Wertinger Zeitung

Irgendwie schräg

Theater Ulm Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“ist ein effektreic­her Spaß mit ein paar Längen

- VON MARCUS GOLLING

Ulm „Kopf aus, Herz an“, rät der Schlagersä­nger Eloy auf seinem gleichnami­gen Album – und schaffte es so auf Platz drei in den deutschen Jahreschar­ts 2018. Der mysteriöse Fremde in Eduard Künnekes Operette „Der Vetter aus Dingsda“, offenbar kein Feminist, empfiehlt schon seit 1921: „Kindchen, du musst nicht so schrecklic­h viel denken! Küss mich, und alles wird gut.“Bloß nicht den Kopf zerbrechen, einfach nur fühlen. Das könnte auch eine Gebrauchsa­nweisung für dieses Stück sein, das nun im Großen Haus des Theaters Ulm Premiere hatte: unterhalts­am, musikalisc­h gelungen, optisch spektakulä­r, aber nicht ohne Längen.

Die Handlung dreht sich um Julia de Weert (Premierenb­esetzung: Therese Wincent), die man 1921 wohl einen Backfisch genannt hätte. Sie wartet, aufgemunte­rt von ihrer Freundin Hannchen (Maria Rosendorfs­ky), seit sieben Jahren auf die Rückkehr ihrer Kinderlieb­e Roderich. Der Vetter treibt sich im fernen Batavia herum, aber so genau weiß das niemand. Julias Vormund Josef Kuhbrot (Martin Gäbler) und seine Frau (Elke Kottmair) würden das Mädchen lieber mit ihrem Neffen verheirate­n. Doch der taucht nicht auf, dafür ein Fremder (Markus Francke), bei dem es sich um den verscholle­nen Romeo Roderich handeln scheint. Doch Julias ewiger Verehrer Egbert Shelterbel­t (Luke Sinclair) hat da seine Zweifel. Und dann erscheint noch ein weiterer Unbekannte­r (Joska Lehtinen).

„Der Vetter aus Dingsda“ist eine sentimenta­le Verwechslu­ngskomödie nach einfachste­m Strickmust­er, mit aus heutiger Sicht fragwürdig­en Geschlecht­er-Stereotype­n und Löchern im Plot, groß wie die Krater auf dem Mond, den Julia jeden stellvertr­etend für ihren vermissten Roderich anschmacht­et (und der in Ulm als leuchtende Kugel circa über Reihe sechs im Zuschauerr­aum hängt). Eher was fürs Herz also. Regisseur Christian Poewe und sein Team – Olga von Wahl (Bühne) und Carl-Christian Andresen (Kostüme) – geben alles, um die Probleme vergessen zu machen, freilich ohne tiefschürf­end zu werden. Stattdesse­n geben sie der Opezu rette eine knallige Fassade: Die Figuren turnen in grellen (Faschings-)Outfits, mit Perücken und viel Theatersch­minke durch ein verschacht­eltes Bühnenbild, das wie ein im LSD-Rausch entworfene­s Architekte­nhaus wirkt: überall Türen und Klappen, nirgendwo gerade Böden und Wände. Ein Labyrinth, das nach der Pause effektvoll auseinande­rgerissen wird.

Das wirkliche Herz dieser InszeAbend nierung ist das grandios spielfreud­ige und gesanglich top aufgelegte Ensemble: Es ist eine Schau, wie sich Tenor Markus Francke mit so viel Pathos in die Heldenroll­e hineinwirf­t, als ginge es um das Rheingold, und dabei trotzdem mit zarten Tönen berührt. Therese Wincent als Julia kostet den Kitsch ihrer Partie mit viel Armwedeln aus, während „Hannchen“Maria Rosendorfs­ky lässig ihre schon früher erprobte Rolle als charmantes Miststück abruft. Und Luke Sinclair als ungelenker Rosenkaval­ier ist ein solches Zuckerstüc­k, dass man sich wundert, warum bei ihm keine Frau schwach wird. Liebenswer­t auch Girard Rhoden und J. Emanuel Pichler als Diener, die auch mal einen Kuschelwal­zer zusammen tanzen. Das bei der Premiere von Levente Török dirigierte Orchester tut viel dazu, dass die eingängige Musik nie ins Seichte kippt.

Doch so schön das alles ist: An Tempo fehlt es der Inszenieru­ng manchmal, sodass aufs Amüsement vereinzelt Momente der Langeweile folgen, in denen dann leider doch der Kopf zu arbeiten anfängt. Für Operettenf­reunde ist der Abend dennoch ein Vergnügen. Das Premierenp­ublikum belohnt die Leistung mit großem Applaus und vereinzelt­en Bravorufen.

Termine Wieder am 12. und 16. Februar; weitere Vorstellun­gen bis Mai.

 ?? Foto: Martin Kaufhold ?? Die Bühne von „Der Vetter aus Dingsda“ist ein surrealer Parcours. Auf dem Bild: (von links) Maria Rosendorfs­ky, Girard Rhoden, Markus Francke, Therese Wincent, Elke Kottmair, Martin Gäbler und J. Emanuel Pichler.
Foto: Martin Kaufhold Die Bühne von „Der Vetter aus Dingsda“ist ein surrealer Parcours. Auf dem Bild: (von links) Maria Rosendorfs­ky, Girard Rhoden, Markus Francke, Therese Wincent, Elke Kottmair, Martin Gäbler und J. Emanuel Pichler.

Newspapers in German

Newspapers from Germany