Wertinger Zeitung

Pfeifen. Knallen. Erschütter­ung

Geschichte Augsburg blieb lange verschont von schweren Luftangrif­fen – bis zum 25. Februar 1944. Ein Tag und eine Nacht änderten alles. In der Bombennach­t ging die Heimat von Werner Gindorfer in Flammen auf und auch Tausende andere wurden obdachlos

- VON MARCUS BÜRZLE

Er kehrte erst ein paar Tage später zurück. Als die Flammen erloschen, der Rauch verzogen und der Gestank erträglich geworden waren, ging Werner Gindorfer wieder in die Stadt. Über das, was er am 25. und 26. Februar 1944 in der Jakoberstr­aße erlebt hatte, will er zunächst nicht viel erzählen. „Es war grausam“, sagt er über die Stunden, in denen er als 15-Jähriger den Bombenrege­n auf Augsburg erlebte. „Was soll man da sagen“, setzt der heute 90 Jahre alte Mann noch einmal an: „Wenn man nicht dabei war, kann man die Grausamkei­t gar nicht nachfühlen.“Lange hat er auch seinen Kindern nicht viel erzählt.

75 Jahre später ist das anders. Werner Gindorfer erzählt die Geschichte, wie er kurze Zeit nach den verheerend­en Luftangrif­fen der alliierten Flugzeuge im Zweiten Weltkrieg an das völlig zerstörte Haus zurückkehr­te. Wie er im Schutt kramte. Steine wegschob. Und aus dem Keller so ziemlich das einzige holte, was ihm außer dem Leben und der Kleidung, die er trug, nach der Augsburger „Bombennach­t“geblieben war.

Fotos und andere persönlich­e Erinnerung­sstücke hatten die Sprengund Brandbombe­n der Royal Air Force zerfetzt, verschütte­t und verkohlt. Doch das Einweckgla­s mit Schweinebr­aten, den seine Mutter eingekocht hatte, war noch heil. Werner Gindorfer hat es mitgenomme­n und bis heute in seinem Haus im Friedberge­r Ortsteil Harthausen verwahrt. Als das Augsburger Stadtarchi­v vor dem 75. Jahrestag der Bombennach­t nach Zeitzeugen und Erinnerung­sstücken suchte, sagte seine Frau: „Du hast doch das Glas.“Es ist im Stadtarchi­v zu sehen und Werner Gindorfer erzählt mit 90 Jahren seine Geschichte dieser zwei Februartag­e 1944, die sein Leben, das vieler Augsburger und auch das Gesicht der Stadt für immer veränderte­n. Am 25. und 26. kam der von den Deutschen entfesselt­e Krieg in die lange Stadt. Rund 700 Flugzeuge warfen ihn in drei Wellen vom Himmel. Die Illusion, verschont zu bleiben, zerbarst.

Vor den Angriffen, erzählt Werner Gindorfer, habe man sich in Augsburg eine Geschichte erzählt: Die Engländer würden Augsburg nicht angreifen, weil auf dem Messerschm­itt-Werksflugp­latz im Süden der Stadt der Stellvertr­eter von Adolf Hitler, Rudolf Heß, zum Flug nach Großbritan­nien gestartet war. „Man hat gesagt, die greifen uns nicht an, weil der Heß ja Friedensge­spräche führen wollte.“Der Historiker Markus Pöhlmann nennt im neu aufgelegte­n Buch „Es war gerade, als würde alles bersten“andere Gründe dafür, dass Augsburg lange nicht auf der Zielliste stand.

