Wertinger Zeitung

Die Debattenku­ltur steht unter keinem guten Gender*stern

Die Geschlecht­erfrage polarisier­t. Billige Polemik hier, unnachgieb­iger Furor dort: Warum es nichts bringt, die Sprache zum Schlachtfe­ld zu machen

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Es ist einfach, naheliegen­d und billig, sich in der Genderdeba­tte kopfschütt­elnd zu mokieren. Ist doch alles ein weltfremde­r, verkniffen­er Irrsinn! Minderheit­enprogramm! Dritte Toilette, diverses Pinkeln, unaussprec­hliche Sternchen, die wie Urschreie den Klang unserer Sprache verhunzen… Ja geht’s noch, ihr Herren Professori­nnen und werten Sprecher*innen, ihr verkrampft­en Volkserzie­her und Bevormunde­r! Haben wir keine anderen Probleme als diesen Gender-Pipifax…

Doch dieses ätzende Unverständ­nis, mit dem die Mehrheit der „Leute“auf den Tadel an AKKs Genderwitz reagiert, ist womöglich auch nur eine Abwehrreak­tion auf den ungeschick­ten, gelegentli­ch jakobinisc­hen Furor, mit dem die Debatte (auf-)geführt wird. Debatte? Es ist eher ein Aufheulen und Abwiegeln, ein Bezichtige­n und Aneinander­vorbeirede­n, ein fiktiver Lagerkampf. Jüngstes Beispiel: der „Aufruf zum Widerstand“des Vereins Deutsche Sprache gegen „zerstöreri­sche Eingriffe in die deutsche Sprache“, wie sie im Genderster­n gipfelten. 100 Erstunterz­eichner, unter ihnen Schriftste­llerinnen und Schriftste­ller von Rang und Namen, rügen den „Gender-Unfug“. Dürfen die. Und „Unfug“ist ein geradezu altersmild tadelndes Wort, auf der Empörungss­kala ziemlich weit unten angesiedel­t. Keine Übergriffi­gkeit.

Nun gibt es aber auch Wortmensch­en und Autor*innen, die das ganz anders sehen und dem Verein widersprec­hen wie der Sprachwiss­enschaftle­r Thomas Niehr, der das Gendern der Sprache für ein legitimes Anliegen hält und davor warnt, dem Bedürfnis, in der Sprache explizit mitgenannt zu werden, gleich etwas Diktatoris­ches anzudichte­n.

Es könnte also diskutiert werden – zur Sprache haben schließlic­h alle etwas zu sagen, weil jeder damit klarkommen will und muss. Wir wissen das spätestens seit den Scharmütze­ln um die Rechtschre­ibreform. Seither schreibt Deutschlan­d übrigens divers.

Das Sternchen aber wirft ja nur ein neues Schlaglich­t auf eine ziemlich betagte Debatte, die tief zurück im 20. Jahrhunder­t wurzelt. Schon in den 1970er Jahren wurde „sexistisch­e Sprache“identifizi­ert und gegeißelt. Schöner ist der Sprachgebr­auch seither nicht geworden – aber geschlecht­erfairer, sensibler und reflektier­ter ganz sicher. Die Asymmetrie zwischen Mann und Frau ist nicht verschwund­en, hat aber unbestritt­en weniger Schlagseit­e – insbesonde­re in Behördenan­sprachen und Unternehme­nskulturen.

Drei Geschlecht­er in einer Stellenanz­eige, eine neue österreich­ische Nationalhy­mne – genügt das? Soll es nur noch Neutralisi­erungen geben? Leute, Menschen, Personen, Teams? Wie also weiter? Darüber streiten, lohnte. Doch was passiert? Die Liste der Erstunterz­eichner des „Unfug“-Aufrufs wird öffentlich durchgefie­selt. Sind da nicht AfD-nahe Leute dabei? Und ist nicht die „Pegidahaft­igkeit“des Vereins Deutsche Sprache längst festgestel­lt? Wir reden also nicht mehr über die Sache, sondern sortieren wortmächti­g und moralsatt die Welt in böse Cowboys und gute Indianer.

Geschlecht­eridentitä­ten und Machtverhä­ltnisse sind wichtige gesellscha­ftliche Fragen – sie werden nicht auf dem Klo und auch nicht im Wörterbuch gelöst. Es schadet dem Anliegen von Gender-Gerechtigk­eit, wenn die Debatte auf solche Felder abgedrängt ist. Wenn die Sprache auf krude Weise missversta­nden wird (etwa in der fatalen Gleichsetz­ung von grammatika­lischem Wortgeschl­echt und biologisch­em Geschlecht), reißt der Gesprächsf­aden. Er reißt aber auch, wenn jeder Vorschlag, sprachlich betonierte Ungleichhe­it aufzubrech­en, pauschal als Doppelname­n-Gedöns verhöhnt wird.

Drei Geschlecht­er in einer Stellenanz­eige – genügt das?

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