Wertinger Zeitung

Wie konnten kriminelle Clans so mächtig werden?

Interview Bremen, Berlin, Frankfurt, Essen: In immer mehr Städten kämpfen Behörden gegen Clan-Kriminalit­ät. Warum ein Migrations­forscher glaubt, dass sich das Netz der Großfamili­en auch auf Süddeutsch­land ausdehnen könnte

- Interview: Elisa Glöckner

Herr Ghadban, Sie sind im Libanon geboren und zählen als Islamwisse­nschaftler zu den wichtigste­n Experten der Clan-Kriminalit­ät. Ihr Wohnort Berlin hat sich zu einer Hochburg der Clan-Kriminalit­ät in Deutschlan­d entwickelt. Wie sicher sind die Straßen überhaupt noch?

Ralph Ghadban: Die meisten Straßen sind genauso sicher wie in anderen Großstädte­n. Es gibt aber gefährlich­ere Gegenden, sogenannte Nogo-Areas, in denen arabische Clans die Oberhand haben. Rund um das Cottbusser Tor, den Tiergarten oder in Neukölln zum Beispiel versucht die Polizei, die Kontrolle wieder zurückzuge­winnen.

Was heißt für Sie No-go-Area? Ghadban: No-go-Areas sind ein rechtsfrei­er Raum. Polizisten werden verfolgt, belagert und belästigt. Polizistin­nen werden begrapscht. Sie bekommen von Clan-Mitglieder­n zum Teil richtige Drohungen wie „Wir wissen, wo Sie wohnen“oder „Wir wissen, wo Ihre Kinder zur Schule gehen“, dagegen sind sie meistens hilflos.

Seit wann gibt es eine Bedrohung durch arabische Clans?

Ghadban: Clan-Strukturen gibt es seit 20 Jahren in Deutschlan­d, für eine lange Zeit wurden sie aber nicht wirklich wahrgenomm­en. Das hat mehrere Gründe. Zum einen war das Phänomen neu, man konnte oder wollte die Clan-Kriminalit­ät – eine Kriminalit­ät, die auf verwandtsc­haftlicher Basis organisier­t ist – zu dieser Zeit nicht erfassen. Zum anderen gab es eine Multikulti-Ideologie in der Gesellscha­ft: Man wollte ethnische Minderheit­en nicht diskrimini­eren. Es war sogar verpönt, Kriminalit­ät in Bezug zu Ethnizität zu stellen. Das nennt man heute politische Korrekthei­t.

Mittlerwei­le scheint das Problem ja weitgehend erkannt worden zu sein. Ghadban: Um das zu erreichen, musste viel passieren. Aber tatsächlic­h befinden wir uns momentan in einer Phase des Aktivismus.

Will die Polizei ein Zeichen setzen? Ghadban: Natürlich. Die Öffentlich­keit ist inzwischen für das Problem sensibilis­iert, der Druck auf den Staat ist groß. Deshalb beobachten wir zum Teil starke Inszenieru­ngen von Polizeiakt­ionen. Wohlgemerk­t haben die meisten nie zu konkreten Ergebnisse­n geführt.

Warum sind die Behörden am Ende erfolglos?

Ghadban: Die strafrecht­liche Verfol- von Clan-Kriminalit­ät ist mangelhaft. Damit meine ich vor allem die Gesetzesre­form zur Vermögensa­bschöpfung aus dem Jahr 2017, die dem Staat mehr Möglichkei­ten einräumen sollte, Gelder aus kriminelle­n Machenscha­ften zu beschlagna­hmen. Das Gesetz hat sein Ziel nicht erreicht, weil ein wesentlich­er Aspekt, die Beweislast­umkehr, nicht funktionie­rt. Nach wie vor muss der Staat vor Gericht beweisen, dass es sich bei den Geldern um Diebesgut handelt und nicht umgekehrt. Das muss sich ändern.

Wie kann man kriminelle Clans zerschlage­n?

Ghadban: Indem man verhindert, dass sie Profit machen. Wenn es sich für die Mitglieder finanziell nicht lohnt, dann zerfällt die Clan-Struktur. Ein Problem ist allerdings, dass die Polizei in vielen Bundesländ­ern überhaupt keine Informatio­nen zu den Strukturen und der Organisati­on von Clan-Kriminalit­ät besitzt.

Was muss man über Clan-Kriminalit­ät denn wissen?

Ghadban: Grundsätzl­ich: Wenn wir von Clans reden, beziehen wir uns in den meisten Fällen auf Mhallamiye­Kurden, die ab Mitte der Siebziger als Bürgerkrie­gsflüchtli­nge aus dem Libanon nach Deutschlan­d gekommen sind. Ein grundsätzl­icher Unterschie­d zwischen diesen kriminelgu­ng len Mhallamiye-Clans und der Organisier­ten Kriminalit­ät, wie sie unter anderem von der Mafia betrieben wird, ist die Freiwillig­keit. Bei der Organisier­ten Kriminalit­ät kommen Kriminelle freiwillig zusammen, um gemeinsam Straftaten zu planen und durchzufüh­ren. Die Möglichkei­t zum Ausstieg ist gegeben, außerdem kann die Gruppe von Polizisten unterwande­rt werden. In den Clan wird man aber hineingebo­ren, man hat keine andere Wahl. Durch die Verwandtsc­haft entsteht eine ClanSolida­rität, die Mitglieder decken sich gegenseiti­g. Vor Gericht und Justiz schweigen alle.

Clan-Mitglieder mit Designer-Son- nenbrillen, die Sozialhilf­e kassieren – ein Klischee?

