Wertinger Zeitung

Auf geht’s, komm schon!

Aktion Bevor ihnen die Decke auf den Kopf fällt, werden Flüchtling­e in Dillingen unterhalte­n. Dabei wird oft gelacht, obwohl ihre Situation vertrackt ist

- VON CORDULA HOMANN

Dillingen Der eine hatte eine Ausbildung als Altenpfleg­ehelfer begonnen und durfte nach einem Jahr nicht mehr. Der andere hatte einen super Job, aber keinen Pass. Auch sein Tischnachb­ar hätte einen sicheren Arbeitspla­tz. Der Chef will ihn unbedingt wiederhabe­n. Aber das geht aus rechtliche­n Gründen nicht.

Es sind verschiede­ne Ursachen, die diese jungen Männer aus völlig unterschie­dlichen Ländern an diesem Nachmittag in Dillingen zusammenfü­hren. Aber sie haben alle etwas gemeinsam: Sie können nicht arbeiten. Sie sind (noch) keine anerkannte­n Flüchtling­e, wohnen in der Dillinger Gemeinscha­ftsunterku­nft und haben den ganzen Tag überhaupt nichts zu tun. 49 Menschen aus sieben Nationen wohnen in der Einrichtun­g, sagt Dieter Kogge, Flüchtling­s- und Integratio­nsberater der Diakonie Neu-Ulm für den Landkreis Dillingen. Eine afrikanisc­he Familie mit fünf Kindern behaust seit fünf Jahren ein einziges Zimmer. Immer wieder fällt das W-Lan aus. Spannungen sind da vorprogram­miert.

Deswegen haben sich einige Helfer vor ein paar Monaten zusammenge­tan und bieten zweimal pro Woche ein Programm mit dem Titel „Come on“(„Komm schon“) an. Mal sind es Ausflüge, mal Vorträge oder Deutschunt­erricht. Die inzwischen zehn Teilnehmer haben im Gegenzug einen Vertrag unterzeich­net, der ihnen ermöglicht, mit jeder Anwesenhei­t oder vollständi­gen Hausaufgab­en Punkte zu sammeln. Zu den Regeln gehört etwa, sich rechtzeiti­g zu entschuldi­gen, wenn man nicht kommen kann. Oder einen Ordner mit den Arbeitsblä­ttern und Hausaufgab­en zur führen. Wer seine Hausaufgab­en nicht macht, dem werden Punkte abgezogen. Wer kann, zahlt für „Come on“fünf Euro pro Monat. Als Motivation einerseits, und zur Finanzieru­ng von Unternehmu­ngen, Snacks und Getränken anderersei­ts, erklärt Kogge. Wer nicht über die finanziell­en Mittel verfügt, hilft vor oder nach dem Treffen beim Aufräumen. Denn auch, wenn bei den Nachmittag­en viel gelacht wird – die Flüchtling­e sollen etwas lernen. Und wer tut das schon, wenn er überhaupt keine Ahnung hat, wie seine Zukunft aussieht? Wer viele Punkte hat, bekommt dafür eine finanziell­e Unterstütz­ung, um ein offizielle­s Sprachzert­ifikat machen zu können.

Heute steht bei „Come on“ein Arztbesuch auf dem Programm. Jeder Teilnehmer hat einen Zettel mit Symptomen bekommen. Es ist ein Rollenspie­l. Nacheinand­er treten die Männer bei Manuela McIntosh an, die als Sprechstun­denhilfe fungiert. Von „Frau Doktor“Cornelia Kügel-Merkel bekommen sie dann eine Diagnose. Die Ärztin spricht langsam und deutlich. Manche der „Patienten“können sich auch schon sehr gut ausdrücken, andere behelfen sich mit Gesten oder nuscheln etwas. Einer kann kaum seine Symptome erklären, aber dialektfre­i „Paracetamo­l“sagen. „Schwindel“kennen alle, „Übelkeit“erklärt Helfer Franz Brichta. Einer weiß nicht, was Massagen sind. „Physio“ruft einer der Flüchtling­e und alle lachen. „Brauchen Sie eine Krankmeldu­ng?“, fragt die Ärztin einen Patienten. Da kommt von einem anderen: „Brauchen wir nicht, wir sind alle arbeitslos.“Wieder hat er die Lacher auf seiner Seite, so traurig es für sie ist. Doch die Flüchtling­e haben Spaß und die Stimmung ist gut. Jeder Patient bekommt für seinen Auftritt in der Praxis Applaus. Rucksäcke und Blöcke liegen auf den Tischen, die jungen Männer tragen Kapuzenpul­lis, man fühlt sich schnell wie in einer Schulklass­e.

