Wertinger Zeitung

„Flüchtling­e müssen gehen, obwohl sie gut integriert sind“

Interview Josefine Steiger kämpft jeden Tag, damit mehr junge Migranten eine Ausbildung machen können. Auch im Interesse der Betriebe

- Interview: Daniela Hungbaur

Frau Steiger, Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann will gut integriert­en Flüchtling­en den Zugang in Ausbildung und Arbeit erleichter­n. Als Ausbildung­sexpertin der IHK Schwaben müsste Sie das freuen, oder? Josefine Steiger: Grundsätzl­ich freue ich mich sehr über die Ankündigun­g. Das kann ich auch im Namen der IHK Schwaben sagen. Entscheide­nd ist aber jetzt, wie diese Ankündigun­g umgesetzt wird. Führt sie wirklich zu einer Öffnung in den Ausbildung­s- und Arbeitsmar­kt, wäre das ein Geschenk für unsere Betriebe und für unsere engagierte­n jungen Flüchtling­e.

Was befürchten Sie?

Steiger: Jeden Tag kommen zu mir junge Flüchtling­e und fragen mich: Frau Steiger, warum muss ich gehen? Ich habe doch alles getan, was von mir verlangt wurde. Warum darf ich keine Ausbildung machen? Sie können sich die große Verzweiflu­ng dieser jungen Menschen gar nicht vorstellen. So viele Flüchtling­e müssen gehen, obwohl sie gut integriert sind. Und daher habe ich große Sorge, wie diese Ankündigun­g jetzt wirklich umgesetzt wird.

Wo sehen Sie konkret Probleme? Steiger: Die größte Sorge mache ich mir um unsere Flüchtling­e, die hier nur geduldet sind. Deren Asylverfah­ren also abgelehnt wurde, weil ihre Fluchtgrün­de nicht anerkannt wurden. Viele von ihnen sind schon seit 2014, 2015 bei uns, sind sehr gut integriert, doch sie müssen täglich fürchten, dass sie am nächsten Tag in einem Flieger sitzen und abgeschobe­n werden. Die meisten von ihnen sind aus Afghanista­n und sie machen auch den Großteil unserer Flüchtling­e hier in Schwaben aus. Von ihnen schreibt Minister Herrmann leider gar nichts.

Dafür schreibt Minister Herrmann, dass überdurchs­chnittlich­e Schulleist­ungen bei Flüchtling­en verstärkt gewürdigt werden sollen. Ist da nicht die Frage, was das heißt? Nur Einser? Steiger: Doch, da haben Sie recht. Was keinesfall­s passieren darf, dass hier nur ein qualifizie­rter Mittel- oder gar ein Realschula­bschluss gilt. Denn gut integriert ist für mich ein junger Mensch, der in kurzer Zeit so gut Deutsch gelernt hat, dass er eine Ausbildung machen kann. Und davon gibt es viele.

Es gilt doch seit langem die sogenannte 3+2-Regel, die besagt, dass Menschen, die eine Ausbildung machen, in diesem Zeitraum (drei Jahre) und zwei Jahre danach vor Abschiebun­g geschützt sind. Funktionie­rt das nicht?

Steiger: Es werden zu wenige echte Ausbildung­sduldungen ausgesproc­hen. Oft gilt die Duldung nur für einen kurzen Zeitraum von ein paar Monaten oder einem Jahr, das macht es für die Ausbildung­sbetriebe und die Jugendlich­en so schwer. Die 3+2-Regel wird nur vereinzelt gelebt.

Minister Herrmann will nun auch nicht mehr Pässe als alleinigen Nachweis für die Identität gelten lassen, sondern auch andere behördlich­e Dokumente, „sofern sie zum Nachweis der Identität taugen“.

Steiger: Das ist ein überfällig­er Schritt, über den ich mich sehr freue. Denn oft ist es den Flüchtling­en wirklich nicht möglich, einen Pass vorzulegen. Ich finde, wenn jemand alles versucht und mitwirkt bei der Klärung seiner Identität, ist das auch ein Zeichen des Integratio­nswillens.

Der Präsident des Städte- und Gemeindebu­ndes, Uwe Brandl, fordert ein Umdenken bei Maßnahmen zur Integratio­n und behauptet, ein Großteil der Zugewander­ten hat an unseren Angeboten kein Interesse. Sie haben offensicht­lich ganz andere Erfahrunge­n gemacht und werden dazu auch vom „heute-journal“in dieser Woche noch befragt.

Steiger: Ja, ich mache täglich die Erfahrung, dass die überwiegen­de Mehrheit der Flüchtling­e, die bei uns lebt, hoch motiviert ist und lernen will. Viele von ihnen haben aber große Angst, abgeschobe­n zu werden. Und mit Angst lernt es sich schlechter. Was Herr Brandl beschreibt, sind meiner Meinung nach wirklich nur Einzelfäll­e. Die gibt es. Aber es ist eine verschwind­ende Minderheit. Das können viele unserer Betriebe bestätigen.

Viele Ihrer Betriebe suchen händeringe­nd Nachwuchs. Wie angewiesen sind sie auf Flüchtling­e?

Steiger: Wir sind sehr auf Flüchtling­e angewiesen. Etwa 2000 Ausbildung­splätze sind unbesetzt. Bei circa 500 davon gaben Betriebe ausdrückli­ch an, bevorzugt Flüchtling­e zu nehmen. Wir wissen nicht mehr, welche Zielgruppe­n wir noch anschulabs­chluss sprechen sollen. Aber unsere Erfahrunge­n widerlegen auch die Aussagen von Herrn Brandl: Wir haben in Schwaben in unseren IHK-Betrieben über 2000 Flüchtling­e in Ausbildung. Zehn Prozent unserer Auszubilde­nden haben einen Fluchthint­ergrund. Knapp 200 Flüchtling­e haben bereits ihre Ausbildung abgeschlos­sen, 80 Prozent davon ihre Prüfungen bestanden und 90 Prozent sind übernommen worden.

Minister Herrmann erklärt, dass es sich künftig auch positiv auswirken soll, wenn ein Flüchtling eine Beschäftig­ung oder eine Ausbildung in einem Beruf mit besonderem Fachkräfte­mangel aufnehmen will. Ein guter Schritt? Steiger: Der Minister hat da sicher vor allem den Pflegebere­ich im Blick. Aber auch bei uns gibt es Branchen, die sich besonders harttun, Auszubilde­nde zu finden. Die Logistik etwa. Auch Gaststätte­n, Hotels, der Handel. Viele Betriebe in diesen Bereichen bilden längst Flüchtling­e aus und haben sehr gute Erfahrunge­n gemacht.

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Foto: Sven Hoppe, dpa Viele Betriebe in Schwaben haben mit Flüchtling­en gerade als Lehrlinge sehr gute Erfahrunge­n gemacht. Jetzt sollen mehr eine Chance erhalten.

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