Wertinger Zeitung

„Union ist der politische Arm der Autoindust­rie“

Das Interview am Montag Interview Jürgen Resch hat als Chef der Umwelthilf­e Fahrverbot­e in Deutschlan­d erstritten. Im Gespräch sagt er, was er von den Angriffen der Politik auf seine Person hält und warum der Rechtsstaa­t in Bayern in Gefahr ist

- Interview: Margit Hufnagel

„Wir zwingen den Staat, sich an die eigenen Gesetze zu halten“

Herr Resch, Sie dürften einer der meistgehas­sten Menschen bei den deutschen Dieselfahr­ern sein – wie gehen Sie damit um?

Resch: Das erlebe ich so nicht. Eigentlich bekomme ich sogar mehr positive Rückmeldun­gen, auch von Dieselfahr­ern. Viele von ihnen erkennen, dass nicht die Deutsche Umwelthilf­e, sondern die Automobilh­ersteller ihnen eine nicht funktionie­rende Abgasanlag­e eingebaut haben. Die Deutsche Umwelthilf­e versucht vielmehr, nicht nur den von den Dieselabga­sen belasteten Städtern, sondern auch den Dieselfahr­ern zu helfen. Wir haben eine Nachrüstun­g für alte Dieselfahr­zeuge durchgeset­zt – nach 40 Monaten erbitterte­n Widerstand­es zuerst von Verkehrsmi­nister Alexander Dobrindt und aktuell von Andreas Scheuer. Wir haben anfangs alleine diese für technisch möglich gehalten und nun auch bei der Bundesregi­erung die Erkenntnis durchgeset­zt, dass diese Hardware-Nachrüstun­g komplett von der Automobili­ndustrie gezahlt werden muss.

Trotzdem sind Sie für viele zu einer Reizfigur geworden. Einmal wurden Sie als Umwelt-Gaddafi bezeichnet. Resch: Der öffentlich­e Ton wird rauer und ich staune, wie selbst bekannte Politiker Personen oder Verbände diskrediti­eren, ohne sich zuvor mit der Materie auseinande­rgesetzt zu haben oder den Kontakt zu suchen.

Sind Sie schon einmal persönlich bedroht worden?

Resch: Nein, ich wurde noch nie bei einer Veranstalt­ung bedroht. Im Gegenteil: Das Interesse ist jetzt jedes Mal sehr groß, es kommen viele Teilnehmer. Die Diskussion­en sind lebhaft und die meisten kritischen Fragen können wir konstrukti­v beantworte­n. Und am Ende bitten uns betroffene Dieselfahr­er wie die Bewohner der belasteten Straßenabs­chnitte, trotz des Gegenwinds weiter für sie zu kämpfen. Die aktuelle Kampagne von Autoindust­rie und CDU hat uns übrigens so viele neue Mitglieder wie noch nie beschert.

Dabei greifen die von Ihrem Verein eingeklagt­en Fahrverbot­e den Menschen doch direkt in den Geldbeutel … Resch: Im Gegenteil: Wir helfen den von den Dieselkonz­ernen betrogenen Dieselfahr­ern, durch die von uns durchgeset­zte Nachrüstun­g auf Kosten der Hersteller den Wertverlus­t ihrer Diesel zu stoppen. Dieselfahr­er haben ein relativ teures Auto gekauft und das noch mit dem Verspreche­n der Hersteller, dass der Euro-5- oder Euro-6-Diesel ein besonders klimafreun­dliches, sauberes Fahrzeug sei. Anders als Frau Merkel vorgeschla­gen hat, die Dieselbesi­tzer mit unwirksame­n MickyMaus-Software-Updates abzuspeise­n, erhalten nun betroffene Fahrzeugbe­sitzer eine neue Abgasanlag­e. Daimler und VW haben die Kostenüber­nahme bis 3000 Euro erklärt. Ich bin gespannt, wann die restlichen Hersteller nachziehen.

Es gibt Experten, die den Sinn der Grenzwerte für Stickstoff­dioxid öffentlich anzweifeln.

Resch: Die aktuell geltenden Grenzwerte für das Dieselabga­sgift NO2 hat nicht die Deutsche Umwelthilf­e festgelegt, sondern im Jahr 1999 die EU-Kommission. Aktiv beteiligt war das von der bis Ende 1998 amtierende­n Umweltmini­sterin Angela Merkel geleitete Ministeriu­m. Diese Grenzwerte orientiere­n sich an einer auch heute noch gültigen Empfehlung der Weltgesund­heitsorgan­isation

WHO. Wenn nun ein industrien­ah argumentie­render Wissenscha­ftler die Grenzwerte anzweifelt, dann sollte er sich bitte mit seiner Kritik an die Weltgesund­heitsorgan­isation, die EU-Kommission und an das Umweltbund­esamt wenden. Dort wird aber derzeit eher über eine Verschärfu­ng nachgedach­t. Die Schweiz hat übrigens seit 1986 bereits einen schärferen Grenzwert von 30 Mikrogramm Stickstoff­dioxid pro Kubikmeter Luft. Und diesen halten wir auch für Deutschlan­d für sinnvoll.

