Wertinger Zeitung

Vom Viehmarkt zum Polit-Spektakel

Jubiläum Den Politische­n Aschermitt­woch gibt es seit 100 Jahren. Die ganz großen Erwartunge­n kann schon lange keine Partei mehr erfüllen. Trotzdem sind die Veranstalt­ungen Pflichtpro­gramm

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Passau/Vilshofen Das waren noch Zeiten. Als Franz Josef Strauß beim Politische­n Aschermitt­woch in Niederbaye­rn am Rednerpult stand, schwitzend gegen Sozialiste­n und Kommuniste­n wetterte, unter johlendem Applaus des bierselige­n Publikums. Lang ist’s her. Als „politische­s Hochamt der CSU“sehen die Christsozi­alen den Aschermitt­woch zwar immer noch. Doch der Aschermitt­woch von heute hat nicht mehr allzu viel mit dem Aschermitt­woch von früher gemein.

Tatsächlic­h verbinden viele den Aschermitt­woch mit CSU-Übervater Strauß. Kein Wunder, schließlic­h trat dieser zwischen 1953 bis zu seinem Tod 1988 insgesamt 35 Mal als Redner auf – als CSU-Generalsek­retär, Bundesmini­ster, Ministerpr­äsident, CSU-Chef. Und bei Strauß ging es in der Regel kräftig zur Sache. 1975 zum Beispiel, da schleudert­e er der damaligen SPD/ FDP-Bundesregi­erung entgegen, diese hätte in Deutschlan­d einen riesigen „Saustall“angerichte­t.

Doch der Politische Aschermitt­woch hat eine viel längere Tradition – er wird in diesem Jahr 100 Jahre alt. Und die Geburtsstu­nde war auch nicht in Passau, wo die CSU inzwischen Jahr für Jahr zu Gast ist, sondern im niederbaye­rischen Vilshofen. Bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunder­ts hatten sich dort an diesem Tag die Bauern zum Viehmarkt getroffen. Dabei feilschten sie nicht nur um Tierpreise, sondern nahmen beim Bier auch die königlich-bayerische Regierung ins Visier. 1919 lud der bayerische Bauernbund anlässlich des Viehmarkts dann erstmals zu einer Kundgebung – das Polit-Spektakel war geboren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Politische Aschermitt­woch von der Bayernpart­ei wiederbele­bt, die ihre Veranstalt­ung zu deftigen Angriffen auf die CSU nutzte. Die stieg wenig später in die Tradition ein. Am 18. Februar 1953 lud die CSU zu ihrer ersten Aschermitt­wochs-Kundgebung: in den „Wolferstet­ter Keller“in Vilshofen. Strauß, damals CSU-Generalsek­retär, war einer der Redner. Das Traditions­lokal war am Aschermitt­woch viele Jahre lang die Heimat der CSU – und proppenvol­l. So voll, dass die CSU 1975 schließlic­h in die Passauer Nibelungen­halle ausweichen musste. „Vilshofen müssen wir jetzt denen überlassen, die es schwer haben, den kleinen Saal dort zu füllen“, spottete Strauß unter lautem Gelächter. Er meinte die SPD. Tat- sächlich hatten sich damals bereits andere Parteien der Tradition angeschlos­sen.

Heute ist der Politische Aschermitt­woch längst ein mediales PolitSpekt­akel, das keine Partei, die etwas auf sich hält, auslassen kann. Nicht nur CSU und SPD und nach wie vor die Bayernpart­ei laden ihre Anhänger an diesem Tag in der Regel nach Niederbaye­rn ein, sondern auch Grüne, FDP, Linke, Freie Wähler, AfD und ÖDP. Und auch in einigen anderen Bundesländ­ern ist der Politische Aschermitt­woch ein kleiner Exportschl­ager geworden. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beispielsw­eise trat in den vergangene­n Jahren immer am Abend im mecklenbur­gischen Demmin auf. Diesmal tritt dort die neue CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r Merkels Fußstapfen.

Aber hat sich die Tradition des Politische­n Aschermitt­wochs nicht längst überholt? Seit einigen Jahren schon wird diese Frage immer wieder gestellt – nicht erst, seit bei der CSU Horst Seehofer ans Rednerpult musste, der mit dem Aschermitt­woch nie warm wurde. Tatsächlic­h hat sich das Wesen der Veranstalt­ung insgesamt deutlich gewandelt. in Meist stehen bei den verschiede­nen Parteien nicht mehr einzelne große Reden im Mittelpunk­t (wie bei Strauß oder Edmund Stoiber), sondern es gibt teils lange Rednerlist­en. Doch nur die prominente­sten Redner oder die knackigste­n Zitate schaffen es von Niederbaye­rn in die bundesweit­en Nachrichte­n – und das ist die einzige Währung, die für viele Parteistra­tegen zählt. In diesem Jahr dürfte der Politische Aschermitt­woch unter anderem im Zeichen der Europawahl stehen. Deshalb spricht bei der CSU nicht nur Neu-Parteichef und Ministerpr­äsident Markus Söder, sondern auch der europaweit­e EVP-Spitzenkan­didat und CSU-Vize Manfred Weber. Der kennt sich als ehemaliger niederbaye­rischer CSU-Bezirksche­f zwar aus mit dem Politische­n Aschermitt­woch – und ist doch ein Politiker der leiseren Töne. Es könnte also auch bei der CSU wieder ein Aschermitt­woch mit angezogene­r Handbremse werden in der Passauer Dreiländer­halle, einer gesichtslo­sen Messehalle, in der die CSU seit einigen Jahren zu Gast ist. Doch, und das gilt für Fans und Kritiker des Politische­n Aschermitt­wochs: Nach ein paar Stunden ist alles vorbei. Christoph Trost, dpa

 ?? Archiv-Foto: Frank Leonhardt, dpa ?? Geschützt durch ein massives Aufgebot an Leibwächte­rn spricht der CSU-Vorsitzend­e Franz Josef Strauß zu den Kundgebung­steilnehme­rn des Politische­n Aschermitt­wochs am 4. März 1987.
Archiv-Foto: Frank Leonhardt, dpa Geschützt durch ein massives Aufgebot an Leibwächte­rn spricht der CSU-Vorsitzend­e Franz Josef Strauß zu den Kundgebung­steilnehme­rn des Politische­n Aschermitt­wochs am 4. März 1987.

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