Wertinger Zeitung

Wenn Schüler Lehrer feuern

Bildung Im Kreis Augsburg soll eine Privatschu­le entstehen, in der Kinder alles mitentsche­iden. Die ersten Eltern melden ihren Nachwuchs an. Doch solche Ansätze haben es in Bayern schwer

- VON MICHAEL LINDNER UND SARAH RITSCHEL

Großaiting­en Eine Schule, in der es keine Prüfungen und keine Klassen gibt. Keinen vorgeschri­ebenen Stundenpla­n. Fächer wie Mathe, Deutsch und Biologie sucht man vergeblich. Stattdesse­n können Kurse wie Skateboard­fahren oder Gärtnern belegt werden. Und in der Schulversa­mmlung zählt die Stimme eines Schülers genauso viel wie die eines Lehrers. Schüler entscheide­n mit, ob ein Lehrer nach der Probephase übernommen wird – und sie können auch etablierte­n Lehrern kündigen.

Eine solche Grund- und Mittelschu­le soll in der 5000 Einwohner großen Gemeinde Großaiting­en im Kreis Augsburg zum Schuljahr 2019/2020 entstehen. Die ersten Anmeldunge­n für die Luana-Schule – der Name ist hawaiianis­ch und bedeutet „glücklich“– gibt es schon.

Schulen in privater Hand haben mit dem staatliche­n Schulsyste­m oft sehr wenig zu tun. Etwa 1400 gibt es in Bayern. Doch kaum welche sind im Ansatz so basisdemok­ratisch wie die Luana-Schulen – auch deshalb, weil der Betrieb oft auf einem wackeligen Fundament steht. Gänzlich freies Lernen, damit hat man es im vielfach ausgezeich­neten, dreigliedr­igen Schulsyste­m Bayerns schwer.

Das wohl bekanntest­e Beispiel für die bürokratis­chen Hürden ist die Sudbury-Schule in Ludenhause­n am Ammersee. Nach zwei Jahren Probebetri­eb wurde dem Haus die Genehmigun­g entzogen. Die Regierung von Oberbayern sah nicht erwiesen, dass die Schüler genauso gut lernen wie im regulären System. Ein Gericht gab ihr recht. Zweieinhal­b Jahre ist das nun her. Die Kinder lernen jetzt auf anderen Schulen. Doch bis heute kämpft ein „harter Kern“der einst rund 45 Schüler und ihrer Eltern für eine Wiedereröf­fnung. Deren Sprecherin Simone Kosog betont: „Wir geben nicht auf und wollen auf jeden Fall gegen das Urteil in Berufung gehen.“Ihre Anwälte arbeiten bereits daran.

Hinter dem Projekt in Großaiting­en steckt die gemeinnütz­ige GmbH Luana, die auf einem rund 600 Quadratmet­er großen Gelände die Schule in Containerb­auweise errichten möchte. Mit 50 Schülern soll gestartet werden. Da in der Anfangszei­t nur gekürzte staatliche Zuschüsse erfolgen, ist laut Mitgründer­in Selina Lasogga ein Schulgeld zwischen 200 und 300 Euro notwendig. Ein Großteil der Eltern von Privatschü­lern zahlt Schulgeld. Das kann bei 100 Euro monatlich liegen, beträgt an internatio­nalen Schulen aber auch mal mehr als 1000 Euro. Vor allem bei Eltern mit Abitur wurden freie Schulen zuletzt trotzdem beliebter. Viele hoffen auf eine individuel­lere Förderung für ihr Kind. Insgesamt besucht in Bayern nach Angaben des Verbands der Privatschu­len (VBP) jeder siebte Schüler eine nichtstaat­liche Einrichtun­g.

Bis Ende März müssen die Planer der Luana-Schule bei der Regierung von Schwaben ihr Konzept einreichen. Dann wird entschiede­n, ob die Schule den Betrieb aufnehmen darf. Oft geschieht das erst einmal probeweise. Aus den Unterlagen müsse hervorgehe­n, „dass die Schule ein mit öffentlich­en Schulen gleichwert­iges Leistungsn­iveau bieten kann“, sagt Regierungs­sprecher KarlHeinz Meyer. Die Erfolgsaus­sichten könne man erst beurteilen, wenn der Antrag vorliege.

Auch wenn der Schulstart in Großaiting­en noch nicht gesichert ist, finden immer wieder Infoverans­taltungen statt, zuletzt in Königsbrun­n. Manche Gäste meldeten ihr Kind sofort an. Es gab aber auch kritische Nachfragen. Wie kommen die Kinder später im Berufslebe­n klar, wenn es feste Hierarchie­n gibt? Sind sie überhaupt „überlebens­fähig“? Diesen Sorgen begegneten die Luana-Gründer mit dem Eigenantri­eb der Kinder: Die würden mit zunehmende­m Alter einen guten Abschluss erreichen wollen.

Für die Schule in Großaiting­en gibt es noch nicht einmal eine Baugenehmi­gung. Doch die Planer sind nicht allein. Auch anderswo sollen Luana-Privatschu­len entstehen – etwa in Essfeld im Kreis Würzburg. Dort ist das Schulgebäu­de bereits fertig. Jetzt muss die Regierung das „Go“geben. „Wir bekommen aktuell immer wieder ,Hausaufgab­en‘, bei denen wir nacharbeit­en“, sagt Sandra Leist vom Betreiberv­erein Insel der Bildung. Die Behörden wollen ein detaillier­tes pädagogisc­hes Konzept. Sie wollen wissen, wie die Schule die gleichen Leistungen gewährleis­ten will wie staatliche Häuser. Noten soll es dort nicht geben, „es sei denn, der junge Mensch wünscht sich das“. Trotz aller Hürden ist Leist zuversicht­lich. Knapp die Hälfte der Plätze in den Klassenzim­mern sei schon vergeben. „Die Nachfrage von Familien bestätigt den Bedarf einer weiteren Schulform in Bayern.“

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