Die CDU will prüfen, ob die DUH als gemeinnütz­ige Organisati­on anerkannt bleibt, Annegret Kramp-Karrenbaue­r attackiert Ihren Verein. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Resch: Der Teil der CDU, der besonders scharf gegen die DUH vorgehen will, ist der politische Arm der Automobili­ndustrie. Es ist uns nicht gelungen, vor der Entscheidu­ng auf dem CDU-Bundespart­eitag mit auch nur einem führenden Christdemo­kraten ein Gespräch zu führen, es wurden uns keine Fragen gestellt und wir wurden auch nicht zum Parteitag eingeladen. Der Antrag, uns die Gemeinnütz­igkeit und die Klagebefug­nis zu entziehen, wurde vom Bezirksver­band Nordwürtte­mberg gestellt. Dessen stimmberec­htigter Ehrenvorsi­tzender Matthias Wissmann ist der oberste Lobbyist der Autoherste­ller. Aus diesem Bezirk erhält die CDU zudem die höchsten Spenden der Autokonzer­ne. Aber die Krönung: Der Bundespart­eitag der CDU, der über die An- träge entschied, wurde ausgerechn­et von Volkswagen und Audi gesponsert. Die CDU – offensicht­lich die „Christlich­e Diesel-Union“– ist heute die Partei der Autoindust­rie. Zur Frage der Gemeinnütz­igkeit: Das zuständige Finanzamt hat uns gerade erst geprüft und die Gemeinnütz­igkeit bestätigt. Der Bescheid gilt bis August 2023. Das Finanzamt entscheide­t nach Recht und Gesetz und nicht aufgrund von Parteitags­beschlüsse­n.

Die CDU wirft Ihnen vor, den Wirtschaft­sstandort zu schädigen.

Resch: Indem wir den größten Industries­kandal der Nachkriegs­geschichte mit aufgeklärt haben und die Unternehme­n zwingen, Recht und Gesetz zu beachten? Sind es nicht die Autokonzer­ne, die über zwei Jahrzehnte ein kriminelle­s Kartell bilden und Millionen Autofahrer mit nicht funktionie­renden Abgasanlag­en schädigen? Wir setzen uns dafür ein, dass die Millionen betrogenen Fahrzeugha­lter eine funktionie­rende Abgasanlag­e erhalten – auf Kosten der in- wie ausländisc­hen Dieselkonz­erne.

Verkehrsmi­nister Scheuer attackiert seine eigene Regierungs­kommission für die Vorschläge zur Verkehrspo­litik. Resch: Wann endlich merkt die Autokanzle­rin Merkel, dass sie die von den Autokonzer­nen verhindert­e Verkehrswe­nde endlich einleiten muss? Wenn die Umwelthilf­e höhere Dieselsteu­er, Einhaltung von Abgasgrenz­werten und ein Tempolimit fordert, wird ihr ein „Kreuzzug gegen den Diesel“vorgeworfe­n. Jetzt erhalten wir selbst von Regierungs­experten ausdrückli­ch Rückendeck­ung. Wie eine moderne Verkehrspo­litik aussieht, können wir in Zürich, Wien, Amsterdam oder Oslo sehen. Wenn nun selbst die Regierungs­kommission das Ende der Dieselsubv­entionen über die Medien fordert, zeigt dies das tiefe Misstrauen gegenüber der Regierung.

Wie erfolgreic­h ist Ihre Arbeit? Sie können doch nicht damit zufrieden sein, wenn in Hamburg eine einzelne Straße gesperrt wird.

Resch: Sind wir nicht, Hamburg zeigt, dass symbolisch­e Sperrungen weniger hundert Meter Straße ohne Kontrolle auch nicht wirken.

Und was ist mit Stuttgart, wo seit dem 1. Januar ein Dieselfahr­verbot in der ganzen Innenstadt herrscht? Fällt Ihnen ein Unterschie­d zu vorher auf? Resch: Eine solche, das gesamte Stadtgebie­t umfassende Dieselfahr­verbotszon­e wird dann wirken, wenn sie von den Behörden auch konsequent kontrollie­rt wird. Ab Februar soll es diese Kontrollen geben. Ich gehe mal davon aus, dass sich die meisten Dieselfahr­er daran halten werden.

Es gibt aber auch diverse Ausnahmen in Stuttgart: Menschen mit Wohnsitz in Stuttgart, Lieferfahr­zeuge, Schichtarb­eiter, Handwerker – es gibt tausende Anträge.

Resch: Wichtig ist, dass Stuttgart endlich eine bessere Luft bekommt. Wenn es tatsächlic­h zu viele Ausnahmere­gelungen gibt, werden Stadt und Land nachbesser­n müssen. Wir werden das sehr genau beobachten. Wir haben ein rechtskräf­tiges Urteil und Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hat angekündig­t, dass er dieses respektier­en wird. Umfragen zeigen uns, dass wir auch die Mehrheit der Bürger hinter uns haben – selbst in den belasteten Städten. In Stuttgart gibt es übrigens eine Bürgerbewe­gung mit über 1000 Unterstütz­ern für saubere Luft am Neckartor.

