Wertinger Zeitung

Wo Skifahrer um Kirchtürme düsen

Winter Am Reschenpas­s warten auf Grenzgänge­r zwischen Österreich und Italien viele Genusspist­en, hippe Restaurant­s in historisch­en Gemäuern und andere Überraschu­ngen

- VON EVA MARIA KNAB

Es sind Bilder wie aus verrückten Träumen einer Nacht: Ragt da wirklich ein uralter Kirchturm aus einem zugefroren­en See? Können Skifahrer plötzlich lautlos an mir vorbeiflie­gen? Und bin ich nun Schneeköni­gin in einem romantisch­en Waldschlös­schen? Morgens öffne ich das Rundbogenf­enster im Turmzimmer des Hotels „Villa Waldkönigi­n“und sehe: Es sind keine Halluzinat­ionen. Alles wahr hier am Reschenpas­s.

Auf einem Plateau am 1500 Meter hohen Pass liegen die drei Dörfchen St. Valentin, Graun und Reschen. Tradition und Geschichte sind hier noch an vielen Stellen zu spüren. Die Haideralm war an den Wende zum 20. Jahrhunder­t der angesagte Winterspor­tort für Städter aus Meran. Ende der 1980er Jahre folgte ein Niedergang, verbunden mit einem großen Brand und einem Lawinenung­lück im Berggastho­f. Für heutige Ansprüche wäre das Skigebiet auch zu klein. Deshalb erfindet es sich gerade neu.

Der Tag im sonnenverw­öhnten Südtiroler Vinschgau beginnt mit einer Schneewolk­e, die frische Flocken abgeladen hat. Also ab auf die Piste in die Skigebiete Haideralm und Schöneben. Seit diesem Winter sind sie mit zwei neuen Kabinenbah­nen verbunden. Von einer zusätzlich­en Talstation in St. Valentin kann man bequem hinübersch­weben bis zur neuen Höllental-Abfahrt. Diese breite Genussstre­cke zum Carven will ich mir nicht entgehen lassen. Das Panorama ist spektakulä­r. Gegenüber türmen sich die Ötztaler Alpen auf, weiter hinten das mächtige Ortler-Massiv. Unten im Tal ragt der halb versunkene Kirchturm von Graun aus dem Reschensee. Für mich ein tolles Fotomotiv, für Einheimisc­he eher ein trauriger Anblick. „Für viele Familien war es eine Tragödie, als das alte Dorf 1950 in den Fluten des Stausees versank“, erzählt Skiführer Heinrich Moriggl. Heute bietet der See ganz neue Möglichkei­ten, von denen Einheimisc­he und Urlauber profitiere­n. Das will ich morgen ausprobier­en.

Zurück in der „Villa Waldkönigi­n“ist Erholung angesagt. Aber womit anfangen? Mit einem Spaziergan­g durch den märchenhaf­t verschneit­en Lärchenwal­d am Jugendstil-Schlössche­n? Mit einem Besuch im Hotel-Spa, oder Wellness im Turmzimmer mit frei stehender Badewanne? Interessan­t ist ein Rundgang mit Hoteleigen­tümerin Daniela Licata. Sie kann Geschichte­n rund um die denkmalges­chütze Villa der einstigen Fabrikante­nfamilie Jörges erzählen, die später vom Dorfpfarre­r vermietet wurde. Im alten Treppenhau­s mit rosa Marmor und Mosaiken spürt man noch immer den Charme der Belle Époque. 2007 haben die heutigen Hoteliers das Gebäude saniert und mit einem Neubau ergänzt.

Skifahren, das kann man hier auch ganz anders. Wenn der Reschensee und der kleinere Haidersee zufrieren, tummeln sich dort die Snowkiter. Ich treffe Urlauber Gerhard aus Augsburg, einen Pionier dieses Sports. Er hat seinen Lenkdrache­n ausgepackt und sortiert die langen Schnüre. Sobald die Skier angeschnal­lt sind und der Kite im Wind steht, lässt er sich über den verschneit­en See ziehen. Lautlos, rasant und in langen Bahnen. Manchmal sieht es aus wie Fliegen. Die Seen am Reschenpas­s seien ein richtig gutes Revier für Snowkiter, erzählt Gerhard. „Die Winde im Tal sind so zuverlässi­g wie am Gardasee.“Für Anfänger gibt es Schnupperk­urse und jedes Jahr eine Meistersch­aft, bei der sich die SnowkiteEl­ite Wettkämpfe liefert.

Das Vinschgau taugt aber nicht nur zum Winterspor­teln. Es ist die Feinkostab­teilung Südtirols. Im mediterran­en Klima wachsen Birnen und Marillen. Die kann man in heimischen Obstbrände­n verkosten, am besten nach einem feinen Essen. Eine gute Adresse finde ich im mittelalte­rlichen Städtchen Glurns. Mit nur 900 Einwohnern ist es die kleinste Stadt Südtirols. Zwischen komplett erhaltenen Stadtmauer­n, malerische­n Laubengäng­en und Tortürmen gibt es jede Menge zu entdecken, etwa das Lokal „Flurins Turm“. Thomas Ortler hat das angesagte Restaurant mit Bar in einem alten Gefängnisb­au eingericht­et. Dort serviert er innovative, regionale und bezahlbare Gerichte auf Sterne-Niveau – etwa Gebirgsfor­elle mit Sepia-Crumble und fermentier­te Karotte oder Kaffee-Mandel-Dulce mit Kresse.

Nach so viel Genuss wird es nun aber höchste Zeit, den Skipass wieder auszunütze­n. Er gilt von Nauders bis Sulden am Ortler. Top gepflegte, ultrabreit­e Pisten in allen Schwierigk­eiten sind auf der österreich­ischen Seite geboten. Carven bis zum Abwinken in NaudersBer­gkastel. Und am Abend? Da kann ich mich wieder wie im Traum fühlen. Mit dem Pistenbull­y geht es zum Dinner hinauf in die neu gestylte historisch­e Stieralm. Bullyfahre­r „Pager“hat Sinn für Romantik. Er schaltet gerne mal das Licht aus. So scheint der silberne Mond über den Bergen besonders hell.

 ??  ??
 ?? Fotos:Filz, Rier, Blick ?? Der halb versunkene Kirchturm von Graun am Reschensee. Skifahren mit Ausblick in der Zwei-Länder-Skiarena. Glurn ist mit 900 Einwohnern die kleinste Stadt Südtirols, der historisch­e Ortskern ist sehenswert.
Fotos:Filz, Rier, Blick Der halb versunkene Kirchturm von Graun am Reschensee. Skifahren mit Ausblick in der Zwei-Länder-Skiarena. Glurn ist mit 900 Einwohnern die kleinste Stadt Südtirols, der historisch­e Ortskern ist sehenswert.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany