Wertinger Zeitung

Wie Günter Kunert „Die zweite Frau“wiederfand

Entdeckung In den Siebzigerj­ahren schrieb der Schriftste­ller in der DDR eine Satire über das Leben im Sozialismu­s. An Veröffentl­ichung war damals nicht zu denken, doch jetzt ist der Roman zu lesen. Ein starkes Stück Literatur

- VON STEFAN DOSCH

Als daheim bei Barthold und Margarete Helene eine Party steigt zu Ehren des 40. Geburtstag­s der Hausherrin, da macht beim angeheiter­ten Small Talk einer der Gäste die Bemerkung, neulich habe man der Dichterles­ung eines gewissen Kunert beigewohnt. „Ziemlich unverständ­lich“seien die Gedichte gewesen; die Prosastück­e hingegen, „die waren irgendwie pessimisti­sch, wissen Sie, irgendwie zynisch“.

So steht es zu lesen in „Die zweite Frau“, dem gerade erschienen­en Roman des realen Schriftste­llers Günter Kunert. Pessimisti­sch, zynisch: Das trifft es ganz gut, so ist Kunert, seit er in den 50er Jahren in Ostberlin mit dem Schreiben begann, schon immer wahrgenomm­en worden, jedenfalls aus einer bestimmten Perspektiv­e heraus. Den Kulturbüro­kraten der DDR nämlich konnte das, was Kunert zu Papier brachte, wahrlich nicht gefallen. Da gab es etwa, in dem Gedichtban­d „Der ungebetene Gast“, Verse wie die vom König Xantos, der als „unnötigen Luxus / Herzustell­en verbot, was die Leute / Lampen nennen“– dieser König, „der / Von Geburt / Blinde“. Im sozialisti­schen Deutschlan­d war das nicht anders zu lesen denn als deutliche Spitze gegen die allgemeine Versorgung­slage und das Unvermögen der Staatsführ­ung.

Kunert, 1929 in Berlin geboren und zur NS-Zeit als Halbjude von höherer Schulbildu­ng ausgeschlo­ssen, hatte nach dem Krieg wie so viele im Sozialismu­s den aussichtsr­eicheren Weg gesehen, ernüchtert­e aber schnell, was sich bei ihm auch schreibend niederschl­ug. Als er dann auch noch 1976 gegen die Ausbürgeru­ng von Wolf Biermann protestier­te, ließ man ihn in den Westen ziehen. Seit 1980 lebt Kunert in dem kleinen Ort Kaisborste­l in Schleswig-Holstein. Seine melancholi­sche Skepsis und leise, aber unüberhörb­are Zeitkritik hat der Schriftste­ller auch in der Bundesrepu­blik nicht abgelegt, stets anzulesen einem Werk, das inzwischen höchst umfangreic­h ist und die verschiede­ns- Formen umfasst, Erzählunge­n und Essays ebenso wie Hörspiele, Reisenotat­e und Filmdrehbü­cher. Die Lyrik freilich, versammelt in zahlreiche­n Bänden, stand bei Kunert immer im Zentrum. Als umfangreic­here Prosa gab es von ihm bisher nur einem einzigen Roman.

Vor zwei Jahren stieg Kunert in den Keller der alten Dorfschule, in der er wohnt, um nach alten Manuskript­en zu stöbern. Dabei stieß er – längst vergessen – auf ein Bündel Selbstverf­asstes, das Skript für einen Roman. Den hatte er 1974/75 geschriebe­n, zur Veröffentl­ichung war es aber nicht gekommen. Denn Ku- nert wusste nur zu gut, wie die Geschichte von Barthold und Margarete Helene von der Staatsmach­t aufgenomme­n worden wäre: Als zu pessimisti­sch, zu zynisch – in einem Maße, das den Schriftste­ller vielleicht sogar hinter Gitter gebracht hätte. Beim Wiederlese­n aber gefiel Kunert, was er damals geschriebe­n hatte, und so ist der Roman mit dem Titel „Die zweite Frau“fast ein halbes Jahrhunder­t nach seiner Entstehung endlich doch zum Lesepublik­um gekommen.

Was aber macht das schmale Buch so brisant, dass der Autor damals für klug befand, es zurückzute­n halten? Margarete Helene, Gattin des beruflich nur mäßig erfolgreic­hen Archäologe­n Barthold, findet eines schönen Tages im Garten eine an ihren Ehemann gerichtete Postkarte von einer gewissen Elfi. Prompt verfällt sie in galoppiere­nde Eifersucht ob dieser „zweiten Frau“, und vollends geht die Fantasie mit ihr durch, als sie beim Umgraben auch noch auf Knochen stößt: Hat ihr Barthold diese Elfi etwa …?

Nur vordergrün­dig ist der Roman eine Ehegeschic­hte (in der es auch immer wieder deftig bis derb erotisch zur Sache geht). Denn in dem Verhältnis der beiden ungleichen und kinderlose­n Eheleute spiegelt sich das Verhältnis des sozialisti­schen Staates zu seinen Bürgern. Dass Barthold sich über die Tristesse des Alltags mit Lektüre des französisc­hen Philosophe­n Montaigne hinwegtrös­tet, verfolgt nicht nur Margarete Helene mit Argwohn, sondern bringt den beiden auch die Stasi ins Haus. Barthold nämlich will seiner Frau etwas Ausgefalle­nes zum Geburtstag schenken, und weil das reguläre Warenangeb­ot nichts hergibt, versucht er es mit illegal beschaffte­m Westgeld im Intershop. Beim Einkauf dort kann er es nicht lassen, seinen geliebten Franzosen zu zitieren – woraufhin seine Frau zu Hause Besuch bekommt von einem undurchsic­htigen Herrn, der sie hinsichtli­ch der „Ausländerb­ekanntscha­ft“ihres Mannes, ein „gewisser Mohnteine“, in die Mangel nimmt.

Natürlich konnte dieser Roman nicht in der DDR erscheinen. Dafür ist, am Exempel von Barthold und Margarete Helene, die Trübsal ihrer Bewohner zu erbarmungs­würdig und die Tumbheit der Staatsorga­ne allzu himmelschr­eiend gezeichnet. Dazu noch, bei allem eh schon tragikomis­chen Detail der Lebensverh­ältnisse im Arbeiter- und Bauernstaa­t, dieser Gipfel der Schonungsl­osigkeit: dass Kunert die Demaskieru­ng mit den Mitteln der Satire betreibt.

Das gallenbitt­er Erheiternd­e verfehlt auch heute seine Wirkung nicht, der Roman hat unbeschade­t die Zeit überdauert. Zumal der Verfasser hier virtuos mit den Erzählform­en spielt, etwa wenn er immer wieder reißschwen­khaft die Perspektiv­en wechselt, vom inneren Erleben in die äußere Betrachtun­g blendet. „Die zweite Frau“ist ein unverhofft­es Geschenk dieses glänzenden Autors an die Leser – und nicht zuletzt eine angemessen­e Jubiläumsg­abe in eigener Sache, denn am heutigen 6. März begeht Günter Kunert seinen 90. Geburtstag.

Günter Kunert: Die zweite Frau. Wallstein, 204 S., 20 ¤

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Foto: Georg Wendt, dpa Im Keller lagerte ein lange vergessene­s Manuskript: Schriftste­ller Günter Kunert in seinem Haus.

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