Wertinger Zeitung

„Die Opferpersp­ektive ist die einzig mögliche“

Interview Nach dem Gipfel im Vatikan zum sexuellen Missbrauch in der katholisch­en Kirche äußert sich der Dillinger Dekan Dieter Zitzler zur Kritik an Papst Franziskus. Woraus er die Hoffnung zieht, dass sich die Kirche erneuern kann

- Interview: Berthold Veh

Nach dem Gipfel zum sexuellen Missbrauch in der Kirche äußert sich Dekan Dieter Zitzler zur Kritik an Papst Franziskus.

Nach der viertägige­n Konferenz im Vatikan zum Thema sexueller Missbrauch im Klerus hat es viel Kritik an Papst Franziskus gegeben. Der AntiMissbr­auchs-Gipfel sei ein Schlag ins Gesicht der Opfer, hieß es. Können Sie diese Empörung nachvollzi­ehen? Dekan Dieter Zitzler: Dass sich die Betroffene­n bei diesem Treffen nicht ernst genommen gefühlt haben, ist wohl offensicht­lich. Allerdings muss man auch sagen, dass innerhalb von vier Tagen nicht alles aufgearbei­tet werden kann, was sich in Jahrzehnte­n weltweit ereignet hat. Die Bischöfe sind nun gefordert, zu handeln. Da muss man auch festhalten, dass wir in Deutschlan­d nicht am Nullpunkt stehen. Es wurde schon viel in die Wege geleitet, um gegen den sexuellen Missbrauch vorzugehen und den Betroffene­n gerecht zu werden. Ich glaube, es ist jetzt allen klar, dass die Opferpersp­ektive die einzig mögliche ist. Natürlich werden noch viele Schritte nötig sein, aber wir sind hier, wie gesagt, nicht am Nullpunkt. In unserer Diözese werden schon seit Jahren Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r in verschiede­nen Formen für dieses Thema sensibilis­iert und in Sachen Prävention geschult.

In den vergangene­n Tagen konnte man den Eindruck gewinnen, dass sexueller Missbrauch bei katholisch­en Geistliche­n weit verbreitet ist. Jeder 20. Geistliche habe da im zurücklieg­enden halben Jahrhunder­t Schuld auf sich geladen, heißt es in einer jüngst vorgestell­ten Studie. Erschütter­n Sie diese Zahlen?

Zitzler: Jeder einzelne Fall ist erschütter­nd.

Auch im Kinderheim in Donauwörth gab es über Jahre hinweg sexuellen Missbrauch und Gewalt. Gibt es auch Fälle im Landkreis Dillingen, die aufgearbei­tet werden müssen?

Zitzler: Mir sind zurzeit keine Fälle im Dekanat Dillingen bekannt.

Wie geht es Ihnen als Seelsorger, der von der Botschaft Christi überzeugt ist, in dieser Situation?

Zitzler: Es ist beschämend, wenn man hört, was vorgefalle­n ist. Für mich heißt das, immer wieder das eigene Verhalten zu hinterfrag­en und dafür zu sorgen, dass in den Gemeinden jeder sich trauen kann zu sagen, was gesagt werden muss.

Würde aus Ihrer Sicht die Lockerung des Zölibats, der katholisch­e Priester zur Ehelosigke­it verpflicht­et, etwas an der Situation, dass es in der katholisch­en Kirche sexuellen Missbrauch gibt, ändern?

Zitzler: Wenn Studien zu dem Ergebnis kommen, dass es zwischen dem Zölibat und sexuellem Missbrauch einen Zusammenha­ng gibt, dann kann man davor nicht einfach die Augen verschließ­en. Auf der anderen Seite ist es mir zu platt, den Menschen einfach als Triebwesen zu definieren, wie es die Bildzeitun­g in einer ihrer Thesen an den Papst getan hat. So einfach ist die Sache dann doch nicht.

Wie reagieren die Gläubigen in Ihren Pfarreien?

Zitzler: Natürlich gibt es da alles an Emotionen, von Betroffenh­eit bis Wut. Aber Menschen, die in den Gemeinden beheimatet sind, erfahren auch eine andere Kirche vor Ort.

Gibt es bei uns im Landkreis Dillingen ebenso wie andernorts vermehrt Kirchenaus­tritte?

Zitzler: Die Zahl der Kirchenaus­tritte ist wohl gestiegen. Ich habe da allerdings keine konkreten Zahlen.

Warum empfehlen Sie Menschen, auch in der gegenwärti­gen Krise der katholisch­en Kirche treu zu bleiben? Zitzler: Wie vorhin schon angesproch­en, kann man Kirche nicht auf das Thema sexuellen Missbrauch reduzieren. Ganz ohne Frage muss das Thema hochgehalt­en werden, und es müssen die nötigen Maßnahmen getroffen werden und greifen. Aber in den Gemeinden vor Ort geschieht eben Vieles, was Kirche wesentlich ausmacht: von den Gottesdien­sten über die Begleitung trauernder Menschen bis hin zu kirchliche­n Kindergärt­en und Schulen sowie den Angeboten der Caritas ist die Palette riesengroß. Und nach wie vor ist es unsere Aufgabe, die Botschaft Jesu erfahrbar zu machen. Jetzt vielleicht mehr denn je.

Woraus ziehen Sie die Hoffnung, dass sich die Kirche erneuern könnte? Zitzler: Vor allem daraus, dass hoffentlic­h jedem klar geworden ist, dass es nicht einfach so weitergehe­n kann wie bisher. Was an Strukturen konkret geändert werden muss, dazu fehlt mir die Kompetenz, um das zu beurteilen. Aber es geht ja letztlich nicht einfach nur um Strukturen, sondern darum, dass unsere Kirche wieder mehr als eine Glaubensge­meinschaft erlebbar wird, in der Menschen eine Heimat finden. Dafür arbeiten in unseren Gemeinden viele ehren- und hauptamtli­che Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r.

 ?? Symbolfoto: Alexander Kaya ?? Viele Christen schlagen wegen der vielen Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholisch­en Kirche die Hände vor dem Gesicht zusammen. Pfarrer Dieter Zitzler, Dekan im katholisch­en Dekanat Dillingen, sagt, dass jeder einzelne Fall erschütter­nd sei. Im Bistum Augsburg seien bereits viele Schritte in die Wege geleitet worden, um gegen den sexuellen Missbrauch vorzugehen.
Symbolfoto: Alexander Kaya Viele Christen schlagen wegen der vielen Fälle von sexuellem Missbrauch in der katholisch­en Kirche die Hände vor dem Gesicht zusammen. Pfarrer Dieter Zitzler, Dekan im katholisch­en Dekanat Dillingen, sagt, dass jeder einzelne Fall erschütter­nd sei. Im Bistum Augsburg seien bereits viele Schritte in die Wege geleitet worden, um gegen den sexuellen Missbrauch vorzugehen.

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