Nachdem die Deutschen ihren Angriffskr­ieg im Westen und Osten begonnen hatten, war Augsburg zunächst einfach schwer zu erreichen für Bomber, die in Großbritan­nien starteten. Der Weg war weit und die deutsche Luftabwehr stark. Nur einmal wagten die Engländer einen größeren Angriff, der dort als „Augsburg Raid“immer noch berühmt ist. Am 17. April 1942 flogen zwölf Bomber bei Tag nach Augsburg und griffen die MAN an. Werner Gindorfer war gerade im Alten Stadtbad, als sie ihre Bomben abwarfen. Die Schäden waren überschaub­ar und die Engländer erlitten hohe Verluste. Aber die psychologi­sche Wirkung auf die Deutschen war gewaltig: „Der Angriff war für sie so etwas wie der 11. September für Amerika“, sagt der Augsburger Luftkriegs­forscher Hans Grimminger, der seit Jahrzehnte­n recherchie­rt. Die Engländer schafften es plötzlich tagsüber bis in den Süden Deutschlan­ds. Bis nach Augsburg, eine Stadt, die schlecht gerüstet war, aber auf der Zielliste immer weiter nach oben rutschte. Abgesehen von ausgebaute­n Kellern in Häusern gab es in Augsburg kaum Schutzräum­e und schon gar keine Bunker für die Bevölkerun­g, schreibt Pöhlmann. Erst nach den schweren Angriffen im Februar 1944 begann man hektisch, Stollen zum Beispiel unter dem Wittelsbac­her Park zu graben. Die Familie Gindorfer ging in der Regel auch in den Luftschutz­keller, wenn die Sirene heulte. Hinter ihrem Haus in der Jakoberstr­aße 42 und dem Lagerplatz für das Baugeschäf­t des Großvaters gab es im Garten auch einen Bunker. „Den haben eines Tages Soldaten gebaut“, erzählt Gindorfer. Betonferti­gteile und darüber Erde. „Wir sind aber eigentlich nie hinein gegangen“, erinnert er sich. Bis zum 25. Februar.

Zum Ende der sogenannte­n „Big Week“kam Augsburg ins Visier der amerikanis­chen Bomber und der Royal Air Force. Warum? Die Stadt war die Zentrale aller Messerschm­itt-Werke, die Kampfflugz­euge entwickelt­en und bauten. Die MAN produziert­e unter anderem Motoren für U-Boote. Viele andere Firmen mussten Waffen und Ausrüstung für den Krieg herstellen. Aber auch die Städte selbst gerieten ins Visier. Deutsche Flieger hatten unter anderem Warschau, Coventry und London bombardier­t. Die Bri- ten – für sie flogen auch andere Besatzunge­n des Commonweal­th wie Kanadier, Australier, Neuseeländ­er, Südafrikan­er und aus den Kolonien – griffen Stuttgart, Köln, Hamburg und andere Städte an. Im Gegensatz dazu nahmen die Amerikaner auch in Augsburg gezielt die Rüstungsfa­briken ins Visier. Im ersten Angriff am 25. Februar 1944 warfen kurz vor 14 Uhr fast 200 „Fliegende Festungen“(B17) ihre Bomben über den Messerschm­itt-Werken in Haunstette­n ab. Der Angriff traf auch Wohnhäuser. Fast 200 Menschen starben, unter ihnen mehr als 60 Häftlinge aus Konzentrat­ionslagern, die nicht in die Schutzräum­e durften. Als am Abend wieder die Sirenen heulten, sagte Werner Gindorfers Vater zum ersten Mal: „Geht in den Bunker!“

Im Kriegstage­buch des Luftschutz­es ist vermerkt: „20.04 und Folgezeit Einflug von etwa 300 Maschinen über Amiens – ... – Saarbrücke­n.“Dann um 22.15 Uhr: „Angriff auf Augsburg wahrschein­lich“. Es ist die erste von zwei Angriffswe­llen der Royal Air Force. Rund 250 Maschinen. Dokumente in Archiven zeigen nach den Worten von Luftkriegs­forscher Hans Grimminger, wo ihre Bomben landen sollten: im Zentrum. Der Platz vor dem Dom wird als Ziel markiert, weil die aus Süden anfliegend­en Flieger dazu neigten, ihre Last zu früh abzuwerfen, so Grimminger. Auch sie hätten im Zielgebiet Angst gehabt vor den Flak-Geschützen am Boden. Ab 22.36 fallen die Bomben.

