Wertinger Zeitung

Vollkommen verstrickt

- VON CHRISTINA HELLER hhc@augsburger-allgemeine.de

Seit ein paar Jahren stricke ich. Eine Zeit lang hätte ich das für unmöglich gehalten. In der Grundschul­e gehörte ich zu jenen Kindern, die am Abend vor der Handarbeit­sstunde flehend vor ihren Müttern standen und bettelten, sie mögen die kläglichen Schlage doch um ein paar Reihen rechte Maschen verlängern. Gebracht hat das wenig. Meine Mutter hatte selten Lust, ihren Abend mit Nadel und Faden zu verbringen. Manchmal hat sie sich aber erbarmt. Meine Schlage war am Ende zumindest ein kleiner Wurm, durch dessen weit ausgedehnt­e Maschenhau­t die Wattefüllu­ng lugte. Die Lehrerin benotete meine Mutter mit einer Drei minus. Das fand ich nicht ganz gerechet.

Als ich schon längst nicht mehr zu Hause wohnte, sagte eine Freundin zu mir: „Komm, wir stricken einen Schal.“Wir kauften Wolle und Nadeln, schauten fern und strickten. Seither habe ich Winter für Winter meine Familie mit selbst gestrickte­n Schals versorgt. Aber irgendwann verliert das seinen Reiz. Also habe ich mir eine neue Herausford­erung gesucht. Einen Pullover. Ist ganz einfach, hat die Frau im Wolle-Laden gesagt. Und ich dachte: Die muss es ja wissen. Das ist zwei Jahre her.

Zunächst lief es ganz gut, bis ich die Teile alle zusammenst­ricken sollte. Die Anleitung dazu besagte etwas wie: „In jeder 4. R 2 M r verschr. zusstr..“Für einen Schalstric­ker ist das nicht besonders leicht zu verstehen. Neulich musste ich 52 Reihen wieder auftrennen. Der Pullover war zu hässlich. Weil ich aber nicht weiß, wie das geht, habe ich rückwärts gestrickt. Es ist ganz schön mühsam, die eigenen Fehler zu beheben. Währenddes­sen habe ich kurz überlegt, flehend meine Mutter um Hilfe zu bitten. Aber lieber erarbeite ich mir diesmal meine eigene Drei minus.

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Foto: stock.adobe.com Ungefähr so fühlt sich die Autorin beim Stricken.

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