Der Herr der Worte und Duelle
Odessa war tiefe Provinz, das kultivierte St. Petersburg war eine Welt entfernt. Doch hier, im sonnigen Süden Russlands, schrieb Alexander Puschkin 1824 an seinem bedeutendsten Werk. Im übrigen Europa ist „Eugen Onegin“eher als TschaikowskiOper bekannt. In seiner Heimat ist Puschkin der Übervater der Literatur. Er hat den Russen ihre Sprache zurückgegeben. Und er war in seiner Großherzigkeit und seinem aufbrausen- den Temperament ein Russe von echtem Schrot und Korn.
Die Sprache gab er seinen Landsleuten auf doppelte Weise zurück. Die Oberschicht sprach Französisch und näselte herablassend über das russische Bauern-Idiom hinweg. Literatur wiederum fand in einer abgehobenen Kunstsprache statt, die mit dem wahren Leben und der gesprochenen Wirklichkeit wenig zu tun hatte. Erst Alexander Puschkin schaute dem Volk aufs Maul und erhob das Russisch, das er hörte, zur Literatursprache. Dafür wird er bis heute verehrt. Sein bekanntester Held, der unstete Eugen Onegin, wird von einem Ereignis getrieben, das – nicht nur in Russland – die besseren Kreise jener Zeit wie ein Fluch begleitete: Onegin wird von seinem Freund Lenski zu einem Duell herausgefordert. Es kommt zum Schusswechsel, Lenski stürzt tödlich getroffen zu Boden.
Bei dieser Szene konnte Alexander Puschkin aus einem reichen persönlichen Erfahrungsschatz schöpfen. Schon mit 17 Jahren, gerade hatte er die Schule hinter sich, wollte er sich mit seinem Onkel Pawel duellieren. Aus dem üblichen Grund: Der erfahrenere Onkel hatte dem jungen Burschen beim Tanz ein Mädchen weggeschnappt. Die lebensgefährliche Kinderei des 17-Jährigen konnte nur mit Mühe abgewendet werden. Das war der Auftakt einer ganzen Serie. Der Dichter, aber nicht nur er, war sehr leicht in seiner Ehre gekränkt. So leicht, dass Puschkin sage und schreibe zwanzig Mal einen Beleidiger zum Duell herausforderte. Er selber wurde auch sieben Mal von einem Beleidigten zur ritualisierten Schießerei eingeladen. Zum Glück kam es nur vier Mal tatsächlich zum Duell. Puschkin schoss dabei nie als Erster. Auch beim letzten Duell nicht. Anders als bei Eugen Onegin wurde nicht der Gegner tödlich verwundet. Alexander Puschkin selber wurde als Herausforderer von einer Kugel im Bauch getroffen. Er war 38 Jahre alt, als er sein Leben aushauchte.