„Ich halte nichts von Diäten“
Interview Christine Theiss ist promovierte Ärztin, Kickbox-Weltmeisterin und hilft in der TV-Serie „The Biggest Loser“stark übergewichtigen Menschen beim Abnehmen. Die 38-Jährige erzählt, wie man den Kampf gegen das Gewicht gewinnt
Sie sind promovierte Medizinerin und 23-fache Kickbox-Weltmeisterin und jetzt helfen Sie in der TV-Sendung „The Biggest Loser“stark übergewichtigen Menschen beim Abnehmen. Bei Ihnen sind die größten Verlierer die Gewinner. Das ist ungewöhnlich .... Christine Theiss: Ja. Biggest Loser ist ja inzwischen eine Art Ehrentitel geworden, weil die Leute etwas Besonderes leisten. Unsere Kandidaten sind Menschen, die aufgrund ihres Übergewichts oft an den Rand der Gesellschaft gerutscht und oft wirklich verzweifelt sind. Zu erleben, wie diese Menschen beginnen, an sich selbst zu arbeiten und etwas auf die Beine zu stellen, das ist toll. Hinter jedem Übergewicht steckt eine Geschichte. Sich damit auseinanderzusetzen und zu erkennen, wie sehr diese Geschichte das Leben bisher im negativen Sinne geprägt hat, gibt oft den entscheidenden Impuls zum Neustart. Die Kandidaten werden disziplinierter, gewinnen Durchsetzungsvermögen, schaffen Dinge, bei denen sie vorher aufgegeben hätten. Das Wichtigste: Die Kandidaten mögen sich plötzlich wieder selbst. Das ist sensationell!
In Deutschland sind 75 Prozent der Männer und 59 Prozent der Frauen übergewichtig. Warum sind die Männer im Schnitt dicker?
Theiss: Der deutsche Durchschnittsmann nimmt im Jahr 500 Gramm zu. Das klingt zunächst nicht viel, ist aber auf die Dauer der Jahre ein problematischer Trend. Ich glaube, das Feierabendbier spielt bei vielen Männern noch immer eine große Rolle. Alkohol hat wahnsinnig viele Kalorien. Frauen definieren sich meist stärker über das Äußere. Die wollen in Kleider passen und in ihre Hosen, während gerade bayerische Männer ja ihre Wampe mit Stolz tragen. Da ist der Bauch fast ein Statusmerkmal. In manchen bayerischen Gemeinden dürfte der Anteil der übergewichtigen Männer nicht bei 75, sondern bei 100 Prozent liegen.
In den bisher zehn Jahren der Sendung haben die 200 Teilnehmer fast sieben Tonnen abgenommen. Mit wie viel darf man als normaler Abnehmwilliger realistisch in zehn Wochen rechnen? Theiss: Wenn man mit einem Bodymaßindex von 30 startet, schafft man völlig problemlos zehn Kilo in zehn Wochen. Da braucht es noch nicht mal eine radikale Diät, sondern nur eine bewusste Umstellung der Ernährung und der Lebensgewohnheiten. Klar: Die Kandidaten von „The Biggest Loser“nehmen manchmal zehn Kilo pro Woche ab. Aber die machen viel Sport und das Expertenteam achtet sehr auf die Ernährung. Insofern kann man die Abnahme-Ergebnisse im Camp nicht mit einer Gewichtsreduktion im „normalen“Alltag vergleichen. Wie steige ich ein, wenn ich mit dem Gewicht unzufrieden bin und abnehmen will, aber keine drei Coaches um mich herum habe?
Theiss: Genau dafür haben Mareike Spaleck, Ramin Abtin und ich unser Buch „The Biggest Loser: Die Life Change Challenge“geschrieben. So hat man quasi auch drei Coaches an der Seite. Und dann muss man vor allem eines tun: anfangen. Nicht sagen: Morgen beginne ich! Außerdem Naschwaren gar nicht erst kaufen. Denn was nicht da ist, kann man auch nicht essen. Und dann ist es hilfreich, sich einen „Leidensgenossen“zu suchen. Denn zusammen ist alles weniger schwer. Fitnessarmbänder sind für Anfänger übrigens auch eine ganz gute Unterstützung, weil man überprüfen kann, ob man tatsächlich seine 10000 Schritte pro Tag gelaufen ist.
Welchen Fehler darf ich keinesfalls machen?
Theiss: Der Kardinalsfehler ist, dass es die meisten anfangs übertreiben. Vorher essen sie 2500 Kalorien und plötzlich nur mehr drei Karotten am Tag. Das geht nicht lange gut und ist auch totaler Unsinn. Lange Hungerphasen bringen nichts. Denn das heißt, der Körper reduziert in der Folge den Grundumsatz. Wenn man wieder normal isst, nimmt man deutlich mehr Kalorien zu sich, als der Körper eigentlich braucht. Und schon nimmt man wieder zu…
Der Jojo-Effekt – langfristig wird man noch schwerer als vorher ....
