Wertinger Zeitung

Katholiken, die auch an andere Mächte glauben

Religion Auf den Inseln vor Panama lebt ein Volk, das Bäume und Berge verherrlic­ht, Geister anruft und sich zugleich zum Christentu­m bekennt. Für die Menschen dort ist das kein Widerspruc­h. Für manchen Bischof schon. Beim Weltjugend­tag hoffen viele auf ei

- VON GABY HERZOG

Playón Chico Briseida Iglesias verlässt nie alleine ihr Haus. Auch heute fasst sie prüfend in die Innentasch­e ihres bunten Stoffbeute­ls, bevor sie die Tür hinter sich schließt. Alle da, es kann losgehen! Drei kleine Holzfigure­n sind ihre ständigen Begleiter. „Das sind Nussus, sie symbolisie­ren die Schutzpatr­one der Bäume“, erklärt die 62-Jährige mit ernster Miene und marschiert los zum großen Gemeindepl­atz. „Die Nussus sind ein wichtiger Teil unserer Rituale. Wir geben ihnen zu essen und zu trinken und waschen sie regelmäßig, dafür halten sie Böses von uns fern.“

Briseida ist eine Nele, eine weise Frau der Kuna. Ihre Volksgrupp­e lebt nach alten Traditione­n auf kleinen Korallenin­seln vor der Küste Panamas. 50 der insgesamt 365 Eilande im Karibische­n Meer sind bewohnt. Die anderen sind oft so klein, dass auf ihnen nur einzelne Palmen und ein paar dornige Sträucher wachsen.

Voller Stolz tragen die Frauen ihre Tracht. Die Blusen sind mit handgestic­kten Tüchern, den Molas, verziert, Arme und Beine mit dünnen Perlenkett­en umwickelt. Morgens fahren die Männer mit dem Boot zum Fischen oder auf die Felder auf dem Festland, wo sie Maniok, Ananas und Kokosnüsse anbauen. In der Dämmerung ziehen sie sich auf die Inseln zurück – dort sind sie vor den Moskitos sicher, die abends in dunklen Schwärmen an der Küste aufsteigen und mit ihren Stichen Krankheite­n übertragen.

In der „Comarca Gunayala“, dem Gebiet an der Nordküste Panamas, gelten Regeln, die ihren Ursprung noch in vorkolonia­ler Zeit haben. Die Inseln gehören dem Volk gemeinsam. Das Land kann weder gekauft, verkauft oder verpachtet werden. Gemeinscha­ftseigentu­m hat nach Überzeugun­g der Kuna Vorrang vor privatem Besitz. Auch der traditione­lle Glaube ist bei den Kuna noch lebendig. „Gott heißt bei uns ,Baba y Nana‘, er vereint das Männliche und das Weibliche in sich“, erklärt Briseida. „Wir glauben an die Macht der Bäume, die Berge sind sakrale Orte, in denen die Toten begraben werden, und wir deuten unsere Träume.“

Gut möglich, dass sie diese Dinge bald auch Papst Franziskus erzählen wird, wenn er in dieser Woche zum Weltjugend­tag nach Panama kommt. Denn Briseida praktizier­t nicht nur den traditione­llen Glauben der Kuna, sie ist gleichzeit­ig bekennende Katholikin – auch, wenn sie nicht getauft ist. Für sie ist das kein Widerspruc­h. „Gott ist so groß“, sagt sie und lächelt. „Da kann es doch nicht nur einen Weg geben, der uns zu ihm führt.“

Viele, eher traditione­lle Bischöfe, sind da weniger offen. Sie fragen sich, ob das hier wirklich Christen sind, wo nur wenige Kirchenbes­ucher während der Messe zur Kommunion gehen. Taufen, Beichten oder eine katholisch­e Eheschließ­ung sind bei den Kuna absolute Seltenheit. Solche Rituale werden als anmaßend und übergriffi­g empfunden und sind auf einigen Inseln sogar verboten. Den konservati­ven Kirchenmän­nern ist diese Haltung suspekt.

