Wie Günter Kunert „Die zweite Frau“wiederfand
Entdeckung In den Siebzigerjahren schrieb der Schriftsteller in der DDR eine Satire über das Leben im Sozialismus. An Veröffentlichung war damals nicht zu denken, doch jetzt ist der Roman zu lesen. Ein starkes Stück Literatur
Als daheim bei Barthold und Margarete Helene eine Party steigt zu Ehren des 40. Geburtstags der Hausherrin, da macht beim angeheiterten Small Talk einer der Gäste die Bemerkung, neulich habe man der Dichterlesung eines gewissen Kunert beigewohnt. „Ziemlich unverständlich“seien die Gedichte gewesen; die Prosastücke hingegen, „die waren irgendwie pessimistisch, wissen Sie, irgendwie zynisch“.
So steht es zu lesen in „Die zweite Frau“, dem gerade erschienenen Roman des realen Schriftstellers Günter Kunert. Pessimistisch, zynisch: Das trifft es ganz gut, so ist Kunert, seit er in den 50er Jahren in Ostberlin mit dem Schreiben begann, schon immer wahrgenommen worden, jedenfalls aus einer bestimmten Perspektive heraus. Den Kulturbürokraten der DDR nämlich konnte das, was Kunert zu Papier brachte, wahrlich nicht gefallen. Da gab es etwa, in dem Gedichtband „Der ungebetene Gast“, Verse wie die vom König Xantos, der als „unnötigen Luxus / Herzustellen verbot, was die Leute / Lampen nennen“– dieser König, „der / Von Geburt / Blinde“. Im sozialistischen Deutschland war das nicht anders zu lesen denn als deutliche Spitze gegen die allgemeine Versorgungslage und das Unvermögen der Staatsführung.
Kunert, 1929 in Berlin geboren und zur NS-Zeit als Halbjude von höherer Schulbildung ausgeschlossen, hatte nach dem Krieg wie so viele im Sozialismus den aussichtsreicheren Weg gesehen, ernüchterte aber schnell, was sich bei ihm auch schreibend niederschlug. Als er dann auch noch 1976 gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann protestierte, ließ man ihn in den Westen ziehen. Seit 1980 lebt Kunert in dem kleinen Ort Kaisborstel in Schleswig-Holstein. Seine melancholische Skepsis und leise, aber unüberhörbare Zeitkritik hat der Schriftsteller auch in der Bundesrepublik nicht abgelegt, stets anzulesen einem Werk, das inzwischen höchst umfangreich ist und die verschiedens- Formen umfasst, Erzählungen und Essays ebenso wie Hörspiele, Reisenotate und Filmdrehbücher. Die Lyrik freilich, versammelt in zahlreichen Bänden, stand bei Kunert immer im Zentrum. Als umfangreichere Prosa gab es von ihm bisher nur einem einzigen Roman.
Vor zwei Jahren stieg Kunert in den Keller der alten Dorfschule, in der er wohnt, um nach alten Manuskripten zu stöbern. Dabei stieß er – längst vergessen – auf ein Bündel Selbstverfasstes, das Skript für einen Roman. Den hatte er 1974/75 geschrieben, zur Veröffentlichung war es aber nicht gekommen. Denn Ku- nert wusste nur zu gut, wie die Geschichte von Barthold und Margarete Helene von der Staatsmacht aufgenommen worden wäre: Als zu pessimistisch, zu zynisch – in einem Maße, das den Schriftsteller vielleicht sogar hinter Gitter gebracht hätte. Beim Wiederlesen aber gefiel Kunert, was er damals geschrieben hatte, und so ist der Roman mit dem Titel „Die zweite Frau“fast ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung endlich doch zum Lesepublikum gekommen.
Was aber macht das schmale Buch so brisant, dass der Autor damals für klug befand, es zurückzuten halten? Margarete Helene, Gattin des beruflich nur mäßig erfolgreichen Archäologen Barthold, findet eines schönen Tages im Garten eine an ihren Ehemann gerichtete Postkarte von einer gewissen Elfi. Prompt verfällt sie in galoppierende Eifersucht ob dieser „zweiten Frau“, und vollends geht die Fantasie mit ihr durch, als sie beim Umgraben auch noch auf Knochen stößt: Hat ihr Barthold diese Elfi etwa …?
Nur vordergründig ist der Roman eine Ehegeschichte (in der es auch immer wieder deftig bis derb erotisch zur Sache geht). Denn in dem Verhältnis der beiden ungleichen und kinderlosen Eheleute spiegelt sich das Verhältnis des sozialistischen Staates zu seinen Bürgern. Dass Barthold sich über die Tristesse des Alltags mit Lektüre des französischen Philosophen Montaigne hinwegtröstet, verfolgt nicht nur Margarete Helene mit Argwohn, sondern bringt den beiden auch die Stasi ins Haus. Barthold nämlich will seiner Frau etwas Ausgefallenes zum Geburtstag schenken, und weil das reguläre Warenangebot nichts hergibt, versucht er es mit illegal beschafftem Westgeld im Intershop. Beim Einkauf dort kann er es nicht lassen, seinen geliebten Franzosen zu zitieren – woraufhin seine Frau zu Hause Besuch bekommt von einem undurchsichtigen Herrn, der sie hinsichtlich der „Ausländerbekanntschaft“ihres Mannes, ein „gewisser Mohnteine“, in die Mangel nimmt.
Natürlich konnte dieser Roman nicht in der DDR erscheinen. Dafür ist, am Exempel von Barthold und Margarete Helene, die Trübsal ihrer Bewohner zu erbarmungswürdig und die Tumbheit der Staatsorgane allzu himmelschreiend gezeichnet. Dazu noch, bei allem eh schon tragikomischen Detail der Lebensverhältnisse im Arbeiter- und Bauernstaat, dieser Gipfel der Schonungslosigkeit: dass Kunert die Demaskierung mit den Mitteln der Satire betreibt.
Das gallenbitter Erheiternde verfehlt auch heute seine Wirkung nicht, der Roman hat unbeschadet die Zeit überdauert. Zumal der Verfasser hier virtuos mit den Erzählformen spielt, etwa wenn er immer wieder reißschwenkhaft die Perspektiven wechselt, vom inneren Erleben in die äußere Betrachtung blendet. „Die zweite Frau“ist ein unverhofftes Geschenk dieses glänzenden Autors an die Leser – und nicht zuletzt eine angemessene Jubiläumsgabe in eigener Sache, denn am heutigen 6. März begeht Günter Kunert seinen 90. Geburtstag.
Günter Kunert: Die zweite Frau. Wallstein, 204 S., 20 ¤