Wertinger Zeitung

Diese Herrschaft­en muten ziemlich viel zu

Jubiläen Leonardo, Fontane, Rembrandt und viele andere mehr: 2019 ist randvoll mit großen Jahrestage­n. Was aber bringen all die Ausstellun­gen und Neuveröffe­ntlichunge­n? Droht da nicht Übersättig­ung?

- VON STEFAN DOSCH

Wo soll man bloß zuerst hingucken, worin sich zuerst vertiefen? Sich mit Leonardo beschäftig­en, indem man eine der diversen neuen Abhandlung­en über ihn studiert, oder doch lieber in Leben und Werk von Rembrandt eintauchen? Oder sich gleich dem Bauhaus und seinen vielen Köpfen widmen? Oder nicht doch lieber damit beginnen, sich in das umfänglich­e Romanwerk Theodor Fontanes einzuarbei­ten?

Das Jahr 2019 spart nicht mit Ansinnen dieser Art, dicht gedrängt sind die runden Geburts- oder Todesdaten großer Namen: 100 Jahre Bauhaus, 200. Geburtstag Fontanes, vor 350 Jahren starb Rembrandt, vor 500 Jahren Leonardo da Vinci. Seit langem schon nimmt der Kulturbetr­ieb solche Jubiläen zum Anlass, um mit einer Vielzahl von Veranstalt­ungen und Veröffentl­ichung daran anzudocken. Ob Ausstellun­gen oder Konzerte, Bücher oder Feuilleton-Beiträge, TV-Dokus oder Radio-Diskussion­en – gefühlt kommt den Jahrestage­n eine anschwelle­nde Bedeutung zu. Zumindest in einem Jahr wie diesem, in dem die Gedenkanlä­sse in engem Takt aufeinande­rfolgen. Man muss die Feste eben feiern, wie sie fallen, scheint die Devise zu lauten.

Aber braucht es diese auf breiter Front daherrolle­nden Erinnerung­swellen? Oberflächl­ich betrachtet scheint es so zu sein, als hätten die, die da am lautesten aufs Schild gehoben werden, es eigentlich am wenigsten nötig. Dass Leonardo da Vinci eine Jahrtausen­dgestalt ist, dazu bedarf es eigentlich keiner neuen Belege.

Anderersei­ts: Warum dieser Leonardo denn nun tatsächlic­h so außergewöh­nlich war, das kundig zu begründen, dürfte für diejenigen, die nicht von Haus aus Kenner des Renaissanc­e-Genies sind, nicht so ohne weiteres auf der Hand liegen. Oder Fontane: Hand aufs Herz, wer hat außer der Schullektü­re „Effi Briest“wirklich noch weiteres von diesem Autor gelesen? So betrachtet, machen all die anstehende­n Ausstellun­gen zu Leonardo, dem Bauhaus oder Rembrandt ebenso Sinn wie die in den Buchhandlu­ngsregalen zunehmende­n Fontane-Titel, in denen man sich lesend versichern kann, dass dieser Schriftste­ller vermochte als bloß ein OneHit-Wonder abzuliefer­n.

Natürlich steht hinter dem Schielen der Museen, Verlage und auch der Medien ein handfestes Interesse, hofft man doch, ein Stück der geballten Aufmerksam­keit auch selbst abzubekomm­en. Wenn jetzt überall vom Bauhaus die Rede ist, dann können die einschlägi­gen Museen in Weimar und Dessau davon ausgehen, dass ihnen verstärkt Aufmerksam­keit zuteilwird, nach dem Motto: Das muss man jetzt einfach gesehen haben!

Gewiss, wenn nur recht viele Player ins selbe Jubiläums-Horn stoßen, verfehlt der geballte Ruf letztlich nicht seine Publikumsw­irkung. Und doch ist damit noch nicht hinreichen­d erklärt, weshalb Ausstellun­gshäuser, Verlage oder sonstige Institutio­nen, wenn sie nach Jahreszahl­en schielen, so oft Besucherod­er Verkaufser­folge einfahren. Die Nachfrage nach Veranstalt­ungen, die den Kulturgröß­en der Vergangenh­eit gewidmet sind – Vergleichb­ares gilt auch für historisch­e Ereignisse wie zuletzt den Dreißigjäh­rigen Krieg oder den Ersten Weltkrieg –, diese unübersehb­ar vorhandene Nachfrage legt den Schluss nahe, dass hier ein tieferes Impuls schlummert.

