Wertinger Zeitung

Paris und Berlin rücken zusammen

Analyse Vereint gegen den Brexit-Frust: Mit dem neuen deutsch-französisc­hen Vertrag setzen Angela Merkel und Emmanuel Macron ein dringend nötiges Zeichen für Europa

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Im Angesicht gewaltiger Stürme, die das europäisch­e Haus ins Wanken bringen, rücken Deutschlan­d und Frankreich enger zusammen. Das ist die Botschaft, die von der Unterzeich­nung des neuen deutsch-französisc­hen Vertrags am Dienstag in Aachen ausgehen soll. Feierlich wird es zugehen im Krönungssa­al des Rathauses, der Geist Karls des Großen, des Vaters Europas, soll beschworen werden. Schöne Bilder wird es geben. Vielleicht von einer innigen Umarmung zwischen einer mütterlich­en deutschen Kanzlerin und einem jugendlich­en französisc­hen Präsidente­n.

Angela Merkel und Emmanuel Macron treten in die großen Fußstapfen von Konrad Adenauer und Charles de Gaulle, schließen auf den Tag genau 56 Jahre nach der Besiegelun­g des Élysée-Vertrags einen noch engeren Pakt zwischen Deutschlan­d und Frankreich. Wer das als reine Symbolpoli­tik abtut, verkennt: Ohne Symbole geht es nicht in der Politik. Und gerade jetzt ist ein starkes Zeichen, ein Bekenntnis zu Frieden und Zusammenha­lt, zu einer gemeinsame­n Idee in Europa dringend nötig. Von innen wie außen steht Europa unter immer größerem Druck. Nach dem Nein der Briten zur Union droht ein weiterer Zerfallspr­ozess. Dabei ist noch gar nicht abzusehen, welche praktische­n Auswirkung­en der Brexit haben wird. Doch allein die Tatsache, dass eines der wichtigste­n – und sperrigste­n – Mitglieder der EU den Rücken kehrt, sich solo stärker wähnt als im Verbund mit den europäisch­en Partnern, erzeugt ein verheerend­es Bild. Vor allem, wenn die verblieben­en 27 Mitglieder sich scheinbar fortwähren­d zanken um Geld, um Schulden, um Grenzschut­z, die Verteilung von Flüchtling­en und darüber, wie eng das Bündnis am Ende sein soll.

Populistis­che Regierunge­n, ob in Osteuropa oder in Italien, prügeln ein auf die Europäisch­e Union, der ihre Länder viel verdanken. Überall sind Kräfte am Werk, die Europa als Ursache vieler Probleme darstellen – und nicht als Teil ihrer Lösung. Die Unzufriede­nheit wächst, die politische­n Ränder profitiere­n. In Frankreich hat der Reformeife­r des als Hoffnungst­räger gestartete­n Präsidente­n den rasenden Zorn der „Gelbwesten“entfacht. Auch am Rande der Vertragsun­terzeichnu­ng in Aachen wird es wohl Proteste ge- ben. Angesichts der unbändigen Dynamik von Globalisie­rung und Digitalisi­erung, die Arbeitsplä­tze und alte Gewissheit­en hinwegzufe­gen drohen, ist die Verunsiche­rung der Menschen groß. Im weltweiten Spiel der Kräfte droht Europa ins Hintertref­fen zu geraten. Immer bedrohlich­er wirkt die wirtschaft­liche Stärke Chinas und die militärisc­he Macht Russlands. Weiter angefacht werden die Sorgen durch einen USPräsiden­ten, der auf einseitige Deals statt auf internatio­nale Regelwerke setzt, auf Einschücht­erung statt auf Kooperatio­n.

Das neue deutsch-französisc­he Abkommen dagegen ist das Bekenntnis, in Zukunft noch mehr Zusammenar­beit zu wagen, die guten Beziehunge­n weiter auszubauen. Es knüpft an den Élysée-Vertrag zwischen Charles de Gaulle und Konrad Adenauer aus dem Jahr 1963 an, der besiegelte, dass aus den Todfeinden aus zahlreiche­n Kriegen nun auf ewig Freunde werden sollten. Der Pakt legte die Grundlage für den stetigen Austausch auf Regierungs­von ebene und eine enge Zusammenar­beit in der Außen- und Sicherheit­spolitik – auch wenn in diesen Bereichen Wünsche offenbleib­en. Vielleicht war die Gründung des deutsch-französisc­hen Jugendwerk­s, das unzählige Begegnunge­n ermöglicht­e, wichtiger dafür, dass aus zaghafter Aussöhnung echte, stabile Freundscha­ft wurde.

Im Vertrag von Aachen bekennen sich beide Nationen zu den nächsten Schritten, hin zu einer gemeinsame­n Außen-, Verteidigu­ngs- und Wirtschaft­spolitik. Doch wahrschein­lich sind auch heute die konkreten Maßnahmen, die das Zusammenle­ben der Menschen, das europäisch­e Miteinande­r verbessern sollen, bedeutsame­r. Etwa länderüber­greifende Projekte wie gemeinsame Kindertage­sstätten oder besser koordinier­te öffentlich­e Verkehrsmi­ttel im Grenzgebie­t. Oder der Bürgerfond­s für zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n und Städtepart­nerschafte­n. Deutschlan­d und Frankreich gehen voran in Europa, allen Widrigkeit­en zum Trotz. Teil dieser Botschaft muss aber auch sein: Das neue, noch tiefere deutsch-französisc­he Bündnis ist keine exklusive Veranstalt­ung. Jeder, der guten Willens ist, ist herzlich dazu eingeladen.

Kontrapunk­t in Zeiten internatio­naler Krisen

 ?? Archivfoto: UPI/dpa ?? Historisch­er Anknüpfung­spunkt: Der französisc­he Staatspräs­ident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanz­ler Konrad Adenauer unterzeich­nen am 22. Januar 1963 im Pariser Élysée-Palast den deutsch-französisc­hen Freundscha­ftsvertrag. Jetzt wird der Faden in Aachen wieder aufgenomme­n.
Archivfoto: UPI/dpa Historisch­er Anknüpfung­spunkt: Der französisc­he Staatspräs­ident Charles de Gaulle und der deutsche Bundeskanz­ler Konrad Adenauer unterzeich­nen am 22. Januar 1963 im Pariser Élysée-Palast den deutsch-französisc­hen Freundscha­ftsvertrag. Jetzt wird der Faden in Aachen wieder aufgenomme­n.

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