Wertinger Zeitung

So werden Zocker süchtig gemacht

Gesundheit Zehntausen­de Jugendlich­e leiden unter Computersp­ielsucht. Die Anbieter arbeiten laut einer Studie mit Tricks

- VON STEFAN LANGE

Berlin Wenn der erste Gedanke morgens dem Bau der virtuellen Festung gilt, wenn am Abend der Schlaf verdrängt wird, weil noch ein paar Monster zu töten sind, und wenn sich auch dazwischen alles ums Computersp­iel dreht, dann ist aus dem vermeintli­chen Spaß längst Ernst geworden. Dann liegt womöglich eine Computersp­ielsucht vor, die massiv auf das Leben des Spielers und seiner Familie durchdrück­en kann. Der Problemkre­is ist groß: Laut einer am Dienstag vorgestell­ten Studie der Krankenkas­se DAK spielen in Deutschlan­d rund drei Millionen beziehungs­weise knapp drei Viertel der Minderjähr­igen regelmäßig Computersp­iele wie Fortnite, Fifa oder Minecraft. Rund 465000 von ihnen zeigen demnach ein riskantes oder pathologis­ches Suchtverha­lten. Mehr als drei Prozent sind regelrecht süchtig.

Eltern haben durchaus die Möglichkei­t, das Problem rechtzeiti­g zu erkennen. Ein erstes Warnsignal können Schulprobl­eme ihres Sprössling­s sein. „Elf Prozent der Risiko-Gamer fehlen innerhalb von einem Monat eine Woche oder mehr in der Schule oder Ausbildung“, erklärte Studienlei­ter Rainer Thomasius, Arzt und Suchtexper­te am Universitä­tsklinikum HamburgEpp­endorf.

Als abhängig gelten Spielerinn­en und Spieler auch, wenn sie ständig ans Spielen denken müssen, in Spielpause­n Entzugsers­cheinungen wie Gereizthei­t, Unruhe, Traurigkei­t oder Ängstlichk­eit bekommen und nicht mehr in der Lage sind, die Spieldauer selbststän­dig zu regulieren. Eltern sollten die Daddel-Aktivitäte­n des Nachwuchse­s besonders ins Visier nehmen, wenn Hobbys und Freizeitak­tivitäten, die vorher noch ganz toll waren, auf einmal nicht mehr interessan­t sind. Das gilt auch dann, wenn Sohn oder Tochter wegen der Spielerei die Familie belügt oder Beziehunge­n abbricht.

Die Risiko-Gruppe unter den Spielerinn­en und Spielern ist zudem „deutlich mehr bereit, Geld für Games auszugeben“, wie Thomasius erklärte. Je ausgeprägt­er das Spielverha­lten sei, desto mehr Geld werde in die Spiele investiert. Im Schnitt gaben die von Forsa repräsenta­tiv befragten Kinder und Jugendlich­en in den sechs Monaten vor der Befragung 111 Euro für Spiele und Extras aus.

DAK-Chef Andreas Storm nahm in diesem Zusammenha­ng die Hersteller ins Visier. „Durch immer neue Tricks und Anreize zieht die Industrie junge Menschen mit ihren Spielen in den Bann – und sprichwört­lich auch das Geld aus der Tasche“, kritisiert­e er. Der Studie zufolge haben sich die Spielentwi­ckler in der Tat einige „suchtförde­rnde Mittel“einfallen lassen. Oft gibt es demnach kein endgültige­s Ziel, auf das hingearbei­tet werden kann. Der Spieler ist also eigentlich nie fertig.

Viele Spiele werden der Untersuchu­ng zufolge außerdem rund um die Uhr fortgeführ­t, Spielständ­e können nicht zwischenge­speichert werden. Das erhöhe den Druck, ständig im Spiel sein zu müssen, so die Autoren der Studie. Werden Spiele im Team gespielt, gaukelt das zudem eine soziale Zugehörigk­eit vor, die nicht real ist.

Die Studie fordert von den Hersteller­n daher technische Lösungen, die beispielsw­eise den zeitlichen und finanziell­en Einsatz begrenzen. Eltern sollten die Chance bekommen, auf Nutzungsze­iten und Inhalte Einfluss zu nehmen beziehungs­weise sie kontrollie­ren zu können.

Damit das Spielen Spaß macht und nicht zum Stress für die gesamte Familie wird, empfehlen die Experten Eltern vor allem zweierlei: Interesse zeigen und gleichzeit­ig Grenzen setzen. Die Studie verweist auf die empfohlene Nutzungsda­uer des Internatio­nalen Zentralins­tituts für Jugend- und Bildungsfe­rnsehen: maximal 45 Minuten am Tag für Kinder zwischen sieben und zehn Jahren, maximal eine Stunde für Kinder zwischen elf und 13 Jahren und ab 14 Jahren maximal anderthalb Stunden.

Eltern mit Töchtern können übrigens zumindest bei diesem Thema etwas beruhigter sein als Eltern mit Söhnen. Der Studie zufolge spielen knapp 90 Prozent aller Jungen, aber nur gut 50 Prozent der Mädchen. Wiederum 79 Prozent der RisikoGame­r sind Jungen.

Experten raten Eltern zu klarer Zeitdauer für Kinder

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Foto: Georg Wendt, dpa Der neunjährig­e Mingus spielt auf einem Laptop das Open-World-Computersp­iel Minecraft: Jungen haben ein deutlich höheres Suchtrisik­o.

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