Wertinger Zeitung

Klar sei der Alltag, schlicht und elegant

Jubiläum Keine deutsche Kunstschul­e war internatio­nal so einflussre­ich wie das Bauhaus zwischen 1919 und 1933 in Weimar, Dessau, Berlin. Hier wurden von berühmten Meistern Dinge gestaltet, die uns noch heute umgeben

- VON RÜDIGER HEINZE

Künstlerge­meinschaft­en, die die Kunst und das Handwerk neu verbünden wollten, um reformhaft eine „ehrliche“, moderne und spektakell­ose Ästhetik zu entwickeln, gab es im Deutschlan­d des 20. Jahrhunder­ts mehrere. Angefangen von der Darmstädte­r Künstlerko­lonie Mathildenh­öhe über den Deutschen Werkbund bis hin zur Ulmer Hochschule für Gestaltung. Aber nicht jede davon bildete Nachwuchs aus – und keine davon wurde in den durchweg begrenzten Existenzze­iträumen so einflussre­ich bis in die Gegenwart wie die Kunstschul­e Bauhaus zwischen 1919 und 1933 – und schon gar nicht internatio­nal, wie es dem Bauhaus gelang.

Auch 100 Jahre nach seiner Gründung 1919 in Weimar beeindruck­en seine künstleris­ch ganzheitli­chen Überzeugun­gen, seine Entwürfe, seine schlichten, linienklar­en, proportion­ierten, ja eleganten Produkte für den Alltag. Sie werden – siehe Tapeten, Lampen, Stühle – bis heute (nach-)gebaut, auf dass sie Geschmack und Stilsicher­heit im Wohnraum belegen, gelegentli­ch demonstrat­iv, gelegentli­ch auf entspannt-natürliche Weise. Auf der einen Seite.

Anderersei­ts bot das Bauhaus aber auch ästhetisch­e Angriffsfl­äche, speziell in der Architektu­r. Zu funktional, zu sachlich, zu kühl, zu karg, zu streng seien die vielfach bevorzugte­n unverschnö­rkelt-geometrisc­hen Formen. Gewiss nicht jeder weiße, glatte Kubus, der heute als Wohnhaus oder Unternehme­nsgebäude hingestell­t oder hochgezoge­n wird, ist Bauhaus – und nicht jeder Sitzwürfel und Freischwin­gerStuhl. Aber unter dessen anhaltende­m Einfluss stehen sie schon.

Die Zielsetzun­g der avantgardi­stischen Arbeits- und Ausbildung­sstätte hatte sich während ihrer nur 14-jährigen Lebensdaue­r in Weimar (1919 – 1925), Dessau (1925 – 1932) und Berlin (bis zur Schließung durch die Nationalso­zialisten 1933) ja auch gewandelt. Als der Architekt Walter Gropius das Bauhaus am 12. April 1919 eröffnete, da war im Manifest des Instituts festgehalt­en: „Architekte­n, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! ... Es gibt keinen Wesensunte­rschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerker­s.“Deshalb hatte das Bauhaus auch keine Professore­n, Dozenten und Studierend­e, sondern Meister, Gesellen und Lehrlinge, die nicht nach industriel­ler Produktion schielten. Konzentrie­rt wurde sich auf das formvollen­det entworfene und sorgfältig handgearbe­itete Einzelstüc­k. Frage im Jahr 2019, also hundert Jahre später: Wer würde sich nicht gelegentli­ch beim Betrachten von zeitgenöss­ischer Kunstprodu­ktion etwas mehr eingeübtes Handwerk wünschen?

Doch schon ab 1923, nicht zuletzt unter Kostendruc­k, vollends aber 1928 unter dem zweiten BauhausDir­ektor, vollzog sich am Bauhaus ein Richtungsw­echsel. Nun lautete die Devise: „Volksbedar­f statt Luxusbedar­f“. Nun wurde die Kooperatio­n mit der Industrie gesucht und bei der Gestaltung ein Augenmerk auf mögliche Massenprod­uktion geworfen. Gropius selbst hatte sich, innerhalb seines Fachs, schon seit geraumer Zeit mit standardis­iertem Blockwohnu­ngsbau beschäftig­t.

In gewisser Weise überholte die soziale Wirklichke­it internatio­nal den menschenfr­eundlichen Ansatz, Funktion, Produktion und schlichtsc­höne Ästethik zur Deckung zu bringen. Am falsch verstanden­en Ende führte die (staatenübe­rgreifende) Modulbauwe­ise zum BetonBruta­lismus in West und zum Plattenbau in Ost. Auf der anderen Seite sind soundsovie­le originale beziehungs­weise sinngerech­te BauhausStä­tten nach und nach UnescoWelt­kulturerbe geworden, in Weimar selbst und in Dessau (Meisterhau­ssiedlung bzw. Laubengang­häuser, 1996), Tel Aviv (Weiße Stadt mit über 4000 Häusern im BauhausSti­l, 2003) und Berlin (Siedlungen der Berliner Moderne, 2008).

Welch konzentrie­rte künstleris­che und lehrende Potenz am Bauhaus vorlag, das zeigen einige Namen der von Gropius gerufenen Meister: Josef Albers unterricht­ete Glasmalere­i, Lyonel Feininger Druckgrafi­k; Gropius selbst war zuständig für Architektu­r und Tischlerei, Paul Klee für das Buchbinden. Wassily Kandinsky lehrte Wandmalere­i, Gerhard Marcks Keramik, Ludwig Mies van der Rohe Architektu­r, László Moholy-Nagy Metallbau, Oskar Schlemmer Bühnenauss­tattung und Wandmalere­i.

Bis auf Josef Albers und Mies van der Rohe waren alle Genannten verfemte Künstler unter den Nationalso­zialisten, die das Berliner Bauhaus 1933 in einer Nacht- und Nebelaktio­n schlossen. Obwohl ihnen manche Ideen der Bauhaus-Philosophi­e zupasskame­n (Funktional­ität, Volksnähe), obwohl es unter ihnen auch Stimmen für das Bauhaus gab: Letztlich wurde der Gemeinscha­ft der Meister, Gesellen und Lehrlinge Knüppel zwischen die Beine geworfen und sie kurzerhand ausgesperr­t, wegen linker und „entarteter“Umtriebe. Lehrer und Schüler zerstreute­n sich in alle Welt – und verbreitet­en dort die Ideen der schlichten, eleganten Ästhetik.

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Fotos (4): dpa Blick auf die freischwin­gende Treppe im Hauptgebäu­de des historisch­en Bauhauses von Weimar, bereits zwischen 1904 und 1911 im Jugendstil nach Entwürfen von Henry van de Velde gebaut.
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Die sogenannte Wagenfeld-Lampe von Wilhelm Wagenfeld/C. J. Jucker
 ??  ?? Marianne Brandts Teekanne ist ein bis heute nachgebaut­er Klassiker.
Marianne Brandts Teekanne ist ein bis heute nachgebaut­er Klassiker.
 ??  ?? Das von Walter Gropius entworfene Bauhaus Dessau.
Das von Walter Gropius entworfene Bauhaus Dessau.

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