Theiss: Darum sollte man das Körpergewicht auch nicht zu schnell und zu krass runterdrücken. Wer wirklich dauerhaft abnehmen möchte, der muss auf eine vernünftige Ernährung achten, in der alle Nährstoffe enthalten sind und in der der Organismus nicht auf Hungern umgepolt wird. Ich halte nichts von Diäten. Weil sie in der Regel darauf aufbauen, dass man auf etwas verzichtet oder monothematisch isst. Das ist Quatsch, weil der Körper alles braucht! Unterm Strich ist es ganz einfach: Man muss weniger Kalorien zu sich nehmen, als man verbraucht. Es gibt beim Abnehmen auch eine sogenannte Plateauphase. Das bedeutet: Eine Zeit lang geht gar nichts. Das ist vollkommen normal, man sollte es sich vorher nur bewusst machen. Dann heißt es bei Stillstand: Augen zu und durch! Und nicht daran verzweifeln und abbrechen. Durchhalten zahlt sich aus!
Winston Churchill sagte einst: no sports! So denken auch heute noch viele. Geht Abnehmen auch ohne Sport? Theiss: Mir wäre das zu mühsam. Und ich halte es auch nicht für gesund. Ich halte Bewegung für essenziell, nicht nur zum Aufbau der Muskulatur, sondern auch fürs Wohlfühlen im Körper. Die meisten Menschen können nur leider nicht mal zur S-Bahn laufen, ohne zu hyperventilieren. Abgesehen davon: Wer Sport treibt, kann auch vernünftig essen. Schon alleine deshalb würde ich nie auf Sport verzichten wollen, denn ich esse sehr gerne!
Sie tun sich leicht, sie sind ehemalige Leistungssportlerin und mental eine Frau mit eisernem Willen. Was hilft mir als moppeligem Otto-NormalVerbraucher gegen den inneren Schweinehund?
Theiss: Vielleicht das Wissen, dass Leistungssportler auch nur mit Wasser kochen und diese Disziplin auch lernen mussten. Der innere Schweinehund plagt mich auch jeden Tag. Aber bevor ich eine halbe Stunde überlege, ob ich Joggen gehe oder nicht, mache ich es einfach. Und es hilft, sich das Gefühl bewusst zu machen, wie gut man sich nach dem Sport fühlt. Und wenn man sich für keine Sportart wirklich begeistern kann oder sie zeitlich nicht unterbringt, dann wenigsten täglich 15 Minuten lang ein paar Übungen. Der Körper braucht diese Reize.
Ärztin Cristine Theiss setzt als Ex-Kickboxerin viel auf Sport beim Abnehmen.
Ist Süßes wie Schokolade für Gewichtsloser lebenslang verboten? Theiss: Nein. Aber wenn ich eine Tafel Schokolade esse, sollte ich, um die Kalorien abzubauen, eine Stunde straff laufen. Dann bin ich wieder auf dem Status quo und kann normal essen. Aber wenn man abnehmen will, muss man dem Körper weniger Energie zuführen als er braucht.
„Der Durchschnittsmann nimmt im Jahr 500 Gramm zu. Das klingt zunächst nicht viel, ist aber auf die Dauer ein problematischer Trend.“
Christine Theiss
Jetzt muss ich mich entscheiden: Mache ich das mit kurzkettigen Kohlehydraten wie Schokolade, deren Effekt schnell wieder weggeht und ich entsprechend schnell wieder Hunger bekomme, oder nachhaltig mit langkettigen Kohlehydraten, die in Vollkornprodukten enthalten sind? Übrigens: Noch schlimmer als Schokis sind Softgetränke.
Sie sind ausgebildete Ärztin. Warum arbeiten Sie lieber beim Fernsehen und nicht als Medizinerin?
Theiss: Aus der Medizin bin ich mittlerweile viel zu lange raus und habe andere Jobs gefunden, die mich ausfüllen. Ich bin ja mit einem Mediziner verheiratet und erlebe tagtäglich, was es bedeutet, Mediziner zu sein. Wenn man einmal außerhalb dieses Klinikapparats gelebt hat, kann man sich nicht mehr vorstellen, ins Krankenhaus zu gehen. Ich habe zwar die volle Approbation, aber für den Facharzt müsste ich noch mal mehrere Jahre tätig sein. Das tu ich mir nicht noch mal an. Ohne Facharzt will ich aber nicht ärztlich tätig sein. ⓘ
Christine Theiss, die 23-fache Kickbox-Weltmeisterin, die in München Medizin studierte, moderiert seit 2012 die Abnehmshow „The Biggest Loser“, deren neue Staffel derzeit auf Sat.1 läuft. Ihr neues Buch „The Biggest Loser: Die Life Change Challenge“erschien bei Gräfe und Unzer. (192 S.; 19.99 Euro)