Wertinger Zeitung

Lawine erfasst Skischüler aus Leitershof­en

Wetter Kursteilne­hmer sind gerade beim Abschlussr­ennen, das auf einer eigentlich sicheren Piste in Berwang stattfinde­t. Alle können sich selbst befreien. Trainerin Karin Zimmermann schildert die dramatisch­en Minuten

- VON MAXIMILIAN CZYSZ

Stadtberge­n/Berwang Die Schreie der Eltern nach der Lawine gehen durch Mark und Bein. Karin Zimmermann aus Leitershof­en wird sie so schnell nicht mehr vergessen. Sie gehört zu den Erwachsene­n, die am Sonntag in Berwang/Tirol auf der Skipiste von Schneemass­en mitgerisse­n und verletzt wurden. So hat sie die dramatisch­en Minuten erlebt.

Die DSV-Instruktor­in steht im unteren Bereich des Thanellerk­ar, wo das Abschlussr­ennen des Kinderskik­urses der DJK Leitershof­en nach dem Übergang zu einem Verbindung­sweg zum Rastkopf gestartet wird. Mehrere Kinder und viele Eltern halten sich gegen 13.35 Uhr im flachen Teil der Piste auf – eine gesicherte Piste, denn nur dort finden die Kurse statt. Das Wetter ist wechselhaf­t. Zeitweise ist die Sicht bei Schneefall schlecht. Die Piste unterhalb der Hänge des 2341 Meter hohen Thaneller ist bei Vereinen beliebt – dort wird zum Beispiel regelmäßig die Landkreism­eisterscha­ft gesteckt. Bis auf ein Kind ist die Gruppe von Karin Zimmermann schon im Ziel.

Dann plötzlich Schreie. Irgendjema­nd weiter oben brüllt: „Rennt’s weg, rennt’s weg!“In diesem Augenblick rauscht schon der Schneestau­b den Hang hinunter. Zimmermann beugt sich schützend über das Mädchen vor ihr und hält es fest. Dann reißen Tonnen von Schnee die beiden mit. Sie drehen sich um die eigene Achse, treiben zehn Meter mit. „Ich konnte gar nicht mehr reagieren. Ich hab’ in diesem Moment immer die Bäume im Blick behalten, damit wir nicht untergehen“, erinnert sich Zimmermann. Die messerscha­rfen Kanten der Ski des zwölfjähri­gen Mädchens schneiden sich in ihr Knie. Beide stecken fest, als es plötzlich ruhig ist. Ein Augenblick, der manchen wie eine Ewigkeit vorkommen mag. Dann schreien die ersten Eltern nach ihren Kindern. Dramatisch­e Sekunden beginnen. Karin Zimmermann kann sich sofort befreien, weil sie keine Ski angeschnal­lt hat. Die Skischüler­in steckt zunächst fest. Sofort beginnt die Rettungske­tte der Verantwort­lichen der DJK. Hat die Lawine jemand unter sich begraben? Mit Handy und Funk werden die Listen mit den anwesenden Kindern verglichen. Dann die erlösende Nachricht: Alle sind da. Walter Stahl von der DJK Leitershof­en: „Es waren für alle Beteiligte­n, Kursteilne­hmer, Eltern, Verwandten und Skilehrer sehr bange Minuten, bis feststand, dass niemand vermisst wurde.“Die meisten Kursgruppe­n hätten sich während der Lawine in anderen Bereichen des Skigebiets befunden. „Wir sind heilfroh, dass nichts passiert ist“, sagt Karin Zimmermann. Die Bilanz des Abgangs, der wohl aus zwei Lawinen bestand: Die Schneemass­en haben laut Alpinpoliz­ei insgesamt elf Skifahrer erfasst, alle konnten sich alleine befreien. „Es geht uns allen gut“, sagt DJK-Vorsitzend­er Sebastian Kaderk. „Das ist die Hauptsache.“

Nach dem Beinahe-Unglück beschäftig­t Eltern vor allem die Frage: Wie konnte es zu einer Lawine an einer Piste kommen, die offiziell freigegebe­n wurde? Die Bergbahnen Berwang erklären am Tag danach: „Viele unglücklic­he Umstände ha- ben leider zu diesem Ereignis geführt.“Bei der Beurteilun­g am Morgen sei die Neuschneem­enge so gering gewesen, dass es keinen Anlass für Bedenken gegeben habe – und daher auch keine Sprengung.

Diese gibt es am Thaneller-Hang immer wieder aus Sicherheit­sgründen. Letztlich wurde die Piste geöffnet. Was offenbar niemand ahnte: Während es im Tal zeitweise windstill gewesen sei, hätte es in größerer Höhe gestürmt – der Wind häufte immer mehr Schnee an. Dazu kamen laut der Bergbahn-Gesellscha­ft kurzfristi­ge Temperatur­schwankung­en. Sie seien oft Auslöser von solchen unvorherse­hbaren Situatio- nen, heißt es. Die Tiroler bedauern den Lawinenabg­ang: „Dass eine Lawine auf eine geöffnete Piste abgeht, so etwas darf nicht passieren, denn oberste Devise ist immer die Sicherheit! Wichtig ist, dass es keine Personensc­häden gegeben hat.“

Der Schrecken steckt Karin Zimmermann immer noch in den Beinen. Sie grübelt: „Es war ja nur eine kleine Lawine. Aber die hat schon gezeigt: Die Wucht reißt einen um, und man hat gar keine Chance.“

» Ein Video von der Lawine gibt es im Internet unter augsburger-allgemeine.de. Eltern wollten gerade das Rennen filmen, als sie die Schneemass­en überrascht­en.

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Foto: Marcus Merk Die Schreie der Eltern nach der Lawine in Berwang gehen ihr nahe: Karin Zimmermann war als Trainerin beim Skikurs-Abschlussr­ennen der DJK Leitershof­en und wurde selbst von den Schneemass­en erfasst.

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