Wertinger Zeitung

Kann man mit einer Hand würgen?

Justiz Ein 19-Jähriger aus dem Kreis Dillingen soll die Ex-Freundin am Hals gepackt haben. Doch auch am zweiten Prozesstag ergeben sich Unklarheit­en

- VON ANDREAS SCHOPF

Dillingen Ihr Ex-Freund soll sie gegen einen Baum beim Dillinger Taxispark gewürgt haben. Stark, mit beiden Händen um den Hals, einige Sekunden lang. „Du sollst keine Luft bekommen“und „stirb“soll der 19-jährige Asylsuchen­de aus dem Kreis Dillingen dabei gerufen haben. Sein Opfer, eine heute 17-Jährige aus dem Zusamtal, habe Todesangst gehabt, sei so geschockt gewesen, dass sie sich kaum wehren konnte. Danach soll ihr der junge Mann mit der Faust ins Gesicht geschlagen und sie nochmals gewürgt haben. So schilderte es das Mädchen gegenüber der Polizei – und auch vor dem Dillinger Amtsgerich­t. Dort fand kürzlich die erste Verhandlun­g in dieser Sache statt. Doch das Mädchen verstrickt­e sich in Widersprüc­he, gab Dinge nur auf Nachfrage zu oder widersprac­h dem, was sie kurz zuvor selbst ausgesagt hatte. Wie berichtet, brachte dies den Vater des Opfers in Rage. So sehr, dass zwei Wachtmeist­er gerufen werden mussten. Daran, dass nach der Aussage der 17-Jährigen Zweifel blieben, änderte dies nichts.

Um der Wahrheit auf den Grund zu gehen, setzte das Gericht einen zweiten Prozesster­min an diesem Montag an. Als Zeuge sagt nun ein Arzt des Wertinger Krankenhau­ses aus, der das Mädchen nach dem Vorfall im Juli 2018 behandelt hat. Die Patientin habe Fingerabdr­ücke, also weiße und rote Stellen am Hals, gehabt. „Wie, wenn man gewürgt wird“, erklärt der Mediziner. Außerdem habe er Abdrücke am Jochbein festgestel­lt, die auf einen Faustschla­g schließen ließen. Gegenüber dem Arzt soll das Mädchen gesagt haben, dass ihr Freund sie verprügelt hätte, erinnert sich der Zeuge, der den damaligen Zustand des Mädchens als „weinerlich“beschreibt. Gabriele Held, Vorsitzend­e Richterin des Schöffenge­richts, erkundigt sich nach den Würge- spuren am Hals. Bei der vorherigen Verhandlun­g sagte das Mädchen aus, dass ihr Ex-Freund mit beiden Händen ihren Hals umfasste und zudrückte. Der Arzt ist sich jedoch sicher, dass nur auf einer Seite des Halses Abdrücke zu sehen waren. Druckstell­en am Kehlkopf habe er keine festgestel­lt. Kann so, mit einer Hand, das Mädchen überhaupt fest gewürgt worden sein? Der Arzt blockt Nachfragen ab: „Ich bin kein Experte zum Würgen.“

Nach ihm sagt ein Polizist aus, der damals die Anzeige der 17-Jährigen aufnahm. Er schildert nochmals, wie das Mädchen im Gespräch auf der Dienststel­le in Dillingen die Erlebnisse wiedergab. „Was sie erzählt hat, war glaubwürdi­g“, sagt der Polizist. Er erklärt, dass regelmäßig Menschen bei der Polizei erscheinen und behaupten, gewürgt worden zu sein. Bei vielen seien jedoch lediglich leichte Rötungen und Kratzspure­n zu sehen. Dies sei bei der 17-Jährigen anders gewesen. „Bei ihr waren deutliche Verletzung­en im Halsbereic­h zu sehen, das war massiv“, sagt der Polizist.

Nach seiner Aussage schlägt Verteidige­r Alexander Grob dem Gericht und Staatsanwä­ltin Andrea Kovacs ein Rechtsgesp­räch vor, beide Parteien willigen ein. Ergebnis der geheimen Absprache: Legt der Angeklagte ein Geständnis ab, wird der Vorwurf des zweiten Würgens fallen gelassen. Darauf geht der 19-Jährige ein, der sich bis dato nicht zu den Vorwürfen geäußert hat und relativ entspannt auf der Anklageban­k saß. „Ich habe Fehler gemacht“, sagt er. Begründen will er seine Tat damit, dass seine ExFreundin etwas mit einem anderen Jungen angefangen haben soll. Das bringt Richterin Held auf den Plan. „Es geht hier um Sie“, betont Held – und fordert, dass sich der junge Mann bei seinem Opfer entschuldi­gt. Das lehnt das Mädchen jedoch ab – ebenso wie dessen Vater, der sich wie schon im ersten Prozess aus den Zuschauerr­eihen zu Wort meldet. Staatsanwä­ltin Kovacs macht deutlich, dass die 17-Jährige den Vorfall als „massiven Übergriff“wahrnahm, Todesangst hatte und in der Folge zwei Wochen krankgesch­rieben war. Zugute hält sie dem Angeklagte­n sein Geständnis. Bei ihrer Forderung belässt sie es bei vier Wochen Dauerarres­t. Ein Strafmaß, dem sich auch Verteidige­r Grob anschließt. Und letztlich auch das Gericht. Im Urteil ist schließlic­h die Rede von vorsätzlic­her Körperverl­etzung, nicht gefährlich­er. „Es bestand keine Lebensgefa­hr“, so Richterin Held. Dafür sehe die Rechtsprec­hung ein Würgen von zehn Sekunden und Verletzung­en am Kehlkopf vor. Dies lag nicht vor. Zum Schluss macht Held dem jungen Mann klar: „Jede Frau ist frei in ihrer Beziehungs­wahl.“

Ein Arzt erinnert sich an Fingerabdr­ücke am Hals

 ?? Symbolfoto: Jan-Philipp Strobel, dpa ?? Ein 19-Jähriger aus dem Kreis Dillingen stand vor dem Dillinger Amtsgerich­t, weil er seine Ex-Freundin gewürgt haben soll. Bei der ersten Verhandlun­g verstrickt­e sich das Mädchen in Widersprüc­he. Am zweiten Prozesstag ging es um die Frage, wie die 17-Jährige genau am Hals gepackt wurde.
Symbolfoto: Jan-Philipp Strobel, dpa Ein 19-Jähriger aus dem Kreis Dillingen stand vor dem Dillinger Amtsgerich­t, weil er seine Ex-Freundin gewürgt haben soll. Bei der ersten Verhandlun­g verstrickt­e sich das Mädchen in Widersprüc­he. Am zweiten Prozesstag ging es um die Frage, wie die 17-Jährige genau am Hals gepackt wurde.

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