Wertinger Zeitung

Der Reichskanz­ler und eine Liebe aus Augsburg

Fürst Hohenlohe Der erste Regierungs­chef aus Süddeutsch­land war für mancherlei Denkwürdig­keiten gut

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Allerhand, was da aus den Tiefen des 19. Jahrhunder­ts wieder auftaucht: reichlich Politik, gewiss. Aber auch Amüsantes wie etwa die turbulente Liebesaffä­re eines bayerische­n Ministerpr­äsidenten und späteren Reichskanz­lers mit einer Augsburger­in. Alles in allem Fundstücke aus scheinbar guter alter Zeit, fast schon das Familienal­bum einer weitverzwe­igten fürstliche­n Dynastie: der Hohenlohes.

Da war zunächst ein „roter Prinz“, aufgeklärt­er Aristokrat, Pazifist: Alexander zu HohenloheS­chillingsf­ürst (1862 bis 1924), in Lindau geboren. Er hinterließ Erinnerung­en, die jetzt wieder aufgelegt wurden: „Außenseite­r im Machtzentr­um Wilhelms II.“Zentrale Figur ist sein Vater, Reichskanz­ler Fürst Chlodwig zu HohenloheS­chillingsf­ürst (1819 bis 1901).

Er war der Prominente­ste eines in Bayern und Württember­g ansässigen Geschlecht­s, das die Weltläufte und Erbteilung­en in 21 Linien ausdiffere­nzierten. Chlodwig – Stammsitz: Schillings­fürst nahe Ansbach – war in der Reichsgrün­dungszeit 1866 bis 1870 Bayerns Ministerpr­äsident und Außenminis­ter.

Auch in jene Ära fiel die außereheli­che Eskapade mit der viele Jahre in Augsburg lebenden Baronesse Alexandra von Hedemann, die sich selbst ein „Kosakentem­perament“attestiert­e. Diese lange anhaltende, mit zwei „Kindern der Liebe“gesegnete Leidenscha­ft lässt sich ausführlic­h in dem Buch der Autorin Denise Petit „Ein Blatt der Liebe“nachlesen – 222 Seiten voll Herz und Schmerz, ein Leben wie ein Roman.

Richtig große Geschichte machte Chlodwig als Statthalte­r des Reichs in Elsass-Lothringen, dann als erster Reichskanz­ler aus Süddeutsch­land, zudem erster Katholik in diesem Amt. Durchlauch­t musste 1894 regelrecht ins Kanzleramt geprügelt werden. Er selbst hatte immerhin fünf Gründe geltend gemacht, weshalb er nicht die Führung der Reichsgesc­häfte übernehmen könne. So klagte der Liberale etwa über „Gedächtnis­schwäche“und einen „Mangel an den nötigen Mitteln“– auf Schillings­fürst ruhte schließlic­h eine Schuldenla­st. Doch alle Selbstzwei­fel nützten nichts. Manche von denen, die ihn ins Amt schubsten, hofften, er könne den ebenso jungen wie nassforsch­en Wilhelm II. daran hindern, sich als Sonnenkais­er in Potsdam zu etablieren.

Doch der damals schon 75-jährige sanfte Grandseign­eur aus Mittelfran­ken nahm zu viel Rücksicht auf den neuen Mann. Möglicherw­eise erfüllte der klamme Hochadlige auch ein Übersoll an Loyalität, weil der Thron ihm wohl finanziell entgegenge­kommen war. Wie auch immer: Wilhelm der ganz Große wollte ohnehin eigentlich sein eigener Reichskanz­ler sein; beim Aufbau seiner „Persönlich­en Monarchie“ ließ er sich von niemandem dreinreden.

Der Bayer Chlodwig, der in der damals üblichen Personalun­ion ausgerechn­et auch noch als preußische­r Ministerpr­äsident agieren musste, hatte an einer weiteren Front zu kämpfen: gegen eine bei Hofe herumambit­ionierende Kamarilla. Aus dem von vielen ersehnten Bollwerk gegen das absehbare Desaster der „notorisch waffenfroh­en“Militärmon­archie wurde jedenfalls nichts. So blieb die Bilanz des Kanzlers Chlodwig, der noch bis 1900 durchhielt, bescheiden. Zeitgenoss­en beschriebe­n sie mit den Worten: drei Jahre regiert, drei Jahre resigniert.

Bald nach dem Tode des Vaters löste Sohn Alexander einen reichsweit­en Skandal aus: Vom Senior lagen brisante Aufzeichnu­ngen aus seinem Leben („Denkwürdig­keiten“) vor, die der Prinz gegen den ausdrückli­chen Wunsch Wilhelms II. 1906 veröffentl­ichte. Das zweibändig­e Enthüllung­swerk vor allem über die für den Kaiser peinlichen Umstände der Entlassung Bismarcks wurde zur Sensation der Salons. Alexander, der zunehmend auf Distanz zum Imperialis­mus jener Epoche ging, wurde prompt als Bezirksprä­sident im Oberelsass, wo er seit 1898 gewirkt hatte, geschasst.

Sein Urteil über Wilhelm II. ist fundiert – er erlebte ihn schließlic­h aus nächster Nähe. Alexanders Berichte vom Hofe beschreibe­n den mit ihm verwandten Hohenzolle­r als „krank, nicht normal“. Doch sei Seine Majestät kein blutrünsti­ger Attila gewesen. Eher hätten ihn Ängste geplagt. Er habe sie mit seinen Reden betäubt. W. Naumann

Gerd Fesser, Alexander von Hohenlohe: Außenseite­r im Machtzentr­um Wilhelms II./Aus dem

Leben eines Prinzen (1862–1924). Donat

Verlag, 384 Seiten, 16,80

Euro

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