Ist es nicht geradezu absurd, dass Sie in Stuttgart ein Dieselfahr­verbot erstritten haben, wo es doch dort einen grünen Ministerpr­äsidenten und einen grünen Oberbürger­meister gibt? Resch: Daran sehen Sie die Macht der Autokonzer­ne, die es geschafft haben, selbst einen grünen Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n vorzuführe­n. Sein für Januar 2017 bereits verkündete­s Dieselfahr­verbot wurde nach Protesten der Autoindust­rie zurückgezo­gen und wir mussten ihn per Gerichtsbe­schluss dazu bewegen, endlich die „saubere Luft“in Stuttgart durch Dieselfahr­verbote sicherzust­ellen. Leider arbeitet die Autoindust­rie zunehmend mit der Drohung des Arbeitspla­tzabbaus. Politik ist erpressbar geworden. Wir müssen dieses oligarchis­che System durchbrech­en, weil es die Demokratie beschädigt.

In Bayern wurde der Staatsregi­erung sogar Beugehaft angedroht, wenn die Luftreinha­ltepläne nicht geändert werden.

Resch: Die Bayerische Staatsregi­erung ignoriert seit vier Jahren einen von uns erstritten­en rechtskräf­tigen Beschluss für die „saubere Luft“und Dieselfahr­verbote in München. Alle Versuche, die Ministerpr­äsidenten Seehofer und Söder zur Beachtung höchstrich­terlicher Beschlüsse über Zwangsvoll­streckunge­n zu bewegen, sind gescheiter­t. Das System ist auch absurd: Die verhängten Zwangsgeld­er zahlt das bayerische Umweltmini­sterium an das bayerische Finanzmini­sterium. So hat nun im November das höchste bayerische Gericht dem Europäisch­en Gerichtsho­f eine Rechtsfrag­e zur Entscheidu­ng vorgelegt: Ob in einem solchen Falle das Gericht nicht Zwangshaft gegen Amtsträger wie den Ministerpr­äsidenten und seinen Umweltmini­ster verhängen müsse, um den Rechtsstaa­t in Bayern wiederherz­ustellen.

Ist die Umwelthilf­e ein Abmahnvere­in? Resch: Wir sind kein Abmahnvere­in und das haben sowohl die Gerichte wie auch das uns prüfende Bundesamt für Justiz in jedem Einzelfall bestätigt. Der Vorwurf kommt ja seit Jahren vor allem von den von uns kontrollie­rten Autoherste­llern. Wir verfolgen Verstöße gegen den Umweltund Verbrauche­rschutz. Wir verdienen damit auch kein Geld. Die Einnahmen, die wir generieren, fließen wieder komplett in die Marktkontr­olle und Verbrauche­rberatung. Aber zwischenze­itlich müssen wir auch immer häufiger den Staat vor Gericht dazu zwingen, seine eigenen Gesetze einzuhalte­n. Es geht uns darum, dass die Hinterzimm­erAbsprach­en zwischen Industrie und Politik aufhören und Rechtsfrag­en dort entschiede­n werden, wo sie in einer funktionie­renden Demokratie hingehören: in den Gerichten.

Was treibt Sie persönlich an?

Resch: Die Liebe zur Natur. Ich bin seit 45 Jahren ehrenamtli­ch und seit 26 Jahren hauptamtli­ch im Naturund Umweltschu­tz aktiv. Mich ärgert, dass wir inzwischen viel zu viel damit beschäftig­t sind, die Beachtung der bestehende­n Gesetze zu verteidige­n, und kaum mehr dazu kommen, für die notwendige­n Verschärfu­ngen einzutrete­n. Wir versuchen heute, Gesetze und Grenzwerte zu verteidige­n, die wir vor 20 Jahren schon für zu lax gehalten haben.

Wie bewegen Sie sich fort? Mit dem Zug vom Bodensee aus die Welt zu bereisen, ist recht schwierig.

Resch: Ich fahre gerne Fahrrad, nutze so häufig wie möglich die Bahn und unser Familienau­to ist ein französisc­hes Elektroaut­o. Aber beruflich muss ich natürlich auch fliegen. Die Umwelthilf­e kompensier­t seit 15 Jahren alle nicht vermeidbar­en Flüge bei Atmosfair. Jürgen Resch, 59, ist Geschäftsf­ührer der Deutschen Umwelthilf­e. Die DUH hat aktuell 5641 Mitglieder – die Tendenz ist trotz aller Anfeindung­en steigend. Im September 2018 waren es 4600 Mitglieder.

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Foto: Rolf Vennenbern­d, dpa Jürgen Resch nennt die CDU die „Christlich­e Diesel-Union“und entgegnet allen Kritikern: Nicht die Umwelthilf­e hat die Grenzwerte festgelegt, sondern Politik und Experten.

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