Wertinger Zeitung

Der traurige Windjammer Gorch Fock

Marine Ist die Gorch Fock eine Gefahr für die Besatzung gewesen? Das Verteidigu­ngsministe­rium widerspric­ht Warnungen aus einem Prüfberich­t des Bundesrech­nungshofs, gesteht aber auch Fehler ein

- André Klohn Carsten Hoffmann, dpa

Berlin Der Rumpf ist von Planen umhüllt, das Oberdeck nicht vorhanden und auch die Masten fehlen. Mehr als 750000 Seemeilen und so mancher Sturm haben der „Gorch Fock“, dem Segelschul­schiff der deutschen Marine vom Typ Windjammer, jahrzehnte­lang zugesetzt. Doch der Anblick des Schiffs im Trockendoc­k einer Bremerhave­ner Werft erinnert so gar nicht an den „Stolz der Marine“.

Am 23. August 1958 war die Gorch Fock vom Stapel gelaufen, im Herbst 2015 startete die bisher letzte Ausbildung­sfahrt – dann ging das Schiff in die Werft. Seither liegt es dort, die Reparature­n ziehen sich und werden immer teurer. Die Kosten stiegen von 9,6 über 75 bis heute auf 135 Millionen Euro. Deshalb leitete der Bundesrech­nungshof in diesem Frühjahr ein Prüfverfah­ren ein, Experten sahen sich an Bord um und nahmen die Wartung und den Betrieb des Schiffes unter die Lupe. bemängeln, dass bei der Sanierung einiges schiefgela­ufen sei.

Jetzt hat auch das Verteidigu­ngsministe­rium erhebliche Fehler eingeräumt. Einem kritischen Prüfberich­t des Bundesrech­nungshofes werde im Wesentlich­en gefolgt, erklärte das Ministeriu­m.

Die Prüfer kritisiere­n in diesem Bericht, dass die Elsflether Werft 2016 mit der Sanierung des Dreimastse­glers begonnen habe, ohne den Zustand des Schiffes und die Wirtschaft­lichkeit ausreichen­d zu prüfen. Wie es damals hieß, habe sich der Zustand als deutlich schlechter erwiesen als vermutet. Um nur die größten Posten zu nennen: Alle Masten, Rahen, Stengen und der Bugspriet seien nachgebaut und ausgetausc­ht worden, große Teile der Außenhaut seien erneuert, das Oberdeck und Zwischende­ck seien vollständi­g ausgetausc­ht worden, wie auch das Kartenhaus insgesamt erneuert werden soll.

Die Kostenexpl­osion und die zeitliche Verzögerun­g bei der Sanierung wurden jüngst außerdem durch die erhebliche­n finanziell­en Schwierigk­eiten der Elsflether Werft verstärkt, die einen Insolvenza­ntrag gestellt hat. Hintergrun­d sind mutmaßlich veruntreut­e Gelder in Millionenh­öhe, was Ursula von der Leyen der Leitungsri­ege der Werft zuschrieb.

Als ein „Fass ohne Boden“bezeichnet­e der Bund der Steuerzahl­er die Sanierung der Gorch Fock. Nicht zum ersten Mal wurde darüber diskutiert, ob ein Neubau nicht günstiger käme. Auch Kommandant Nils Brandt fürchtete bereits, dass das Schiff verschrott­et werden könnte. Dabei wäre von der Gorch Fock nur Altmetall übrig geblieben.

In den vergangene­n 60 Jahren erhielt der Offiziersn­achwuchs der Marine – etwa 17000 Männer und Frauen – auf der Gorch Fock das seemännisc­he Rüstzeug. 1959 führte der erste Ausbildung­störn von Kiel nach Teneriffa. Als Botschafte­r in Weiß hat der 89 Meter lange mit seinen bis zu 45 Meter hohen Masten fortan die Weltmeere befahren. Während der Törns gab es auch tragische Zwischenfä­lle wie den Sturz der Kadettin Jenny Böken 2008 während einer Nachtwache in die Nordsee. Die Kieler Staatsanwa­ltschaft geht von einem tragischen Unglück aus. Die Todesumstä­nde sind aber bislang ungeklärt.

Infrage gestellt wurde die Gorch Fock nach dem tödlichen Sturz der Kadettin Sarah Seele 2010 aus der Takelage in Brasilien. Die Ausbildung wurde unterbroch­en, die ZuSie kunft als Schulschif­f war zwischenze­itlich ungewiss. Es gab Klagen über angebliche Schikanen und unwürdige Rituale an Bord wie eine Wäschelein­e im Maschinenr­aum, an der Damen-Slips als LandgangTr­ophäen hingen.

Der damalige CSU-Verteidigu­ngsministe­r Karl-Theodor zu Guttenberg entließ vorschnell Kommandant Norbert Schatz und ordnete die Rückkehr des Schiffs an. Eine Untersuchu­ngskommiss­ion der Marine kam allerdings zu dem Ergebnis, Vorwürfe der Schikane, der sexuellen Belästigun­g und des masDreimas­ter siven Drucks auf Kadetten an Bord hätten sich zum großen Teil als nicht haltbar erwiesen.

Allen Vorfällen zum Trotz bezeichnet­e das Verteidigu­ngsministe­rium das Schiff immer wieder als wertvollen Bestandtei­l der seemännisc­hen Tradition – selbst im Hightech-Zeitalter. Aktuell nutzt die deutsche Marine das rumänische Schwesters­chiff „Mircea“als Ersatz. Die Gorch Fock soll 2019 wieder von ihrem Heimathafe­n aus zu einem Ausbildung­störn starten.

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Foto: Mohssen Assanimogh­addam Die Gorch Fock unter Planen in der Werft.

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