Der alte, neue Hass auf Juden
Antisemitismus auf deutschen Straßen
Arye Sharuz Shalicar erinnert sich noch gut. Es muss in der 9. Klasse des Berliner Diesterweg-Gymnasiums gewesen sein, als er seinem Freund Mahavir gestand, dass er Jude sei. „In jenem Moment, als ich ihm meinen Davidstern zeigte, begrub er unsere Freundschaft.“Sein Kumpel Arye, Sohn iranischer Eltern, kein Muslim wie er, sondern jüdischen Glaubens? Zu viel für Mahavir. „Juden“, sagte er dann noch, „sind Feinde von uns.“Mit Arye, mit dem er sich so lange so gut verstand, sprach er nie wieder.
Mehr als 20 Jahre ist das jetzt her, Shalicar aber erzählt davon, als sei es erst gestern gewesen. Obwohl er schon 2001 nach Israel ausgewandert ist, der Armee dort als Sprecher diente und heute als Abteilungsleiter für internationale Beziehungen für die Regierung arbeitet, lässt ihn seine deutsche Vergangenheit nicht los. In seinem Buch „Der neu-deutsche Antisemit“hat Shalicar sich jetzt seinen Zorn von der Seele geschrieben, selbst Erlebtes und Beobachtetes zusammengetragen und zu einer, wie er es nennt, sehr persönlichen Analyse verwoben, in der er auch nicht verschweigt, wie häufig sein Bruder und er als Teenager alleine wegen ihres Glaubens von arabischen Gangs verprügelt wurden. Deutschland, diagnostiziert er, habe noch immer ein enormes Antisemitismus-Problem. „Und er wird immer lauter und frecher. Mal kommt er von rechts, mal von links und immer öfter und aggressiver aus der muslimischen Ecke.“
Der neue deutsche Antisemit, wie der 41-jährige Politologe ihn schildert, gründet seinen Judenhass nicht zuletzt auf den Geschehnissen im Nahen Osten – gerne getarnt als Israel-Kritik. Dieselben Kritiker, die
Seitenhiebe auf Linke in Deutschland
Israel als kindermordenden Terrorstaat bezeichnen, wenn es sich gegen die Angriffe aus dem Gazastreifen wehre, „gehen nicht auf die Straße, wenn der syrische Diktator wieder einmal dutzende Zivilisten vergast, wenn im Iran Frauen inhaftiert werden, nur weil sie das Kopftuch abgelegt haben. Man hört sie ausschließlich, wenn es um die Juden geht.“Vor allem für viele Linke in Deutschland sei die israelische Armee automatisch der Aggressor, während arabischer Terror „als eine Art legitimer und romantischer Freiheitskampf angesehen wird“.
Vor kurzem hat Shalicar in Berlin einen seiner früheren Lehrer wieder getroffen – auf einer Veranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, bei der Ralph K. als Zeichen seiner Verbundenheit eine Kippa trug. Als er sich anschließend mit dem Fahrrad auf den Heimweg machte und von einem Lieferwagen abgedrängt wurde, wusste er, was der junge Arye durchgemacht hatte: „Ein Kerl, du ahnst, welcher Herkunft, zeigte auf meine Kippa und beschimpfte mich antisemitisch. Kurze Zeit später grölt mich ein Typ an und zeigt mir den Mittelfinger.“Was bleibt, schreibt der Lehrer später an seinen Schüler, „ist dieses ohnmächtige Gefühl des Zorns und der Hoffnungslosigkeit, das du offensichtlich kennengelernt hast“. Als Anfang vergangenen Jahres auf deutschen Straßen wieder Davidsterne verbrannt wurden, weil die USA Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hatten, hat Shalicar das nicht verwundert. Einige der Demonstranten, die da „Tod Israel“brüllten, kamen ihm sehr bekannt vor. „Es waren dieselben Muslime, die mich in den Neunzigern in Berlin terrorisiert haben.“
Rudi Wais Arye Sharuz Shalicar: Der neu-deutsche Antisemit. Hentrich & Hentrich, 164 S., 16,90 Euro