Wenn Schüler Lehrer feuern
Bildung Im Kreis Augsburg soll eine Privatschule entstehen, in der Kinder alles mitentscheiden. Die ersten Eltern melden ihren Nachwuchs an. Doch solche Ansätze haben es in Bayern schwer
Großaitingen Eine Schule, in der es keine Prüfungen und keine Klassen gibt. Keinen vorgeschriebenen Stundenplan. Fächer wie Mathe, Deutsch und Biologie sucht man vergeblich. Stattdessen können Kurse wie Skateboardfahren oder Gärtnern belegt werden. Und in der Schulversammlung zählt die Stimme eines Schülers genauso viel wie die eines Lehrers. Schüler entscheiden mit, ob ein Lehrer nach der Probephase übernommen wird – und sie können auch etablierten Lehrern kündigen.
Eine solche Grund- und Mittelschule soll in der 5000 Einwohner großen Gemeinde Großaitingen im Kreis Augsburg zum Schuljahr 2019/2020 entstehen. Die ersten Anmeldungen für die Luana-Schule – der Name ist hawaiianisch und bedeutet „glücklich“– gibt es schon.
Schulen in privater Hand haben mit dem staatlichen Schulsystem oft sehr wenig zu tun. Etwa 1400 gibt es in Bayern. Doch kaum welche sind im Ansatz so basisdemokratisch wie die Luana-Schulen – auch deshalb, weil der Betrieb oft auf einem wackeligen Fundament steht. Gänzlich freies Lernen, damit hat man es im vielfach ausgezeichneten, dreigliedrigen Schulsystem Bayerns schwer.
Das wohl bekannteste Beispiel für die bürokratischen Hürden ist die Sudbury-Schule in Ludenhausen am Ammersee. Nach zwei Jahren Probebetrieb wurde dem Haus die Genehmigung entzogen. Die Regierung von Oberbayern sah nicht erwiesen, dass die Schüler genauso gut lernen wie im regulären System. Ein Gericht gab ihr recht. Zweieinhalb Jahre ist das nun her. Die Kinder lernen jetzt auf anderen Schulen. Doch bis heute kämpft ein „harter Kern“der einst rund 45 Schüler und ihrer Eltern für eine Wiedereröffnung. Deren Sprecherin Simone Kosog betont: „Wir geben nicht auf und wollen auf jeden Fall gegen das Urteil in Berufung gehen.“Ihre Anwälte arbeiten bereits daran.
Hinter dem Projekt in Großaitingen steckt die gemeinnützige GmbH Luana, die auf einem rund 600 Quadratmeter großen Gelände die Schule in Containerbauweise errichten möchte. Mit 50 Schülern soll gestartet werden. Da in der Anfangszeit nur gekürzte staatliche Zuschüsse erfolgen, ist laut Mitgründerin Selina Lasogga ein Schulgeld zwischen 200 und 300 Euro notwendig. Ein Großteil der Eltern von Privatschülern zahlt Schulgeld. Das kann bei 100 Euro monatlich liegen, beträgt an internationalen Schulen aber auch mal mehr als 1000 Euro. Vor allem bei Eltern mit Abitur wurden freie Schulen zuletzt trotzdem beliebter. Viele hoffen auf eine individuellere Förderung für ihr Kind. Insgesamt besucht in Bayern nach Angaben des Verbands der Privatschulen (VBP) jeder siebte Schüler eine nichtstaatliche Einrichtung.
Bis Ende März müssen die Planer der Luana-Schule bei der Regierung von Schwaben ihr Konzept einreichen. Dann wird entschieden, ob die Schule den Betrieb aufnehmen darf. Oft geschieht das erst einmal probeweise. Aus den Unterlagen müsse hervorgehen, „dass die Schule ein mit öffentlichen Schulen gleichwertiges Leistungsniveau bieten kann“, sagt Regierungssprecher KarlHeinz Meyer. Die Erfolgsaussichten könne man erst beurteilen, wenn der Antrag vorliege.
Auch wenn der Schulstart in Großaitingen noch nicht gesichert ist, finden immer wieder Infoveranstaltungen statt, zuletzt in Königsbrunn. Manche Gäste meldeten ihr Kind sofort an. Es gab aber auch kritische Nachfragen. Wie kommen die Kinder später im Berufsleben klar, wenn es feste Hierarchien gibt? Sind sie überhaupt „überlebensfähig“? Diesen Sorgen begegneten die Luana-Gründer mit dem Eigenantrieb der Kinder: Die würden mit zunehmendem Alter einen guten Abschluss erreichen wollen.
Für die Schule in Großaitingen gibt es noch nicht einmal eine Baugenehmigung. Doch die Planer sind nicht allein. Auch anderswo sollen Luana-Privatschulen entstehen – etwa in Essfeld im Kreis Würzburg. Dort ist das Schulgebäude bereits fertig. Jetzt muss die Regierung das „Go“geben. „Wir bekommen aktuell immer wieder ,Hausaufgaben‘, bei denen wir nacharbeiten“, sagt Sandra Leist vom Betreiberverein Insel der Bildung. Die Behörden wollen ein detailliertes pädagogisches Konzept. Sie wollen wissen, wie die Schule die gleichen Leistungen gewährleisten will wie staatliche Häuser. Noten soll es dort nicht geben, „es sei denn, der junge Mensch wünscht sich das“. Trotz aller Hürden ist Leist zuversichtlich. Knapp die Hälfte der Plätze in den Klassenzimmern sei schon vergeben. „Die Nachfrage von Familien bestätigt den Bedarf einer weiteren Schulform in Bayern.“