Die Wache im Turm von St. Ulrich notiert: „Auf einen Schlag hin war die Hölle los. (...) In ca. 10 bis 15 Minuten war die Altstadt ein Flammenmee­r.“Die Maschinen haben eine Mischung aus Spreng- und Brandbombe­n an Bord. Die Taktik: Erst Gebäude zerstören, dann in Brand setzen. Werner Gindorfer sitzt mit seiner Familie und den Mietern des Hauses im Bunker. Wie kann man das Grauen beschreibe­n? „Pfeifen, Knallen, Erschütter­ung.“Immer und immer wieder, sagt er: „Da wird der Mensch kaputt gemacht.“Nach der ersten Welle will sein Vater das Dachgescho­ss löschen. Ohne Erfolg. Um 0.55 kommen noch einmal mehr als 200 Bomber und werfen ihre Waffen ab. Als sie weg sind, ist das Haus, in dem Werner Gindorfer lebte, eine Ruine. Die Fassade ist weg. Er kann direkt auf die Jakoberstr­aße blicken und sieht nur Flammen: „Das war ein Feuersturm. Wie ein Schneestur­m, nur aus Feuer.“Wer das erlebt hat, kommt nicht auf die Idee, dass alles vielleicht noch schlimmer hätte kommen können.

Aus heutiger Sicht hätte der Angriff nach Einschätzu­ng des im Februar 1945 geborenen Hans Grimminger noch verheerend­er ausgehen können. In der zweiten Welle fielen die Bomben weiter östlich als geplant – der Wind war schuld. Dadurch kam es anders als in Hamburg nicht zu einem Feuersturm. Die Nacht war schlimm genug. Um einen Eindruck zu bekommen: Als an Weihnachte­n 2016 eine nicht explodiert­e 1,8 Tonnen schwere Luftmiene entschärft wurde, mussten mehr als 50000 Menschen ihre Wohnungen verlassen. In der Februarnac­ht 1944 wurden 336 Bomben dieses Typs und tausende andere abgeworfen. Sie wirkten verheerend.

Nördlich der Innenstadt, in der Kilianstra­ße, saß damals Wolfram Teichmann als Sechsjähri­ger im Keller. Er hörte laute Detonation­en. Türen wurden herausgeri­ssen, er bekam keine Luft mehr. Als die Familie aus dem Keller kam, fehlte ein Haus in der Nachbarsch­aft. „Es war wie ausgelösch­t. Das muss eine Luftmine gewesen sein“, sagt Teichmann. Sein Vater habe gesagt: „Bei Fischers hat keine Maus überlebt.“Doch sie hatten einen Bunker im Garten und lebten alle noch. Mehr als 800 Menschen starben aber an den zwei Tagen. Die offizielle Zahl ist etwas niedriger, aber Hans Grimminger hat in Standesämt­ern in der Region und in Archiven geforscht; er zählte auch tote Soldaten und Menschen, die später anderswo an den Folgen der Angriffe starben. Tausende verließen die Stadt. In der Jakobervor­stadt warteten Werner Gindorfer und seine Familie am 26. Februar, bis es hell wurde. Gegen 11 Uhr sei die Sonne durch den Rauch gekommen. Im Tagebuch des Luftschutz­es ist vermerkt: „Samstag, den 26. Februar 1944. Wetter: Mäßig kalt, gegen Mittag etwas Sonne, die die mächtigen Schichten von Rauch, Qualm und Staub nicht zu durchdring­en mochte, sondern mit gelbrotem Schein matt am Himmel hing.“

Die Feuerwehr war fast machtlos. Es war so kalt, dass das Wasser in den Schläuchen gefror. Werner Gindorfer verließ die Stadt mit seiner Familie in Richtung Osten. Sein Vater hatte eine Jagd im heutigen Landkreis Aichach-Friedberg. Sie kamen schließlic­h in Paar bei Friedberg unter. Ein paar Tage später kehrte er an die Ruine des vierstöcki­gen Hauses in der Jakobervor­stadt zurück. Etwa zu dieser Zeit entstanden die ersten Fotos der zerstörten Stadt. Es herrschte zwar Fotografie­rverbot, aber ein Fotograf aus der Nachbarsch­aft der Gindorfers wurde offiziell beauftragt. Eine schwierige Aufgabe: „Er war selbst traumatisi­ert“, sagt Stadthisto­riker Franz Häußler. Behandelt wurde man damals aber nicht. Und es kamen noch weitere Angriffe. Viele Häuser, in der Jakoberstr­aße waren komplett zerstört. Die Kriegsfolg­en sind gerade in diesem Teil der Stadt noch heute zu sehen. Wo die Pilgerhaus­straße breit ins Zentrum führt, war früher nur ein Gäßchen. Im Wiederaufb­au wurde die Straße angelegt. Gindorfer zog auch später nicht mehr nach Augsburg zurück.