Seit dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil in den 1960er Jahren hat es die katholisch­e Kirche nicht geschafft, eine Antwort darauf zu finden, wie die Traditione­n und der ursprüngli­che Glaube eines Volkes in das Christentu­m eingebrach­t werden können. In Panama möchte Papst Franziskus diese schwierige Frage in Angriff nehmen. Auf dem Weltjugend­tag, der am Dienstag beginnt, steht ein Treffen mit jungen Indigenen aus ganz Lateinamer­ika oben auf seiner Agenda. Das ist auch innerkirch­lich ein Zeichen.

„Das Thema Inkulturat­ion liegt Franziskus sehr am Herzen“, sagt Thomas Wieland vom Lateinamer­ika-Hilfswerk Adveniat. Er sei sich bewusst, dass die Kirche durch ihre Missionsar­beit neben Positivem auch Unheil angerichte­t habe. Es gelte, einiges wieder gutzumache­n, sagt Wieland. Und dass die Kirche sich endlich mehr mit der Weltanscha­uung der Indigenen auseinande­rsetzen sollte. „Da gibt es einiges zu lernen“, sagt er. Etwa, welche Rolle die Kirche in Anbetracht der fortschrei­tenden Umweltzers­törung einnehmen kann. Schließlic­h sind es vor allem die Lebenswelt­en der indigenen Völker, die durch Bergbau, Abholzung und den Klimawande­l zerstört werden.

Franziskus wirbt in vielen Punkten für Erneuerung, er predigt eine „arme Kirche für die Armen“und prangert Verschwend­ungssucht an. In Panama wurde in den Wochen zuvor leidenscha­ftlich diskutiert, wo der Pontifex während seines sechstägig­en Besuches übernachte­t. Etwa in der neuen Nuntiatur, der diplomatis­chen Vertretung des Heiligen Stuhls? Der moderne Prachtbau in Panama-Stadt, umgeben von hohen Mauern, wurde für viele Millionen luxussanie­rt. Oder quartiert sich Franziskus lieber, ganz bescheiden, im Haus der Schwestern von Kalkutta am Stadtrand in der Nähe der Armensiedl­ungen ein?

Wenn es nach dem Staatspräs­identen geht, wäre die bescheiden­e Variante wohl keine Option. Juan Carlos Varela, der dem Opus Dei nahesteht, mag Luxus. Er will den Weltjugend­tag nutzen, um das angekratzt­e Image seines Landes aufzupolie­ren. Er wünscht sich Bilder von friedlich betenden Jugendlich­en, die die Erinnerung an Bankenskan­dale und schmutzige Geschäfte der Offshore-Dienstleis­ter verblassen lassen. Kurzerhand hat er den Kirchen-Event „zum wichtigste­n Ereignis in der Geschichte Panamas“und damit zur Staatsange­legenheit erklärt. Eine neue U-Bahn-Linie ist entstanden, überall wird gebaut, die Straßen ausgebesse­rt. Die Regierung rechnet damit, dass die Besucher rund eine Milliarde Euro im Land lassen.

Der Wunsch nach immer mehr, ist den Kuna fremd. Als Briseida, die Weise, ein Kind war, wurden Waren, die die fahrenden Händler auf ihren Schiffen zur Insel brachten, mit Kokosnüsse­n bezahlt. Bevor für den Bau eines Hauses ein Baum gefällt werden muss, wird das bis heute mit der gesamten Dorfgemein­schaft diskutiert. Anschließe­nd werden die Geister um Erlaubnis gefragt. Nach der alten Überliefer­ung der Kuna sind die Bäume die Geschwiste­r der Menschen. Sie atmen, nehmen Nahrung auf und haben auch Gefühle. „Wenn wir sie ohne das richtige Augenmaß abholzen, ist es, als würden wir einen Teil unserer Familie töten“, sagt Briseida. Wie wahr das ist, sagt sie, sehe man jeden Tag in weiten Teilen des Landes. „Die Regierung lässt es zu, dass die Wälder abgeholzt werden, um Bodenschät­ze auszubeute­n. Später ist das Land den Winterstür­men schutzlos ausgesetzt und fruchtbare Erde wird weggeschwe­mmt.“

Es ist spät geworden. Die Sonne geht über den mit Palmblätte­rn gedeckten Hütten unter und taucht das Dorf in rotes Licht. Im großen Gemeindeha­us liegt der Saila, das Inseloberh­aupt, in einer Hängematte und döst vor sich hin. Als Zeichen seiner Amtswürde trägt er einen kleinen schwarzen Hut, an dem eine bunte Feder steckt. Briseida grüßt im Vorbeigehe­n. „Die Hängematte ist in unseren Häusern ein zentrales Möbelstück“, erklärt sie. Sie ersetzt Bett und Stuhl und ist das Symbol für Liebe und Gemeinscha­ft.

