Wertinger Zeitung

Abstieg eines Superstars

Porträt Aus dem kanadische­n Regierungs­chef Justin Trudeau wurde ein angeschlag­ener Politiker. Warum er jetzt sogar um seine Wiederwahl bangen muss

- Post Vogue New York Gerd Braune

Erst ging sein langjährig­er Freund, Chefsekret­är und Berater Gerald Butts. Dann trat Veteranenm­inisterin Jody WilsonRayb­ould zurück. Nun wirft die für Finanzen zuständige Jane Philpott das Handtuch: In der Korruption­sund Schmiergel­daffäre um mutmaßlich unterdrück­te Ermittlung­en gegen eine Ingenieurf­irma verliert Kanadas Premiermin­ister Justin Trudeau den Rückhalt in den eigenen Reihen. Sieben Monate vor den Wahlen erlebt der einst gefeierte Regierungs­chef, der alle Anschuldig­ungen abstreitet, seine bislang größte politische Krise. Das Kabinett um die „liberale Lichtgesta­lt“Trudeau präsentier­t sich als destabilis­iertes Regierungs­team.

Von der Amtseinfüh­rung des Trudeau-Kabinetts im November 2015 ist vor allem ein Bild in Erinnerung geblieben: die innige Umarmung zwischen Trudeau und seiner Justizmini­sterin Jody Wilson-Raybould, der ersten Ministerin aus einem indianisch­en Volk. Gerade ihre Ernennung symbolisie­rte den Wandel in Kanadas Politik. Nun könnte sie zusammen mit Philpott zum Fall Trudeaus beitragen. Für den 47-Jährigen ist es eine dramatisch­e Entwicklun­g: vor drei Jahren der kometenhaf­te Aufstieg aus dem politische­n Nichts in das Regierungs­amt – und nun die Möglichkei­t, dass seine Ära nach einer Wahlperiod­e enden könnte.

Trudeau hat seit Herbst 2015 zwar eine deutliche Mehrheit der Sitze im Parlament, dies aber mit etwas weniger als 40 Prozent Stimmenant­eil. Nach den zehn Regierungs­jahren des kühlen, berechnend­en konservati­ven Premiermin­isters Stephen Harper wollte das Land einen neuen Politiksti­l. Dies verkörpert­e Justin Trudeau mit unkonventi­onellem Programm und legerem Auftreten, dem Verspreche­n von Transparen­z und Offenheit. Das Ausland sah ihn nach der Wahl des aggressive­n Donald Trump in den USA als Kontrast und Repräsenta­nt des „besseren Nordamerik­a“. Trudeau ernannte ein paritätisc­h mit Frauen und Männern besetztes Kabinett. Er war bekannt für seine bunten Socken und stellte sich für Selfies zur Verfügung. Das nicht immer „premiermin­isterielle“Verhalten gefiel nicht allen Kanadiern, aber sie nahmen es hin.

Eigentlich stand die Zukunft von Justin Trudeau schon fest, als er vier Monate alt war. Da besuchte der damalige US-Präsident Richard Nixon seinen kanadische­n Amtskolleg­en, Trudeaus Vater Pierre, und setzte zum Trinkspruc­h an: „Auf den zukünftige­n Premiermin­ister Kanadas, auf Justin Trudeau!“Doch der Junge ließ sich Zeit, wurde Skilehrer, Schauspiel­er, Amateurbox­er und Türsteher – bis es ihn dann doch in die Politik zog, wofür er bejubelt wurde. Und mit ihm seine Familie. Das Boulevardb­latt

kürte Trudeaus Ehefrau Sophie zur „heißesten First Lady der Welt“und die jubelte, die ganze Familie Trudeau – inklusive der drei kleinen Kinder und Großmutter Margaret, die einst als Hippie mit den Rolling Stones gefeiert hatte – sehe aus wie „eine Werbung für die Zukunft“.

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Foto: dpa

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