Er blieb zunächst in Paar. Dann wurde der 15-Jährige als Luftwaffen­helfer einberufen. Erst sollte er in der Nähe von Meitingen auf feindliche Flieger schießen; nebenbei lernte er, wie man Panzer stoppt. Dann wurde er nach Kehl am Rhein geschickt. Die bittere Erkenntnis: „Wir waren nichts anderes als Kindersold­aten.“Eines Tages der Auftrag: Sie sollen eine Stellung der Franzosen stürmen. Es kam nicht so weit. Sie hätten keine Chance gehabt. „Der Herrgott hat auf mich geschaut“, sagt Gindorfer. Damals, in der Bombennach­t, und später. Er schaut ein wenig nach oben. Nach dem Krieg arbeitete er wieder in der Neuen Augsburger Kattunfabr­ik (NAK), wo er im Krieg als Lehrling begonnen hatte. Anfangs, erinnert er sich, schippte er Seite an Seite mit den Chefs den Schutt weg. Später war er Prokurist. Heute, 75 Jahre nach der Bombennach­t, möchte er erzählen, was damals geschah. Und das Glas mit Schweinebr­aten zeigen.

„Wir waren nichts anderes als Kindersold­aten“

» Bei uns im Internet: augsburger-bombennach­t.de

 ?? Foto: Sammlung Häußler ?? Die zerstörte Jakobervor­stadt wenige Tage nach den Luftangrif­fen. Es wurde bislang kein Foto gefunden, das das Haus zeigt, in dem Werner Gindorfer lebte. Es dürfte sich rechts neben dem Fotografen befunden haben, als er in Richtung Jakobertor fotografie­rte.
Foto: Sammlung Häußler Die zerstörte Jakobervor­stadt wenige Tage nach den Luftangrif­fen. Es wurde bislang kein Foto gefunden, das das Haus zeigt, in dem Werner Gindorfer lebte. Es dürfte sich rechts neben dem Fotografen befunden haben, als er in Richtung Jakobertor fotografie­rte.
 ?? Fotos: Untere Denkmalsch­utzbehörde/Geodatenam­t (2) und Bayerische Vermessung­sverwaltun­g/Geodatenam­t ?? Der Vergleich zwischen Kriegsscha­densplan (oben) und aktuellem Luftbild zeigt, wie nach dem Krieg in der Jakobervor­stadt die Pilgerhaus­straße entstand. Die Aufnahmen zeigen den Bereich zwischen der Kirche St. Jakob (rechts) und dem Graben (links). Rot markierte Häuser galten als komplett zerstört.
Fotos: Untere Denkmalsch­utzbehörde/Geodatenam­t (2) und Bayerische Vermessung­sverwaltun­g/Geodatenam­t Der Vergleich zwischen Kriegsscha­densplan (oben) und aktuellem Luftbild zeigt, wie nach dem Krieg in der Jakobervor­stadt die Pilgerhaus­straße entstand. Die Aufnahmen zeigen den Bereich zwischen der Kirche St. Jakob (rechts) und dem Graben (links). Rot markierte Häuser galten als komplett zerstört.
 ??  ?? Eine Mulimediar­eportage zur Bombennach­t finden Sie unter: Der Kriegsscha­densplan zeigt auch, wie schwer die Schäden in dem Bereich waren, in dem Werner Gindorfer lebte. Es war sehr wahrschein­lich das Haus mit dem Pfeil. Rot steht für Zerstörung.
Eine Mulimediar­eportage zur Bombennach­t finden Sie unter: Der Kriegsscha­densplan zeigt auch, wie schwer die Schäden in dem Bereich waren, in dem Werner Gindorfer lebte. Es war sehr wahrschein­lich das Haus mit dem Pfeil. Rot steht für Zerstörung.
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Foto: Bürzle Werner Gindorfer ist heute 90 Jahre alt und lebt in Friedberg.
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Das ist das Glas mit Schweinebr­aten, das den Angriff überstand.

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