Zschäpe will nicht nach Aichach
Strafvollzug Die NSU-Terroristin will ihre lebenslange Haft lieber im Gefängnis in Chemnitz absitzen. Sie hat grundsätzlich ein Recht dazu, es gibt aber auch eine politische Komponente
Aichach Die letzte national und sogar international bekannte „Aichacherin“ist vor zwölf Jahren aus dem Frauengefängnis ausgezogen. Brigitte Mohnhaupt verließ Ende März 2007 unter enormem Medieninteresse und mithilfe eines Ablenkungsmanövers dennoch völlig unbemerkt mitten in der Nacht nach insgesamt 24 Jahren in Haft das Baudenkmal in der Münchener Straße. Die frühere RAF-Terroristin galt im „Deutschen Herbst“vor über vier Jahrzehnten als gefährlichste Frau des Landes und lebt heute unter geändertem Namen, anonym und zurückgezogen.
Ob in diesem Jahr wieder eine international bekannte Terroristin in der JVA einzieht, ist derzeit offen. Sie heißt Beate Zschäpe, ist als Mittäterin des mörderischen NSU politisch diametral entgegengesetzt gestrickt wie Mohnhaupt und im Juli vergangenen Jahres zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Oberlandesgericht München stellte auch die besondere Schwere der Schuld fest. Das bedeutet in der Regel deutlich mehr als 20 Jahre Haft. Dem Vernehmen nach möchte Zschäpe, 44, aber nicht bis ins Rentenalter in einer Zelle in Altbayern leben. Sie würde ihre Strafe lieber in ihrer Heimat in Ostdeutschland absitzen und hat einen Antrag gestellt. Zschäpe stammt zwar aus Thüringen, das Nachbarland Sachsen übernimmt allerdings laut einer Vereinbarung der beiden Länder den Frauenstrafvollzug in der Haftanstalt in Chemnitz. Zwischen den Justizministerien der Bundesländer und Sachsen laufen derzeit „Gespräche über eine mögliche Verlegung“, bestätigte gestern Martin Bauer, Sprecher des bayerischen Justizministeriums, auf Anfrage.
Im Sommer ist Zschäpe nach einem Mammutprozess, der über fünf Jahre dauerte, für neun Morde an türkisch- und griechischstämmigen Gewerbetreibenden, den
Mord an einer Polizistin, besonders schweren Raub, als Mitglied einer terroristischen Vereinigung, für schwere Brandstiftung, Mordversuch, alles mehrfach und alles in Tatmehrheit vom Staatsschutzsenat schuldig gesprochen worden. Sie war zwar laut Gericht an keinem Tatort, aber ein Kopf der rechtextremistischen Terrorgruppe NSU. Die Morde sollen ihre 2011 mutmaßlich durch Suizid ums Leben gekommenen Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zwischen 2000 und 2007 begangen haben. Nach dem Selbstmord stellte sich Zschäpe: Seit November 2011 sitzt sie hinter Gittern und seit März 2013, kurz vor Beginn des Gerichtsverfahrens, in der Frauenabteilung in der JVA Stadelheim im Münchner Stadtteil Giesing.
Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, und Zschäpe bleibt so lange in Untersuchungshaft. Wenn der Bundesgerichtshof ihre Revision ablehnen sollte, muss sie wie alle weiblichen Gefangenen in Bayern ihre Strafe in Aichach absitzen. „Erst dann sind wir zuständig“, sagt JVALeiter Konrad Meier. Das sieht der Vollstreckungsplan des Freistaats so vor. Ob sie aber jemals „Aichacherin“wird, entscheidet sich nicht in der schwäbischen Kreisstadt. Grundsätzlich haben Strafgefangene nämlich das Recht, in ein heimatnahes Gefängnis verlegt zu werden. Das hat das BundesverfassungsgeBayern richt bestätigt. Im Vordergrund steht dabei der Resozialisierungsgedanke. Für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft hätten die familiären Beziehungen eines Strafgefangenen wesentliche Bedeutung, so die Begründung. Allerdings müssen dazu auch bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Zum Beispiel, dass Angehörige dort leben. Im Prozess gegen Zschäpe wurde bekannt, dass sie ihren Vater nie kennengelernt hat. Die in Jena (Thüringen) aufgewachsene Frau hatte auch nie eine gute Beziehung zu ihrer Mutter, und der Kontakt riss komplett ab, als sie vor 20 Jahren untertauchte und zur Terroristin wurde.
Für den Strafvollzug gibt es eindeutige Verwaltungsvorschriften, eine Haftverbüßung von Zschäpe in Chemnitz hätte aber zweifellos auch eine politische Komponente. Das NSU-Terrortrio lebte von 1998 bis 2000 im Untergrund der sächsischen Stadt in vier verschiedenen Wohnungen. Sie wurden dort von Neonazis aus der lokalen Szene mit Pässen und Waffen beliefert. Dort beschafften sie sich auch Geld mit Überfällen auf sieben Banken und auf einen Einkaufsmarkt.
Krawalle und rechtsextremistische Umtriebe in Chemnitz sorgten im August vergangenen Jahres in Deutschland, aber auch weltweit für Entsetzen. Nach dem gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschen, für den zwei Asylbewerber in Untersuchungshaft sitzen, war es bei Demonstrationen zu gewalttätigen und ausländerfeindlichen Auseinandersetzungen gekommen, an denen sich Rechtsextreme und radikale Hooligans beteiligten.