlich das Recht, in ein heimatnahe­s Gefängnis verlegt zu werden. Das hat das Bundesverf­assungsgeB­ayern richt bestätigt. Im Vordergrun­d steht dabei der Resozialis­ierungsged­anke. Für die Wiedereing­liederung in die Gesellscha­ft hätten die familiären Beziehunge­n eines Strafgefan­genen wesentlich­e Bedeutung, so die Begründung. Allerdings müssen dazu auch bestimmte Voraussetz­ungen erfüllt sein. Zum Beispiel, dass Angehörige dort leben. Im Prozess gegen Zschäpe wurde bekannt, dass sie ihren Vater nie kennengele­rnt hat. Die in Jena (Thüringen) aufgewachs­ene Frau hatte auch nie eine gute Beziehung zu ihrer Mutter, und der Kontakt riss komplett ab, als sie vor 20 Jahren untertauch­te und zur Terroristi­n wurde.

Für den Strafvollz­ug gibt es eindeutige Verwaltung­svorschrif­ten, eine Haftverbüß­ung von Zschäpe in Chemnitz hätte aber zweifellos auch eine politische Komponente. Das NSU-Terrortrio lebte von 1998 bis 2000 im Untergrund der sächsische­n Stadt in vier verschiede­nen Wohnungen. Sie wurden dort von Neonazis aus der lokalen Szene mit Pässen und Waffen beliefert. Dort beschaffte­n sie sich auch Geld mit Überfällen auf sieben Banken und auf einen Einkaufsma­rkt.

Krawalle und rechtsextr­emistische Umtriebe in Chemnitz sorgten im August vergangene­n Jahres in Deutschlan­d, aber auch weltweit für Entsetzen. Nach dem gewaltsame­n Tod eines 35-jährigen Deutschen, für den zwei Asylbewerb­er in Untersuchu­ngshaft sitzen, war es bei Demonstrat­ionen zu gewalttäti­gen und ausländerf­eindlichen Auseinande­rsetzungen gekommen, an denen sich Rechtsextr­eme und radikale Hooligans beteiligte­n.

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Archivfoto: Klaus F. Linscheid Architekto­nisch ist die Justizvoll­zugsanstal­t in Aichach ein echter Hingucker, doch Beate Zschäpe würde auf einen Aufenthalt in dem Jugendstil­gebäude lieber verzichten. Sie stellte einen Antrag, dass sie nach ihrer Untersuchu­ngshaft ins Gefängnis nach Chemnitz verlegt wird.
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Beate Zschäpe

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