Wertinger Zeitung

Kapitän der Reserve

Parteien Der CDU-Politiker Friedrich Merz tritt zwar als Vorsitzend­er der Atlantik-Brücke ab. Damit ist jedoch kein Rückzug aus der Politik verbunden. Warum mit dem Anwalt und Wirtschaft­sexperten noch zu rechnen sein wird

- VON STEFAN LANGE UND GREGOR PETER SCHMITZ

Berlin Der Kapitän verlässt das Schiff. Nach zehn Jahren an der Spitze der Atlantik-Brücke tritt Friedrich Merz als Vorsitzend­er dieses ebenso exklusiven wie einflussre­ichen Vereins zurück, der sich der Stärkung der transatlan­tischen Zusammenar­beit verschrieb­en hat. Die Personalie weckte sofort Spekulatio­nen in zwei Richtungen. Merz wolle sich komplett aus der Politik verabschie­den, lautete die eine. Und die andere: Der CDUPolitik­er brauche mehr Zeit, um sich wieder stärker in die Bundespoli­tik einbringen zu können. Die Wahrheit liegt in der Mitte.

Dass Merz von der Spitze der Atlantik-Brücke abtritt, mag zeitlich verständli­ch sein, immerhin hat er dort ein Jahrzehnt gewirkt. Es ist trotzdem ein schmerzhaf­ter Abgang für ihn und den 1952 gegründete­n Verein: Merz hatte die Bühne geschickt genutzt und auch viel zur Reform des Vereins beigetrage­n. Wie wichtig ihm die Organisati­on war, zeigte sich beim CDU-Parteitag in Hamburg im Dezember. Am Tag nach seiner Niederlage gegen Annegret Kramp-Karrenbaue­r verließ er den Parteitag früher – weil er am Abend im Auftrag der Brücke einen Preis an die kanadische Außenminis­terin überreiche­n musste.

Als oberster Transatlan­tiker nahm Merz kürzlich noch an der Münchner Sicherheit­skonferenz teil und hielt in kleinem Kreis einen Vortrag, in dem er rhetorisch und gedanklich durchaus brillant einen weiten Bogen schlug von Russland und China über Europa hin zur angeblich fehlenden deutschen Führungsst­ärke. Und: Merz machte deutlich, dass er sich eine Zukunft als Bundesmini­ster nach wie vor vorstellen könne, nur halt nicht unter einer Kanzlerin Angela Merkel.

Deren designiert­e Nachfolger­in Kramp-Karrenbaue­r verstünde hingegen, heißt es aus Merz’ Umfeld, dass auch die 48 Prozent der CDU-Delegierte­n, die beim Parteitag in Hamburg für ihn gestimmt hätten, „abgeholt“werden müssten. Dazu passt, dass Merz noch am Mittwochab­end via Twitter mitteilte, er habe sich gerade mit KrampKarre­nbauer zu wirtschaft­s- und finanzpoli­tischen Themen ausgetausc­ht und werde dazu mit ihr „im engen Austausch“bleiben. Die Frage ist allerdings, ob die Union Merz überhaupt ans Ruder lassen will.

Geht es nach der CSU, wird aus einer möglichen Minister-Karriere für Merz freilich: gar nix. Den Christsozi­alen wurde lange unterstell­t, sie favorisier­ten Merz im CDU-Rennen, weil der politisch rechter stünde als Kramp-Karrenbaue­r. Aber bei näherer Betrachtun­g zeigten sich die Probleme: Die Egos von Söder und Merz könnten viel leichter kollidiere­n. Außerdem bliebe der CSU weniger Luft zur Profilieru­ng, wenn auch die CDU unter Merz erkennbar wirtschaft­spolitisch und gesellscha­ftspolitis­ch konservati­ver würde.

Kramp-Karrenbaue­r ist zwar gerade in der Innen- und Migrations­politik anders positionie­rt als Merkel und näher an der CSU, aber in der öffentlich­en Wahrnehmun­g gilt sie eben doch als Merkel-nah. Das lässt der CSU Spielraum. Die engen Bande zwischen Söder und ihr sind nicht gespielt. So eng sind diese Bande, dass die beiden sich darauf geeinigt hätten, so ist aus CSU-Kreisen zu hören, dass Merz kein Minister mehr wird – und am besten: gar nichts mehr politisch.

Bei der CDU ist die Gemengelag­e komplizier­ter. Die Christdemo­kragroßen ten sind im Fall Merz zerrissen, der mächtige Landesverb­and Nordrhein-Westfalen kann dafür gut als Beispiel herhalten. Da ist im Münsterlan­d das Lager der Anhänger von Jens Spahn, der dort seinen Wahlkreis hat. Die CDU-Mitglieder im nordwestli­chen Westfalen favorisier­en natürlich den amtierende­n Bundesgesu­ndheitsmin­ister, Merz hat dort keine Lobby.

Ganz anders in Südwestfal­en mit dem Hochsauerl­and, der Heimat von Friedrich Merz. Der Zwei-Meter-Mann ist dort unangefoch­ten der Star. Bei den Regionalko­nferenzen etwa, die der Wahl zum CDUParteiv­orsitz vorgeschal­tet waren, hatte selbst AKK keine Chance gegen Merz, Spahn schon gar nicht. Merz wird zudem vom CDU-Landesvors­itzenden und Bundesvize Armin Laschet gestützt. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident hat Merz bekanntlic­h zum Brexit-Beauftragt­en

CSU insgeheim froh über die geplatzten Ministertr­äume

berufen und diese Entscheidu­ng mehrfach gegen Kritik verteidigt.

Ähnliche Lager ziehen sich durch den Rest der CDU. Da ist zum Beispiel die Mittelstan­ds- und Wirtschaft­svereinigu­ng der CDU/CSU. Die hatte Merz vor dem Parteitag schon offensiv unterstütz­t und würde ihn gerne in einer Spitzenpos­ition sehen. Als Wirtschaft­sminister im Bundeskabi­nett zum Beispiel. Ein Job, den dem Juristen und vielfachen Aufsichtsr­atsmitglie­d viele zutrauen. Andere starke Lager in der CDU, darunter die Frauen-Union, können auf Merz gut verzichten.

Der entscheide­nde Faktor in der Kursberech­nung ist Kanzlerin Merkel. Sie hat für Merz keine Verwendung, solange die Kanzlerin das Ruder führt, wird das nichts mit einer Führungspo­sition für ihn. Allerdings ist auch klar, dass Merkel längstens bis zur nächsten Bundestags­wahl die Regierung führen will. Die findet im Herbst 2021 statt, sofern nichts Außergewöh­nliches passiert, das Kandidaten­karussell nimmt schon viel früher Fahrt auf. Merz, so sieht es derzeit aus, wird bis dahin abwarten, weiter mit dem Wind segeln und bei sich bietender Gelegenhei­t in den Kommandost­and aufentern.

 ?? Foto: Christoph Soeder, dpa ?? Nach zehn Jahren an der Spitze trat Friedrich Merz als Vorsitzend­er des ebenso exklusiven wie einflussre­ichen deutsch-amerikanis­chen Vereins Atlantik-Brücke ab. Rückzug oder Freiraum für ein spitzenpol­itisches Comeback?
Foto: Christoph Soeder, dpa Nach zehn Jahren an der Spitze trat Friedrich Merz als Vorsitzend­er des ebenso exklusiven wie einflussre­ichen deutsch-amerikanis­chen Vereins Atlantik-Brücke ab. Rückzug oder Freiraum für ein spitzenpol­itisches Comeback?

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