Die Theater-Gründerin, die selber Karten abreißt
Jubiläum Ariane Mnouchkine ist legendär für ihr Théâtre du Soleil mit seinem strikten Prinzip der Gleichberechtigung
Paris Ariane Mnouchkine steht am Eingang und trennt die Eintrittskarten ab, so wie bei jedem der Stücke ihres Théâtre du Soleil. Doch das jüngste Werk ihrer Theatertruppe entstand nicht unter ihrer Regie. Mnouchkine hat sie dem Kanadier Robert Lepage anvertraut. Es ist das erste Mal seit Gründung der Truppe im Jahr 1964, dass die Schauspieler nicht mit ihr arbeiten. Denkt Frankreichs bekannteste Theaterregisseurin, die am 3. März 80 Jahre alt wird, etwa ans Aufhören?
„Théâtre du Soleil Kanata – Episode I – La Controverse“heißt das Stück, das derzeit in der Pariser Cartoucherie gespielt wird, einer einstigen Munitionsfabrik. Es erzählt die Geschichte des Heimatlandes von Robert Lepage. „Kanata“bedeutet auf Irokesisch Dorf und gab dem heutigen Kanada seinen Namen. Dort hätte das Stück im vergangenen Juli auch aufgeführt werden sollen. Doch aufgrund heftiger Kritik warf Lepage das Handtuch. Man hielt ihm vor, ein Stück über die Unterdrückung der Ureinwohner des Landes zu zeigen ohne indianische Schauspieler. So fand die Uraufführung im Dezember in Paris statt. Das Werk sei keiner Person oder Gruppe aufgrund ihrer Herkunft gegenüber beleidigend, erklärte Mnouchkine. Wegen der Polemik in Kanada hat sie den Titel um das Wort „La Controverse“, die Kontroverse, erweitert.
Typisch Mnouchkine, gehört sie doch zu den Vertreterinnen eines politischen Theaters. Sie kämpft für eine bessere Welt und setzt sich in ihren Werken mit dem Zeitgeist auseinander. Der Durchbruch gelang ihr Anfang der 70er Jahre mit „1789“und „1793“. Stücke, in denen sie die Geschichte der Französischen Revolution beziehungsweise der Gegenwart nach dem Mai 1968 reflektierte. Den Krieg in den unterschiedlichsten Formen thematisierte sie in Inszenierungen von Shakespeare; Migration, Verfolgung und politische Macht sind weitere ihrer favorisierten Themen.
„Das Theater kann zwar nicht große Menschenmassen beeinflussen, aber es kann jeden Abend zumindest ein menschliches Herz öffnen. Das ist schon sehr viel“, sagte die Tochter des russisch-französischen Filmproduzenten Alexandre Mnouchkine einmal. In einem weitgehend von Männern dominierten Metier regiert sie über ein Kollektiv, das sie im Alter von 25 Jahren gegründet hat. Noch heute hat dort der Gemeinschaftsgedanke höchste Priorität: Gleichberechtigung bei der Arbeit und gleiche Bezahlung für alle der bis zu 60 Schauspieler lautet die Regel. Von ihnen fordert sie keine akademische Ausbildung, legt aber Wert darauf, alle im Theater anstehenden Arbeiten selbst zu leisten. Deshalb reißt Mnouchkine auch selber Karten ab.
Ihr Theater orientiert sich am Schauspiel des Fernen Ostens, der antiken Tragödie und an volkstümlichen Traditionen. Ihre Inszenierungen sind ästhetische Feuerwerke aus berauschender Detailarbeit, Musik, Tanz und Akrobatik – betörend ausgebreitet auch in dem mehr als vierstündigen Kinofilm „Molière“(1978). Letztlich geht es der Regisseurin Mnouchkine darum, wie man die Welt darstellen kann – mit all ihrer Gewalt, aber auch Schönheit.