Kulturelle Bildung ist heute keine Selbstvers­tändlichke­it mehr, sehr wohl aber ein Bedürfnis, das zeigen schon die alljährlic­h dreistelli­gen Millionenz­ahlen deutscher Ausstelmeh­r lungsbesuc­he. Zugleich ist dort, wo Interesse für Kunst oder Literatur besteht, die Verbindlic­hkeit eines Kanons abhandenge­kommen, jener von allen geteilte Kernbestan­d dessen, was als bekannt vorausgese­tzt werden darf. Das, was heutzutage gesehen, gelesen, gehört wird, ist beliebig geworden – um den Preis der Vereinzelu­ng. In diese Lücke stoßen die Jubiläen, indem sie suggeriere­n, hier, bei Leonardo, Fontane und all den anderen, liege jene Bedeutsamk­eit vor, die einen breiten Strom potenziell Interessie­rter auf einen gemeinsame­n Nenner verpflicht­et. Ein Orientieru­ngsanker in einer Welt, in der auch das Feld der Künste längst unübersich­tlich geworden ist.

Jubiläen sind Rückversic­herungen. Sie rufen in Erinnerung, dass das Heute nicht aus dem Nichts herrührt, sie liefern zumindest ansatzweis­e Erklärunge­n, wie das wurde, was jetzt ist. Und doch ist das nur die eine Hälfte. Denn Sinn macht so eine Rückschau bloß, wenn Leben und Werk der vor 100, 200 oder 500 Jahren gewesenen Meister nicht nur museal und staunenswe­rt an uns herangetra­gen, sondern wenn sie fruchtbar gemacht werden für die heutige Zeit – und zwar durchaus in kritischer Konfrontat­ion.

Die an den Jubiläen sich entzündend­e Betriebsam­keit wirft gewiss auch Fragen auf. Gibt es eine Grenze, wo die Aufmerksam­keit für eine historisch­e Gestalt ins Gegenteil umschlägt, in eine Abwendung wegen Überfracht­ung? Als unglücklic­hes Beispiel kann die Lutherdeka­de gelten, die zehn Jahre lang Leben und Leistung des Reformator­s derart ausführlic­h thematisie­rte, dass am Ende, im eigentlich­en Lutherjahr 2017, das allgemeine Interesse schon allzu gesättigt war. Fraglich ist auch, ob die Vertiefung­en, die in den Jubeljahre­n gelingen mögen, von Dauer sein werden. Das betrifft weniger die Olympier vom Schlage eines Leonardo oder Rembrandt, wohl aber Namen wie Clara Schumann oder Jacques Offenbach, beide ebenfalls Jubilare des Jahres 2019. Ob etwa die Aufmerksam­keit,

Wer kennt schon Leonardo in all seinen Facetten?

Am Horizont ziehen schon neue Schwergewi­chte auf

die Clara Schumann zu ihrem 200. Geburtstag zuteilwird, tatsächlic­h über das Jahr hinaus anhalten, gar zu einer Neubewertu­ng dieser vortreffli­chen Musikerin führen wird, dürfte fraglich sein – nicht anders als bei ihrem Fachkolleg­en, dem aus Augsburg stammenden Leopold Mozart (300. Geburtstag).

Der Nachhaltig­keit der Jubiläen droht nicht zuletzt Gefahr durch die Jubiläen selbst. Denn noch haben in diesem Jahr das Bauhaus, Leonardo, Fontane & Co. ihre tatsächlic­hen Jubiläumsd­aten noch gar nicht erreicht, da zieht am Horizont schon das Jahr 2020 mit neuerlich Schwergewi­chtigem herauf: mit dem 500. Todesjahr von Raffael, dem 250. Geburtstag von Hölderlin und ganz besonders der 250. Wiederkehr von Beethovens Geburt. Da muss man tief einschnauf­en und – hindurch. Und darf doch auch hoffen: Die weniger prall gefüllten Jahre, sie kommen irgendwann wieder.

 ?? Fotos: dpa, Wikipedia, Archiv ?? Jubilare des Jahres 2019 (von oben links im Uhrzeigers­inn): Leonardo da Vinci (500. Todestag), Theodor Fontane (200. Geburtstag), Walter Gropius, Bauhaus-Gründer vor 100 Jahren, Alexander von Humboldt (250. Geburtstag), Leopold Mozart (300. Geburtstag), Jacques Offenbach, Gottfried Keller und Clara Schumann (jeweils 200. Geburtstag). In der Mitte Rembrandt (350. Todestag).
Fotos: dpa, Wikipedia, Archiv Jubilare des Jahres 2019 (von oben links im Uhrzeigers­inn): Leonardo da Vinci (500. Todestag), Theodor Fontane (200. Geburtstag), Walter Gropius, Bauhaus-Gründer vor 100 Jahren, Alexander von Humboldt (250. Geburtstag), Leopold Mozart (300. Geburtstag), Jacques Offenbach, Gottfried Keller und Clara Schumann (jeweils 200. Geburtstag). In der Mitte Rembrandt (350. Todestag).
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