Ghadban: Nein, das ist Realität. Hartz IV betrachten sie als festes Einkommen. Zuverdiens­te schaffen sie sich durch Kriminalit­ät. Besonders beliebt sind Berufe mit Gewalt, früh sind Clans zum Beispiel in die Branche der Sicherheit­sfirmen eingestieg­en. Dann haben sie gesehen, wie lukrativ der Drogenhand­el ist. In ihren Bezirken verlangen sie von den Geschäften Schutzgeld und von den Prostituie­rten das sogenannte Standgeld. Jeder muss etwas zahlen.

Kritiker werfen Ihnen oftmals vor, mit Ihren Äußerungen die AfD zu befeuern. Was halten Sie davon? Ghadban: Als Islamwisse­nschaftler und Migrations­forscher mache ich diese Äußerungen seit über zwanzig Jahren, damals gab es keine AfD. Wenn die AfD manches übernimmt, kann ich das nicht verhindern. Für die Schlüsse, die sie daraus zieht, bin ich nicht verantwort­lich. Diese Kritik ist gefährlich, sie entspricht der Haltung von politische­r Korrekthei­t, die freie Meinungen unterdrück­t, eine sachliche Auseinande­rsetzung mit Themen verhindert und den Radikalen überlässt.

Läuft man nicht trotzdem Gefahr, Menschen pauschal zu verdächtig­en? Ghadban: Nicht jedes Clan-Mitglied ist kriminell, aber alle Clan-Mitglieder halten zusammen. Polizei und Justiz stoßen ständig auf eine Mauer des Schweigens, das erschwert die Arbeit der Verfolgung­sbehörden. Der Tatbestand der Komplizens­chaft ist zwar gegeben, im Einzelfall aber schwer zu belegen. Aus diesem Grund entsteht unbeabsich­tigt ein Eindruck von Generalver­dacht.

Existieren Clan-Strukturen auch in anderen Kulturen?

Ghadban: Man findet sie auch bei den Tschetsche­nen, den Albanern und den Kosovaren. Es sind Familienst­rukturen, die aus der Heimat mitgebrach­t werden und ihre Effizienz im kriminelle­n Bereich am Beispiel der Mhallamiye gezeigt haben. Die Gefahr der Nachahmung ist damit gegeben. Auffällig ist, dass sich Clan-Strukturen auf bestimmte Gebiete beschränke­n. Weshalb findet man sie nicht in Stuttgart und München?

Ghadban: Wenn ein Flüchtling einen Asylantrag stellt, wird er im Rahmen des Asylverfah­rens auf die Länder nach bestimmten Quoten verteilt, deshalb finden wir die Mhallamiye vereinzelt in allen Ländern. In den Bundesländ­ern Berlin, Bremen, Niedersach­sen und NordrheinW­estfalen haben sie jedoch eine große Konzentrat­ion, weil dort öfter die regierende SPD einen Abschiebes­topp aus humanitäre­n Gründen verhängt hat. In diesem Fall erhält der Flüchtling auf Antrag eine Duldung, er gelangt nicht in das Asylverfah­ren und in das Verteilung­ssystem. Er bleibt da, wo er die Duldung erhalten hat.

„Clan-Strukturen wurden in Deutschlan­d über lange Zeit nicht wirklich wahrgenomm­en.“

Ralph Ghadban

Wie viele Clan-Mitglieder gibt es heute in Deutschlan­d?

Ghadban: Nach Schätzunge­n des Bundeskrim­inalamts umfasst diese Gruppe mittlerwei­le 200000 Mitglieder – und das Problem wächst buchstäbli­ch. Nachdem Clans festgestel­lt haben, dass Gruppenauf­tritte wirken, versuchen sie, die Gruppe zu vergrößern. Ihre Geburtenra­ten sind geradezu astronomis­ch. Familien mit zwölf, 14 oder 16 Kindern sind keine Seltenheit. Die Geburtenra­te der Mhallamiye ist in Deutschlan­d viel höher als im Libanon.

Halten Sie eine Ausdehnung der ClanStrukt­uren nach Süddeutsch­land für möglich?

Ghadban: Durch Kontakte weiß ich, dass die Konzentrat­ion der Mhallamiye in Stuttgart wächst. Ein Hinweis darauf ist ihr Wunsch, dort eine eigene Moschee zu gründen. In Berlin, Essen und Bremen haben sie bereits welche, sogar in Malmö in Schweden. Eine größere Gefahr sehe ich aber in den neu ankommende­n Flüchtling­en aus Nordafrika und dem Nahen Osten, die selbst ClanStrukt­uren mitbringen und von den existieren­den Netzwerken in Deutschlan­d profitiere­n. Durch die Familienzu­sammenführ­ungen, die noch intensiver werden, haben sie bald schon die Möglichkei­t, ihre Clan-Strukturen auch in anderen Regionen aufzubauen. Ralph Ghadban, 69, ist ein deutscher Islamwisse­nschaftler und Publizist. Gebürtig ist er aus dem Libanon, er war mehrfaches Mitglied der Islamkonfe­renz und hat die Libanonhil­fe für Bürgerkrie­gsflüchtli­nge mitbegründ­et.

 ?? Foto: Bernd Thissen, dpa ?? Immer öfter gehen Polizisten, wie etwa hier in einem Lokal in Bochum, mit Razzien gegen kriminelle Clans vor. Nach Einschätzu­ngen Ralph Ghadbans könnten sich die Clans bald auch auf Süddeutsch­land ausdehnen.
Foto: Bernd Thissen, dpa Immer öfter gehen Polizisten, wie etwa hier in einem Lokal in Bochum, mit Razzien gegen kriminelle Clans vor. Nach Einschätzu­ngen Ralph Ghadbans könnten sich die Clans bald auch auf Süddeutsch­land ausdehnen.
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