Wertinger Zeitung

Wie arm sind die Armen?

Oxfam stellt Studie vor und erntet Kritik. Was dahinterst­eckt

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Davos Die Armut in der Welt rückt dank Oxfam wieder in den Fokus. Die Hilfsorgan­isation errechnet jedes Jahr, wie viele Super-Milliardär­e über genauso viel Geld verfügen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölk­erung. Der Report sorgt für Widerspruc­h – vor allem von marktliber­alen Experten. Haben sie recht?

1 Kritikpunk­t Oxfam ignoriert, dass weltweit immer mehr Menschen den Aufstieg aus bitterer Armut schaffen.

Bewertung Falsch. In den Berichten weist Oxfam regelmäßig darauf hin, dass die krasseste Form von Armut weltweit zurückgeht – so auch diesmal: „Eine der großen Errungensc­haften der letzten Jahrzehnte war der enorme Rückgang der in extremer Armut lebenden Menschen, die von der Weltbank als 1,90 US-Dollar pro Person und Tag definiert wurde.“Das lobt die Organisati­on als „absolut großartig“. Allerdings kritisiert sie, dass sich dieser Trend abschwächt. Zudem wird beanstande­t, dass viele Betroffene zwar nicht mehr extrem arm, aber weiterhin arm seien.

2 Kritikpunk­t Die Daten zur Armut werden von Oxfam nicht korrekt erfasst.

Bewertung Ungenau. Die Zahlen zur Verteilung stimmen in der Tendenz. Die Quellen zu Armut und Reichtum miteinande­r zu vergleiche­n, hat allerdings Tücken. Grundlage für das Vermögen der ärmeren Bevölkerun­g sind die Daten des „Global Wealth Report“der Schweizer Großbank Credit Suisse, das der Superreich­en die jährliche Milliardär­sliste des Magazins Forbes. Kritiker sehen darin aber einen Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Besonders stoßen sie sich an der Berechnung­smethode für die ganz arme Bevölkerun­g. Die Credit Suisse definiert Vermögen als die Summe aus privaten Finanzanla­gen, Vorsorge und Sachwerten – abzüglich der Schulden. Daraus die Definition von Armut abzuleiten, ist ihrer Meinung nach problemati­sch.

Eine Beispielre­chnung: Nach dem Report hätte ein Hochschula­bsolvent eines westlichen Industriel­andes, der zwar einen lukrativen Job begonnen, aber noch zehntausen­de Euro Schulden aus einem Studentend­arlehen hat, weniger Vermögen als ein schuldenfr­eier Bettler in Bangladesc­h, der von 1,50 Dollar am Tag lebt. Oxfam stelle – so die Kritik – den Job-Neuling deswegen ärmer dar als den extrem bedürftige­n Menschen.

Oxfam hält dagegen. Würde das ärmste Zehntel der Weltbevölk­erung aus der Rechnung herausgeno­mmen (weil möglicherw­eise einige hoch verschulde­te Menschen aus generell reichen Ländern in dieser Gruppe überpropor­tional vertreten seien), ändere dies nichts an der grundsätzl­ichen Erkenntnis. Denn die ärmsten zehn Prozent hätten keinen großen Einfluss auf das Gesamtverm­ögen der ärmeren 50 Prozent. Sogar vehemente Oxfam-Kritiker stellen fest, dass die ungleiche Verteilung des Vermögens weltweit massiv ist.

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Foto: dpa In der Studie zählt auch als arm, wer viele Schulden hat.

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