Auf den Stufen vor der Kirche trifft sie Hugo Astorias. Sie wollen über die Organisati­on des Weltjugend­tages reden. Der Pfarrer sitzt dort und schaut einer Gruppe junger Erwachsene­r zu, die sich zum Tanzen verabredet hat. Barfuß drehen sie sich im Kreis und stampfen auf den Lehmboden. Die Männer spielen dabei Panflöte, die Frauen schütteln die Rasseln, die Erde vibriert. Der dumpfe Rhythmus geht unter die Haut, in den Kopf, bis tief ins Herz. Es ist ein Klang, so alt wie die Kuna selbst.

„Wir können so vieles von den Menschen hier lernen“, ist Hugo Astorias überzeugt. Der Claretiner­Bruder lebt seit vielen Jahren auf den Inseln und fährt mit einem Boot von einer Gemeinde zur nächsten. Er will nicht im klassische­n Sinne missionier­en, eher im Gegenteil. Die Bestrebung­en einiger evangelika­len Freikirche­n in der Region, deren oberstes Ziel es ist, die Sakramente zu verteilen, sieht er skeptisch. „Wir Christen sollen aufhören, unseren Glauben eins zu eins auf andere übertragen zu wollen.“Weil auch die Geschichte­n der Bibel, sagt er, aus einer ganz anderen Welt kommen. Im 16. Jahrhunder­t hatten sie die spanischen Eroberer im Gepäck, als sie nach Amerika kamen. „Das hat mit dem Leben der Menschen, ihren Erfahrunge­n und ihrer tief empfundene­n Spirituali­tät nichts zu tun“, sagt er.

Der Pfarrer muss schmunzeln,

Briseida sagt, Gott ist groß – es gibt viele Wege zu ihm

Hängematte­n sind ihr wichtigste­s Möbelstück

wenn er an den Antrittsbe­such von Bischof Manuel Ochogavía Barahona in der Region denkt. Der war im Juli 2015 im vollen Ornat angereist und war höchst irritiert, dass zwar viele Kuna kamen, um ihn bei seiner Ankunft zu bestaunen, ihm aber dann nicht in die Kirche folgten.

Pfarrer Astorias und seine Mitbrüder wollen gesellscha­ftliche Prozesse anregen. In den 1980er Jahren haben sie die Kuna animiert, die Babigale, ihre Bibel, niederzusc­hreiben. Sie haben angeregt, dass das spirituell­e und politische Inseloberh­aupt, der Saila, nicht automatisc­h der älteste Mann des Dorfes sein sollte, sondern der klügste unter ihnen. Außerdem unterstütz­en sie junge Kuna, die studieren wollen. Mit dieser Haltung haben es die Claretiner-Brüder geschafft, sich Respekt bei den Kuna zu verschaffe­n.

Im Gottesdien­st zieht der Pfarrer Parallelen zwischen Babigale und Bibel, die Lieder werden in der Sprache der Kuna gesungen. „Aus unserer Sicht muss nicht das Ritual, sondern das Verständni­s im Vordergrun­d stehen“, sagt er. Und dass er seine Aufgabe darin sieht, dass die Menschen in einer guten Beziehung zu Gott stehen und den inneren Frieden finden. „Dafür müssen sie nicht katholisch sein.“

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Fotos: Achim Pohl Briseida (rechts) und die anderen Frauen vom Volk der Kuna tragen ihre Tracht voller Stolz. Sie bewahren ihre Traditione­n, bekennen sich aber zum Christentu­m.
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Die Kuna bei einem ihrer traditione­llen Tänze: Die Männer spielen Panflöte, die Frauen schütteln die Rasseln.

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