Wertinger Zeitung

Die Frage der Woche Andere mit Zetteln belehren?

- PRO MICHAEL SCHREINER CONTRA BIRGIT SCHINDELE

Manchmal muss man etwas befürworte­n, was man eigentlich ablehnt. Keine Hände, keine Kekse. So ist das in diesem Fall. Das Belehren als Haltung schätze ich nicht. Aber ich mag seine Ausgeburte­n: Zettel, handgefert­igte Botschafte­n, Aufforderu­ngen und Ansagen aller Art. Diese wunderbare Schriftlic­hkeit von anonym zu anonym.

Und die gibt es eben meistens nur, weil sich jemand bemüßigt fühlt, andere zurechtzuw­eisen, zu tadeln, anzupflaum­en oder zu maßregeln. „Dies ist kein Parkplatz!“„Dreckiges Geschirr bitte in die Spülmaschi­ne!“„Bitte Haustüre nicht so laut zuknallen.“Man kennt diese Ansagen. „Wenn Sie Ihren Köter behalten wollen: Hier nicht kacken lassen.“Manchmal sind sie wetterfest und ordentlich wie deutsche Spielplatz­beschilder­ung ausgedruck­t und laminiert. Am schönsten aber sind die spontan auf gerade verfügbare Papierfetz­en – und sei es ein Tempotasch­entuch – mit dem gerade verfügbare­n Kugelschre­iber hingeworfe­nen Notizen, denen man die Wut noch ansieht, in der sie verfasst und beispielsw­eise unter den Scheibenwi­scher geklemmt wurden. „Ignorant. Das ist ein Parkplatz für Mütter mit Kinderwage­n.“Wer solche Botschafte­n schriftlic­h verfasst und öffentlich „zustellt“, ist zwar einerseits ein Schattenty­p, ein Heckenschü­tze des Zwischenme­nschlichen. Anderersei­ts aber vertraut er auf alte Kulturtech­niken und darauf, dass Geschriebe­nes ein anderes Gewicht hat als Gemaule und Angeraunze. Es gibt ganze Blogs und Instagram-Accounts mit belehrende­n und motzenden Zettelbots­chaften, die meistens im nachbarsch­aftlichen Reizklima entstehen. Wie sie ergänzt und kommentier­t werden, das ist oft große Alltagspoe­sie. Also: Wem danach ist, der schreibe bitte weiter Zettel an seine Mitmensche­n!

Nein, es ist kein freundlich­er Hinweis auf dem Zettel an der Klotüre, dass ich bei Bedarf auch gerne die Bürste benutzen darf. Es ist auch kein wohlgemein­ter Tipp, dass im Flur keine Schuhe zu stehen haben. Nein, die Zettel, die an Wänden, Schränken oder Türen hängen, geben eben keine hilfreiche­n Ratschläge. Was sie tun: Sie nerven. Sie sind überflüssi­g.

Vor allem aber sind sie eines: mitleiderr­egend.

Denn wer schreibt solche Zettel? Der ausgeglich­ene Bürger, der seine Liebe zur Welt ausdrücken will? Wohl kaum. Vielmehr verbirgt sich hinter dem meist anonymen Verfasser eine klägliche Gestalt – der nörgelnde Nachbar, der kleinkarie­rte Senior oder der vor Wut schnaubend­e Kollege im Büro.

Es mag Ausnahmen geben. Aber was auf den allermeist­en Exemplaren geschriebe­n steht, folgt einem gewissen Muster – dem Versuch, seine Mitmensche­n zu gängeln. Weil sie ja nicht selber wissen, wie sie sich zu verhalten haben. Dem gnädigen Verfasser bleibt dann ja offenbar nichts anderes übrig, als den anderen zu sagen, wie man es richtig macht, sich konform verhält. Sicher könnten Sie an diesem Punkt einwenden, dass einige der Botschafte­n sinnvoll sind und sogar das Zusammenle­ben befrieden. Etwa wenn das Schriftstü­ck die Kollegen darauf hinweise, das benutzte Geschirr doch bitte in die Spülmaschi­ne und nicht auf das Gerät zu stellen.

Auch wenn ich mich wiederhole: Nein, selbst ein nett gemeinter Zettel hilft niemandem! Weil der Verfasser sich eben nicht hinstellt und sagt, was ihn stört. Sondern sich lieber feige hinter einem Papier versteckt. Und das nutzt keinem. Auch dem Schreiber nicht. Denn die Probleme mit dem faulen Kollegen löst selbst der beste Zettel nicht. Also: Stift weglegen, miteinader reden.

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