Nachdem jeder in der Sprechstun­de war, fragt Paul Weishaupt die Teilnehmer ab, wie es nach dem Arztbesuch weiter ging. Manche mussten zur Apotheke, andere brauchten Ruhe. Franz Brichta schreibt verschiede­ne Vokabeln des Rollenspie­ls auf die Tafel. Regina Schrauf beantworte­t im Hintergrun­d kleine Zwischenfr­agen, schaut sich mitgebrach­te Dokumente oder Hausaufgab­en an. Draußen hört man Kinder rufen. Immer wieder kommt jemand an dem beiden Glastüren links und rechts des Raumes vorbei.

Paul Weishaupt wirft den Beamer an und macht das Licht aus. Es wird ein kleiner Film über „Harry“gezeigt, ein Brite, der Deutsch lernt. Das Programm hat die Deutsche Welle ausgearbei­tet. 100 Folgen à acht Minuten gibt es. „Und wir wollen alle schaffen“, sagt Weishaupt zuversicht­lich. Schnell zeigt sich, dass das nicht so einfach ist. Der Helfer stellt Fragen zu dem kleinen Film und alle dürfen gleichzeit­ig antworten. Die einen können das besser, die anderen nicht. Wer bereits einen Job hatte, spricht flüssiger deutsch als die anderen. Doch der Helfer bleibt geduldig, fragt noch mal nach, gibt auch den schlechter­en Schülern eine Chance.

Dieter Kogge, Projektbea­uftragter der Diakonie, sagt: „Mit Flüchtling­en, die anerkannt sind, läuft es gut. Aber man könnte mehr bewegen. Doch für die ohne Bleibebesc­heinigung haben nur wenige ein offenes Ohr. Das ist schade. Und es ist so mühsam, etwas zu erreichen.“Normalerwe­ise unterricht­en die Teams jeweils zu zweit. Alle zwei Monate kommen die Helfer zusammen, besprechen die Workshops. Die Situation etwa afrikanisc­her Flüchtling­e sei zum Teil sehr vertrackt.

Und zurück in ihre Heimat können sie nicht. Denn wer heimkehre, der gelte als gescheiter­t. Dieser Makel falle dann auf die ganze Familie zurück. Kogge war selbst schon in Afrika und sagt: Er kennt kaum einen, der freiwillig zurückgeke­hrt ist.

 ?? Foto: Cordula Homann ?? Der Dillinger Helferkrei­s Asyl- und Migration bietet Flüchtling­en, die aus verschiede­nen Gründen nicht arbeiten können oder dürfen, zweimal pro Woche einen Workshop an. Die Helfer von links: Cornelia Kügel-Merkel, Georg Schrenk, Paul Weishaupt, Franz Brichta, Manuela McIntosh und Regina Schrauf.
Foto: Cordula Homann Der Dillinger Helferkrei­s Asyl- und Migration bietet Flüchtling­en, die aus verschiede­nen Gründen nicht arbeiten können oder dürfen, zweimal pro Woche einen Workshop an. Die Helfer von links: Cornelia Kügel-Merkel, Georg Schrenk, Paul Weishaupt, Franz Brichta, Manuela McIntosh und Regina Schrauf.

Newspapers in German

Newspapers from Germany