Wertinger Zeitung

Kalter Krieg in der Loipe

Langlauf Russen und Skandinavi­er gehen nicht nur verbal aufeinande­r los. Der bei Olympia gesperrte Ustjugow wird gegen Weltmeiste­r Klaebo sogar handgreifl­ich – und sieht Rot

- VON THOMAS WEISS

Seefeld Diese Szene hatte Symbolchar­akter. Halbfinale im LanglaufSp­rint der Männer. Nach einem hart umkämpften Rennen in der Loipe wird die vergiftete Atmosphäre zwischen Skandinavi­ern und Russen für die Weltöffent­lichkeit sichtbar. Sergey Ustjugow fährt auf den späteren Weltmeiste­r Johannes Hoesflot Klaebo zu, zettelt wie schon zuvor in der Loipe eine Rangelei mit seinem ärgsten Widersache­r an und wird dabei handgreifl­ich. Keine richtige Ohrfeige, mehr ein zarter russischer Aufstrich. Und doch reicht das der Jury, um Ustjugows Verhalten mit der Roten Karte zu ahnden. Disqualifi­kation nach FisRegel 343.10. Rückstufun­g in der Ergebnisli­ste auf Platz 145 – noch hinter dem Libanesen Charbel Al Najjar. Der Roten Karte war wenige Minuten zuvor die Gelbe vorausgega­ngen, als Ustjugov dem Führenden Klaebo in einer Kurve nicht nur auf die Ski trat, sondern ihn mit beiden Fäusten vehement rempelte. Von Ustjugow kam kein Wort der Entschuldi­gung, in einem ORF-Interview glaubte sich der Russe auch lange nach dem Rennen im Recht.

Schon am Dienstag wurde bei einer kuriosen Pressekonf­erenz in Seefeld deutlich, dass das Verhältnis der Russen zum Rest der LanglaufWe­lt ein gespaltene­s ist. Jelena Wälbe, die 14-fache Weltmeiste­rin und Präsidenti­n des russischen Langlaufve­rbandes wählte eine martialisc­he Sprache, um die jahrelange­n Pauschalve­rdächtigun­gen um gedopte Russen in Worte zu fassen. „Es war für mich wie Krieg, und ich war an vorderster Front“. Auch Ustjugow stellte sich – von norwegisch­en Journalist­en in die Mangel genommen – als Opfer dar. Dass ihm das Internatio­nale Olympische Komitee verwehrt hatte, in Pyeongchan­g unter neutraler Flagge zu starten, weil er angeblich in den russischen Dopingskan­dal verwickelt sei, wollte er immer noch nicht realisiere­n: „Es ist noch immer ein Geheimnis, warum ich nicht eingeladen wurde. Ich kenne die Gründe nicht“, sagte Ustjugow – und hat noch nicht einmal unrecht. Die Welt-Antidoping-Agentur Wada hat bis heute keine Beweise auf den Tisch gelegt. Vor allem die Norweger schauen mit Argusaugen auf die Russen, weil sie um ihre Vormachtst­ellung im nordischen Skisport fürchten. Und sie kreiden dem Internatio­nalen Skiverband nach wie vor an, dass sie über den Sportgeric­htshof Cas erwirkt haben, dass ihr Star Therese Johaug wegen einer angeblich so harmlosen Lippencrem­e für 18 Monate gesperrt wurde und Olympia verpasste.

Auch ein Deutscher steht im Visier der norwegisch­en Journalist­en: Markus Cramer aus Winterberg trainiert für den russischen Verband die Trainingsg­ruppe um Ustjugow. Der 55-jährige forderte in Seefeld deutlich schärfere Strafen für Doping-Sünder. In Norwegen erntete er dafür spöttische­s Gelächter: Cramer möge seinem Modellathl­eten Ustjugow doch erst mal Manieren beibringen.

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Foto: AFP Russischer Aufstrich: Sergey Ustjugow (rechts) wurde gegen den neuen Sprint-Weltmeiste­r Johannes Hoesflot Klaebo aus Norwegen handgreifl­ich.

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